Abschied

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Alle Gedanken über den Kuss, über meine Gefühle sind wie weggeblasen. In meinem Kopf herrscht nur noch Panik. Deans Vater hatte einen Autounfall, mehr konnte Clarissa am Telefon aber nicht sagen. Sie muss völlig aufgelöst gewesen sein. Umso schneller müssen wir nun ins Krankenhaus.

Da Dean angetrunken ist, suchen wir uns schnell ein Taxi. Es wäre total grotesk, ausgerechnet jetzt betrunken Auto zu fahren. Dean scheint in eine Art Schockstarre verfallen zu sein. Sein Blick ist leer, er redet kein Wort. Ich empfinde auch nicht unbedingt das Bedürfnis in dieser Situation zu reden. Ich hoffe sehr, dass nichts all zu Schlimmes passiert ist. Das hoffe ich wirklich.

Mir kommt die Zeit ewig vor, bis wir endlich das Krankenhaus erreichen. Dean steuert in einem Tempo auf das Gebäude zu, mit dem ich kaum Schritt halten kann. Meine Beine fühlen sich weich an durch die Angst, wie muss es da erst Dean gehen? Im Eingangsbereich finden wir eine zusammengesackte, fürchterlich weinende Clarissa.
"Sie haben gesagt, ich soll hier auf euch warten und mich etwas beruhigen." Man versteht sie vor lauter Schluchzen sehr schlecht.

Wir setzen uns an ihre Seite und ich streichel ihr den behutsam den Rücken.
"Was ist passiert?", fragt Dean emotionslos.
"Er war...betrunken...und...und wütend."
"So ein Idiot!" Dean springt auf. Er sieht jetzt plötzlich ziemlich sauer aus.
"Beruhig dich!", versuche ich ihn zu beschwichtigen.
"Wie soll man sich bei solch einer Dummheit beruhigen?" Er geht mit über dem Kopf verschränkten Armen hin und her. Ich kann seine Wut ja verstehen, nur hilft sie seinem Vater auch nicht weiter.
"Es wird schon wieder." Ich versuche stark mir diese Worte auch selber zu glauben.

"Frau Black?", fragt ein Mann im Kittel. Ein Arzt. Endlich.
"Würden sie mir bitte folgen?"
Wir stehen auf und folgen ihm in eine versteckte Ecke, in der wir ungestört sind. Meine Beine sind vom ewigen Sitzen schon ganz eingeschlafen, aber das ist momentan mein kleinstes Problem.
"Ich habe leider sehr schlechte Nachrichten. Ihr Mann ist in einen LKW gefahren und bei sowas stehen die Chancen sowieso immer sehr schlecht. Wir haben im OP alles versucht. Es war überhaupt schon ein Wunder, dass er bis dahin überlebt hat, allerdings konnten wir absolut nichts mehr für ihn tun. Ihr Mann ist tot, das tut mir sehr leid."

Sie schreit. Es ist ein verzweifeltes Schreien, gefolgt von einem heftigen Anfall des Weinens. Sie lässt sich fallen, hat keine Kraft mehr, doch Dean fängt sie noch auf. Der Arzt lässt uns allein. Dean zeigt immer noch keine Emotionen, doch diesmal erkenne ich in seinem verkrampften Gesicht, dass er diese sehr stark versucht zu unterdrücken.

Und ich? Ich habe keine Ahnung, wie ich reagieren soll. Allein von Clarissas Anblick möchte ich einfach nur mit ihr weinen. Aber kannte ich ihn denn lange genug dafür? Gut genug? Ich mochte ihn nicht einmal sonderlich und jetzt soll er einfach tot sein? Im Moment fühle ich gar nichts. Ich bilde mir einfach ein, dass sei nur ein Traum. Wie kindisch von mir, egoistisch.

"Wie geht's dir?", frage ich Dean, als wir bei mir zu Hause sind. Meine Mutter habe ich schon vom Taxi aus angerufen, dass sie schon gehen kann. Ich will ihr noch nichts sagen. Wir sind zu dritt in meine Wohnung gefahren. Ich dachte, es wäre keine gute Idee, wenn sie jetzt in seinem Haus währen. Clarissa muss sehr erschöpft gewesen sein, denn sie ist sofort eingeschlafen. Ich habe ihr mein Bett geliehen.

"Ich weiß es nicht.", antwortet Dean nach einer halben Ewigkeit.
"Du darfst deine Gefühle nicht unterdrücken." Er nickt nur. Als er die Luft einzieht, zittert sein Atem leicht.
"Ich...Ich habe so furchtbare Schuldgefühle. Ich habe ihm schon seit Jahren nicht mehr gesagt, dass ich ihn liebe. Ich habe immer nur an ihm rumgemeckert, ihn angeschrien. Dabei sollte er doch immer nur mein Bestes. Er hat immer alles für mich getan. Er wollte mir alles bieten können. Nicht ein einziges Mal habe ich mich dafür bedankt, sondern es einfach nur so hingenommen. Ich habe meinen Vater nie gehasst. Ich war nur wütend. Und jetzt bin ich so verdammt wütend auf ihn, dass er einfach gegangen ist, bevor ich ihm all das sagen konnte!" Zum Ende wird Deans Stimme brüchig. Er stützt seinen Kopf auf die Hände und dann bebt zum ersten Mal sein Rücken, ein zweites Mal, es hört nicht mehr auf. Dean weint, endlich.

Ihn so verzweifelt zu sehen und zu wissen, dass ich rein gar nichts tun kann, bricht mir das Herz. Auch mir kullert eine Träne aus dem Auge, gefolgt von hundert weiteren. Auch ich weine und es ist so befreiend und gleichzeitig auch schmerzhaft. Alles in mir zieht sich zusammen, nur um die nächsten Tränen mit voller Kraft herauszulassen. Meine Hals wird schleimig, meine Nase wird zu. Ich hasse es zu weinen. Man fühlt sich so verloren.

Dean nimmt auf einmal ein Kissen und schleudert es mit voller Kraft gegen meine Wand. Normalerweise würde ich jetzt ausrasten, aber ich lasse ihn gewähren. Im Moment könnte er von mir aus die ganze Wohnung zerlegen, so lange es ihm dadurch besser geht.
"Wie kann dieser Mistkerl nur?", schreit er und springt auf. Ich packe ihn am Handgelenk und halte ihn fest, ziehe ihn wieder zu mir, auch gegen seinen Willen. Er wird immer schwächer.

"Es ist okay.", rede ich ihm zu.
"Nichts ist okay!", meint er verzweifelt, immer noch laut.
"Komm her." Ich drücke ihn an mich, zwinge ihn zu einer Umarmung. Er will sich anfangs noch befreien, aber ich hatte nicht vor, ihn schon wieder loszulassen. Das merkt er auch bald und lässt sich einfach in meine Arme fallen.
"Dafür hasse ich ihn.", murmelt er die ganze Zeit.
"Nein, das tust du nicht.", flüstere ich.

Nach einiger Zeit ist es still. Er ist eingeschlafen. Mit einem Mal sieht Dean so friedlich aus. Für ein paar Stunden ist seine Welt hoffentlich wenigstens im Schlaf in Ordnung. Auch ich fühle mich sehr schwach und versuche zu schlafen. Wer hätte gedacht, was für eine schreckliche Wendung dieser Tag noch nehmen würde? Ein neues Leben kommt, ein altes Leben geht.

Hach ja, das vermutlich emotionalste Kapitel, das ich geschrieben habe. Mich würde mal interessieren, ob jemand immer die Lieder hört.

Ich habe das Gefühl, ich bin fast am Ende der Geschichte. Ich habe ja schon Kapitel vorgeschrieben und viele dürften es nicht mehr werden.

Plötzlich Schwanger Where stories live. Discover now