Wunder

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Die nächsten zwei Wochen sind die Hölle. Ich verkrieche mich den ganzen Tag unter meiner Bettdecke, lasse in mein Zimmer kein Tageslicht hinein und laufe nur im Pyjama durch die Gegend. Duschen tue ich mich nur gelegentlich und um meine Haare kümmere ich mich auch so gut wie gar nicht. Ist doch sowieso alles egal, wenn niemand da ist, für den es sich lohnt gut auszusehen.

Ich liege nur im Bett, ununterbrochen heulend und höre die deprimierendste Musik, die ich kenne. Um meinen Zustand kurz und knapp zu beschreiben: Mir geht es scheiße.

Was Dean wohl gerade macht? Vermutlich hat er mich schon längst vergessen und vergnügt sich mit irgendeinem dünnen Mädchen, ohne Babybauch, perfektem Gesicht und mit einer angefangenen Karriere als Schauspielerin. Sowas passt doch auch viel besser zu ihm. Nicht so eine ungepflegte, kugelrunde, graue Maus.

Ich brauche Marc, meine männliche beste Freundin. Aber auch dieser hat sich aus dem Staub gemacht, hat es mir allerdings lange vorher schon gesagt. Letzte Woche ist er dann nach Groß Britannien geflogen, um dort zu studieren. Am Flughafen habe ich eine riesige Scene gemacht, die die Aufmerksamkeit aller anderen auf und gezogen hat.

Warum verlassen mich denn alle? Warum müssen sie alle ins Ausland? Vielleicht gehe ich ja auch einfach nach Australien, schließlich ist es da auch schön. Aber nein, ich habe ja bald ein Baby. Ein Baby von dem Idioten, der mich einfach hochschwanger hat sitzenlassen.

Gleich kommt meine Lieblingsstelle in dem Lied Halleluja, doch mittendrin stoppt die Musik.

„Das sehe ich mir nicht mehr länger mit an!" Meine Schwester hat einfach die Anlage ausgemacht. Wie kann sie nur? Wo soll den jetzt mein ganzer Herzschmerz hin?

„Lass mich in Ruhe!", nuschele ich in mein Kopfkissen, das ich mir auf das Gesicht gepresst halte. Auch das nimmt sie mir.

„Jetzt komm nicht auch noch auf die Idee, dich zu erwürgen!"

Aus Trotz ziehe ich mir meine Bettdecke über den Kopf. Sie hat mir gar nichts zu sagen. Nun beginnt ein kleiner Kampf zwischen uns, wer die Decke bekommt. Ich verliere, leider.

„Wir peppeln dich wieder auf.", bestimmt Mona.

„Aber ich..."

„Du hast keine andere Wahl! Dieses Häufchen Elend ist unerträglich."

Sie schleppt mich ins Badezimmer und gibt mir andere Klamotten.

„Anziehen! Dann rufst du mich und ich richte dich wieder her.

Widerwillig tue ich, was sie sagt. Als ich mich im Spiegel betrachte, bekomme ich allerdings fast einen Herzinfarkt. Meine Augen sind vom Weinen total geschwollen. Meine Nase macht Rudolph schon Konkurrenz und meine Haare sind völlig zerzaust. Ich entdecke sogar ein Stück eines Kartoffelchips, die ich trotz des Verbotes meiner Mom in mich hineingestopft habe. Kurz um gleiche ich einer Vogelscheuche.

Ich habe keine Ahnung wie, aber Mona hat mich tatsächlich wieder so hinbekommen, dass ich mich wieder in die Öffentlichkeit wagen kann. Zum ersten Mal seit Tagen kann ich wieder etwas lächeln.

„Und wir gehen jetzt shoppen!", ruft Mona freudestrahlend. Meine Freude allerdings ist verflogen und sehne mich wieder nach meinem Bett. Ich hasse shoppen!

Am Anfang gehen wir in sämtliche normale Klamottenläden, in denen sie ständig etwas anprobieren muss. Bald kann ich sowas auch endlich wieder anziehen! Es ist aber eine gute Gelegenheit für mich, mich mal hinzusetzen und auszuruhen. Ab und zu bemerke ich ein paar schockierte und mitleidige Blicke von den anderen kaufsüchtigen Mädchen. Haben die denn alle noch nie eine schwangere Frau gesehen?

Zum Schluss betreten wir noch einen Babyladen. Ich durchstöbere alles Mögliche.

„Guck dir das mal an!", quieckt Mona. Sie hält mir einen blauen Strampler mit einem Bären drauf hin. Der sieht so süß aus, wie fast alles hier. Jedoch hat der hier so eine Anziehungskraft auf mich, dass ich nicht widerstehen kann.

Ich möchte gerade bezahlen, als mich eine andere Kundin mich antippt.

„Entschuldigen sie, aber ich glaube, ihnen ist gerade die Fruchtblase geplatzt."

Erschrocken sehe ich nach unten und will meinen Augen nicht trauen. Der Geburtstermin sollte erst in zwei Wochen sein! Das kann doch nicht wahr sein! Die Pfütze, in der ich stehe, sagt mir aber etwas anderes. Ich werde Mutter.

„Pressen! Nicht mehr viel, aber geben sie jetzt nochmal alles!", sagt mir meine Hebamme. Ich liege seit Stunden im Krankenhaus und hatte noch nie in meinem Leben so große Schmerzen. Ein Kaiserschnitt muss dagegen so schön entspannend sein.

Ich presse so doll ich kann und muss dabei meiner Mutter mit Sicherheit die komplette Hand brechen.

Mir fällt auf, dass ich mir um den wichtigsten Teil, dem Gebären, nie viele Gedanken gemacht habe. So lange es nur in mir war, war es weniger wirklich. Ich habe es zwar manchmal gespürt, aber in kurzer Zeit werde ich den kleinen tatsächlich im Arm halten können. Damit setzt auch die Panik ein und die Erkenntnis, dass ich noch gar nicht bereit für ein Kind bin. Nicht so lang ich selber noch eines bin!

Plötzlich spüre ich kaum noch etwas. Schmerzen schon, aber keinen Druck mehr. Dafür wird der Raum erfüllt von lautem Geschrei. Mein Pünktchen kann aber laut schreien. Ach quatsch, das ist alles nur Einbildung. Ich träume bestimmt nur. Gleich wache ich wieder mit diesem riesigen Bauch auf und alles ist wie vorher.

Nein, es ist kein Traum, sondern ein Mensch. Ein winzig kleiner Mensch, der mir in den Arm gelegt wird. Ich kann es einfach nicht glauben. Das ist also mein Kind? So ein süßes Ding. Mit einem Mal sind alle Gedanken, die eben noch meinen Kopf erfüllt habe, wie weggeblasen. Es ist alles egal. Ich habe einen gesunden, wunderschönen Jungen zur Welt gebracht. Wenn ich ihn habe, dann brauche ich doch niemanden. Weder Dean, noch Marc. Er wird mich glücklich machen. Wir werden eine Familie sein, wenn auch nur eine sehr kleine.

Meine Eltern und meine Schwester liegen sich schluchzend in den Armen und auch ich kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Diesmal sind sie aus Freude, anstatt aus Trauer. In diesem Moment bin ich glücklich und ich bereue nichts. Wenn ich mir vorstelle, dass ich dieses Wunder der Natur fast zerstört hätte, könnte ich nur noch mehr weinen.

„Wir sind so stolz auf dich!", bringt meine Mom hervor. Ich auch.

Denkt jetzt bloß nicht, dass wäre das Ende! Es geht aufjedenfall noch weiter. Eigentlich möchte ich erst nächstes Wochenende wieder ein Kapitel hochladen, aber wie man mich kennt, kann es auch sehr wahrscheinlich sein, dass zwischen durch noch eins kommt. Bis bald!

Plötzlich Schwanger Where stories live. Discover now