Beerdigungen sind scheiße

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Ich hasse Beerdigungen. Nun gut, welcher normale Mensch geht auch schon gerne auf ein Fest, bei dem der Gastgeber regungslos in einer Kiste liegt, während die Gäste vor ihm sitzen und in ihren Tränen versinken. Dann werden noch ein paar schöne und traurige Worte geredet, die den Abschied nur noch umso schwerer machen. Vor allem als Außenstehende fühle ich mich komplett fehl am Platz. Ich habe ihn nicht lange genug, nicht gut genug gekannt, um mit seiner Familie zu trauern. Wir konnten uns noch nicht einmal wirklich leiden. Der einzige Grund, warum ich heute hier stehe, ist, weil Dean mich darum gebeten hat, sozusagen als moralische Unterstützung. In den letzten Tagen ging es ihm sehr schlecht, die Schuldgefühle scheinen ihn fast zu erdrücken. Ich versichere ihm gefühlte tausend Mal am Tag, dass er nichts dafür kann.

Es hatte nur den Vorteil, was unglaublich falsch klingt, dass wir beide uns wieder ein Stück näher gekommen sind. Versteht mich nicht falsch, nicht als Paar, das will ich auch gar nicht mehr, sondern als gute Freunde. Wir haben sehr viel geredet. Ich habe das Gefühl, ihn vorher noch gar nicht richtig gekannt zu haben oder er hat sich zu einer anderen Person entwickelt. Reifer und erwachsener ist er auf jeden Fall geworden.

Die ganze Zeit über halte ich seine Hand und er meine, als müsse er sich irgendwo festhalten, damit er nicht fällt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer es sein muss, einen Elternteil tot sehen zu müssen, aber irgendwann trifft es uns alle mal, zumindest in der Regel. Clarissa weint immer noch furchtbar doll. Man sollte meinen, sie hätte in den letzten Tagen schon alles rausgelassen, so wie es bei Dean der Fall ist. Seine Augen sind glasig, allerdings lassen sie nicht eine einzige Träne los.

Nach der Zeremonie gehen wir alle zu den Black's nach Hause. Dieses riesige Haus soll jetzt nur noch von einer Person bewohnt werden? Unvorstellbar. Ich könnte mir vorstellen, dass sich Clarissa hier total verloren vorkommen muss. Dean und seine Mutter werden von Beileid überschüttet, während ich nur daneben stehe. Ich kenne keine einzige Person hier. Klingt das egoistisch? Ja, wahrscheinlich. Leo habe ich nicht mitbekommen. Ich finde es nicht gut, ein Kind zu solch einer Veranstaltung mitzunehmen.

„Dean, kommst du mal bitte mit?" Clarissa und Dean verschwinden in der Küche, der Ort, an dem wahrscheinlich alle Konflikte dieser Welt gelöst werden. Ich schleiche hinterher und lehne mich an die Wand.

„Du weißt ja, dass dein Vater an dem Abend betrunken war."

„Ich verstehe einfach nicht, warum. Er war doch nie ein Trinker." Deans Stimme klingt verzweifelt. Diese Frage hat er letztens häufiger gestellt.

„Ihm wurde gekündigt. Den genauen Grund hat er mir nicht gesagt, dazu war er viel zu geladen. Lieber hat er seine Probleme im Alkohol ertränkt, als mit mir zu reden. Das hätte alles nicht passieren müssen." Ein Blick auf Dean verrät mir, dass ihn diese Nachricht sehr mitnimmt. Ich hole meine Jacke und gehe. Sie brauchen mich im Moment nicht, sie können sich nur gegenseitig wieder aufbauen. Dean braucht Zeit. Wenn er genügend davon hatte, wird er sich schon bei mir melden, da bin ich mir sicher.

Zu Hause löse ich Mom vom Babysitten ab.

„Er wird so ein kluger Junge, wenn er auch sehr schweigsam ist. Fast wie seine Mutter." Mom gibt mir einen Kuss auf die Wange und geht dann. Ich setze mich zu Leo ins Kinderzimmer, worauf er sofort angedackelt kommt. Gibt es etwas Süßeres? Für mich jedenfalls nicht.

„Mummy?" Leo sieht mich mit einem verständnisvollen Blick an, dann umarmt er mich mit seinen kleinen Ärmchen. Wie auf Knopfdruck geht es mir wieder besser. Mein kleiner Sonnenschein.

Zwei Wochen vergehen, in denen ich nichts von Dean höre. Dann kommt Dean vorbei.

„Wie geht es dir?", frage ich ihn besorgt.

„besser, definitiv besser. Langsam habe ich mich damit abgefunden. Es bringt ihn ja auch nicht zurück, wenn ich mich nur zu Hause verkrieche und in Trauer ersticke."

„Das freut mich." Dean sieht auch wieder besser aus, erholter. „Und Clarissa?"

„Die hat spontan eine dreimonatige Reise nach Indien gebucht, mit der Begründung, sie müsse sich selbst wiederfinden. Gestern ist sie abgereist.", erzählt er lächelnd und auch ich muss grinsen.

„Das hätte ich gar nicht von ihr erwartet."

„Ich auch nicht, aber wenn es ihr gut tut, soll sie es machen."

„Wie geht es jetzt mit dir weiter?"

„Ich habe das Studium in Deutschland angefangen, beziehungsweise führe es weiter." Das erstaunt mich ein wenig. Ich hätte gedacht, jetzt, wo er sozusagen keine Verpflichtungen mehr hat, geht er seinen Träumen nach.

„Ich habe das Gefühl, ihm wenigstens das noch schuldig zu sein. Außerdem ist mir klar geworden, dass es auch mein Wunsch war. Ich möchte Menschen helfen, sie retten. Das habe ich leider erst gemerkt, nachdem ihm nicht mehr geholfen werden konnte."

„Ja, das kann ich verstehen."

„Und mir gehört jetzt das Haus." Ich sehe ihn überrascht an. „Clarissa will dort nicht mehr wohnen, vor allem nicht allein. Sie hat sich eine Wohnung gesucht und mir das Haus überlassen." Er scheint sich darüber zu freuen. Warum auch nicht, schließlich besitzt in dem Alter nicht jeder so eine Hütte. Ich nehme ihn in die Arme, weil ich mich für ihn freue. Er erwidert die Umarmung und drückt mich noch ein Stück fester an sich. So ungewohnt und doch irgendwie vertraut nahe waren wir uns schon lange nicht mehr. Seine Hände berühren meinen Rücken und fahren ihn langsam auf und ab, was ein leichtes Kribbeln in mir auslöst. Stopp, sowas empfinden gute Freunde nicht füreinander! Mehr wolltet ihr nicht sein! Ich löse mich von ihm und sehe ein wenig verlegen nach unten. Das muss ja noch lange nicht heißen, dass er auch was dabei gespürt hat.

Doch Dean nimmt mein Kinn und zwingt mich, ihm in die Augen zu sehen. Genau in diese Augen habe ich mich vor drei Jahren verliebt. Ich kann nicht leugnen, dass diese Gefühle verschwunden sind. Nein, ich versuche sie nur jedes Mal zu verdrängen und sie mir auszureden, letztendlich kommen sie aber immer wieder ein Stück zum Vorschein, wenn er mich berührt, mit mir redet, mich auch nur ansieht.

„Dean, ich..." Er lässt mir keine Chance noch etwas zu sagen, schon küsst er mich. Dieser hier ist so anders, als der von jenem Abend. In diesem scheinen sich alle aufgestauten Emotionen zu vereinen, es fühlt sich an, als würde mein ganzer Körper explodieren. Gott, wie dringend habe ich ihn gebraucht? Wie sehr habe ich ihn vermisst, denn ich hätte niemals gedacht, dass sich ein einziger Kuss so stark anfühlen kann. Wir lassen kurz voneinander ab, nur um sofort wieder übereinander herzufallen. Es wirkt, als wollten wir all die verlorene Zeit in diesem Kuss nachholen. Aber es bleibt nicht nur dabei. Wir ziehen uns die lästigen Klamotten aus und kommen uns so nahe, wie es zwei Menschen nur tun können. Diesmal fühlt es sich richtig an, so richtig, wie nichts anderes. Ich liebe ihn immer noch.

Bald ist Schluss.

Plötzlich Schwanger Tahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon