Erklärungen

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Zwischen uns herrscht ein peinliches Schweigen. Er starrt mich mit ausdrucksloser Miene an, während mein Blick auf den Boden gerichtet ist.

„Es tut mir leid.", bringt er nach einer Weile hervor. Ich muss mir ein Lachen verkneifen. Das ist schön für ihn, aber noch lange nicht ausreichend, um alles wieder gutzumachen.

„Ach wirklich? Mehr als Tut mir leid hast du nicht zu sagen?"

„Doch, natürlich. Es tut mir unendlich leid." Ich schnaube nur abfällig.

„Wenn das alles ist, dann kann ich ja gehen?" Ich wende mich schon zum Gehen, als er mich aufhält.

„Warte! Ich will dir alles erklären, ich weiß nur nicht, wie ich anfangen soll."

„Weißt du was? Ich brauche keine Erklärung mehr. Die hätte ich damals dringend gebraucht, aber nun habe ich damit abgeschlossen. Du bist aus meinem Leben verschwunden und so soll es bitte auch bleiben.", sage ich ihm knallhart.

„Okay, das kann ich verstehen." Bilde ich mir das ein oder sieht er tatsächlich betroffen aus?

„Wie ist er so?" Auf diese Frage bin ich nicht vorbereitet. Interessiert er sich gerade wirklich für seinen Sohn?

„das geht dich nichts an."

„Er ist auch mein Kind!", ruft er empört.

„Auf einmal? Diese Erkenntnis hätte dir auch schon mal früher in den Sinn kommen können. Hör zu. Ich will, dass du dich von ihm fernhältst, falls du überhaupt mal vorhattest, ihn zu sehen.", stelle ich klar.

„Ich darf ihn also nicht sehen?"

Genau das will ich damit sagen. Du hattest deine Chance." Diesmal gehe ich wirklich und lasse einen sprachlosen Dean zurück. Ich kann es mir nicht verkneifen, meinen Abgang mit Arschwackeln und Haare zurückwerfen zu dramatisieren. Das nenne ich doch mal stark!

„Jetzt nochmal langsam! Er ist im Ernst wider da?", fragt Marc mehr als überrascht, mit dem ich gerade skype.

„Ja, wie oft denn noch?"

„Und wie hast du dich dabei gefühlt, als du ihn gesehen hast?"

„Jetzt spiel hier nicht den Psychologen.", lache ich.

„Hey, das ist wichtig!"

„In Ordnung, Herr Doktor. Ich war sehr überrascht, nein, mehr als das und verspürte unendliche Wut."

„Dann hast du es also doch noch nicht überwunden, sonst wärst du nicht wütend gewesen.", stellt Marc fest.

„Wie bitte? Das ist doch völlig bescheuert! Mir geht es hervorragend und ich habe ihm sogar gesagt, dass ich keine Erklärung hören will. Warum sollte ich auch, wenn für mich das Thema durch ist?"

„Stella, ich kenne dich. Du hast sehr wahrscheinlich die ganze Zeit nur verdrängt. Du redest dir nur ein, dass du nichts mehr von ihm wissen willst, aber in Wahrheit kannst du damit immer noch nicht so ganz abschließen." Ich bin genervt und am überlegen, ob ich einfach abschalten sollte. Er redet doch totalen Müll!

„Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?"

„Hör dir an, was er zu sagen hat."

Ich habe Angst davor. Was soll er denn auch sagen, was ich nicht schon weiß? Wir waren ihm nie wirklich wichtig, er hat eine super Chance bekommen und macht sich nun ein schönes Leben am anderen Ende der Welt. Das aus seinem Mund zu hören, würde mir nur wieder wehtun. Moment, das würde ja bedeuten, dass Marc Recht hat. Jetzt wo Dean hier ist, beherrscht er wieder mal meine ganzen Gedanken. Würde eine Erklärung mir doch weiterhelfen? Ich könnte ihn danach höchstens noch mehr hassen, was eigentlich von Vorteil wäre.

Am nächsten Tag mache ich mich entschlossen auf den Weg zu seinem Hotel. Ich habe mir noch genau seine Zimmernummer gemerkt. Als ich anklopfe, öffnet mir Dean sofort die Tür. Er trägt nichts weiter als ein Handtuch um die Hüften. Mein heimlicher Wunsch, er wäre fett, unmuskulös und hässlich geworden, ist sowas von gar nicht in Erfüllung gegangen. Seine Haare sind noch nass und stehen in alle Richtungen ab. Es fällt mir schwer, meinen Blick von seinem Körper abzuwenden. Er hat offensichtlich nicht mit mir gerechnet, was mir auch sein Gesichtsausdruck verrät.

Er bittet mich herein und geht sich etwas anziehen, während ich mich auf das Ledersofa setze. Ich hasse Ledersofas. Sie sind kalt und ungemütlich. Warum denke ich ausgerechnet jetzt über so etwas Banales nach? Immerhin ist die Befürchtung, dass er eine Frau mit auf seinem Zimmer hat, nicht eingetroffen, was mich seltsam erleichtert. Na und. Er kann doch machen, was er will.

„Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du nochmal herkommst.", sagt Dean beim Hereinkommen und setzt sich mir gegenüber auf den Sessel. Heute trägt er statt einem Anzug Jeans und T-Shirt.

„Ich habe es mir anders überlegt. Du bist mir eine Erklärung schuldig."

Dean fährt sich mit der Hand durch die perfekten Haare, auf der Suche nach den richtigen Worten.

„Okay. Ich hatte nie vor, euch im Stich zu lassen. Ich hatte mir eine Uni in der Nähe ausgesucht. Dann kam aber mein Vater und hat mir verkündet, dass er mich an einer Uni in New York angemeldet hat, wo er mit dem Direktor befreundet ist. Ich habe ihm tausend Mal gesagt, dass ich dort nicht hinmöchte, er hat es aber ignoriert und mich tierisch unter Druck gesetzt. Somit hatte ich keine andere Wahl. Mir blieb nicht einmal die Möglichkeit, mich von dir zu verabschieden, da bald schon mein Flug ging. Ich war so unfassbar wütend auf meinen Vater und habe ihn dafür gehasst. Er hat mir im Prinzip meine Familie genommen. Ich konnte dir gerade mal diesen kurzen Brief schreiben.

Von dort aus immer wieder Briefe geschrieben, aber sie sind nie bis zu dir gekommen. Du warst schon ausgezogen von zu Hause. Ich habe so gut wie jeden, den du kanntest damit terrorisiert, dass sie mir sagen, wo du wohnst. Ich war also schon öfters mal wieder in Deutschland. Keiner wollte mir etwas sagen, was ich auch verstehen kann. Sie haben mir nicht mehr getraut und wollten dich beschützen.

Jedes Mal habe ich dich auch hier gesucht, aber nie gefunden, bin bei deinen Eltern angetanzt, aber du warst nie dort. Als ich dich gestern endlich nach drei Jahren gesehen habe, war ich überglücklich, aber gleichzeitig hatte ich auch furchtbare Angst, da ich wusste, wie sehr du mich hasst.

Letztendlich wollte ich nie, dass es so kommt. Ich habe dich geliebt und ich habe mich darauf gefreut, Vater zu werden. Mir tut das alles so unendlich leid."

Ich bin sprachlos. Damit hätte ich niemals gerechnet. Nicht mit solch einer Geschichte, die meiner Vorstellung so abweicht. Er hat mich geliebt. Und ich breche in Tränen aus.

Was habt ihr gedacht, ist passiert?

Ich werde mich jetzt mit meinen Hausaufgaben in Rechtskunde befassen und mit kindlicher Vorfreude das BGB durchstöbern, auf der Suche nach Begriffen, die mir zur Beantwortung des Textes über Sachmängelhaftung helfen. (Achtung! Möglicherweise wurde hier gerade Sarkasmus verwendet.)

Plötzlich Schwanger Where stories live. Discover now