Der erste Augenblick

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Fünf Tage habe ich gewartet, bis ich Dean endlich angerufen habe. Ausgerechnet an diesem Tag musste er wieder zurück. Unser Timing ist einfach beschissen. Ich betonte extra nochmal, dass es seine letzte Chance ist, um Leo zu sehen, damit er ja wieder zurückkommt. Wobei sich mir die Frage stellt, warum mir das mit einem Mal so wichtig ist. Vermutlich haben mich die Worte von Mona getroffen. Jedes Kind hat es verdient seinen Vater zu kennen. Außer dieser Vater ist ein absolutes Schwein. Das würde ich dann von jedem Kind fernhalten und seine Existenz verleugnen.

Die ganze Woche über schwirrt mir Dean im Kopf herum. Durch sein plötzliches Auftauchen hat er in mir alles durcheinander gewirbelt. Ich fühle mich wie in dem Gehirn einer siebzehnjährigen. Die ganze Zeit zerbreche ich mir den Kopf darüber, mit wie vielen Frauen er in letzter Zeit geschlafen hat, ob er eine Freundin oder sogar eine Frau hat, ob er noch etwas für mich empfindet. Alles Fragen, für die ich mich selber hasse.

Aber wie sieht es bei mir aus? Mit Männern habe ich gar nichts mehr zu tun, außer mit Luce. Unser gescheitertes Date habe ich noch nicht beglichen. Dafür fehlt mir momentan auch der Nerv. Empfinde ich noch etwas für Dean? Kann man das überhaupt noch, wenn man sich drei Jahre kein einziges Mal gesehen hat? Dass ich ihn noch attraktiv finde, steht außer Frage, leider. Aber die Gefühle von damals sind nicht mehr da. Ich spürte eine gewisse Nervosität, als ich ihn die letzten drei Male gesehen beziehungsweise gehört habe, aber das ist wohl normal, oder?

Ich verbringe mein Wochenende bei meiner Familie. Meine Schwester und ihr Freund Tom sind auch da. Die beiden sind wie ein Paar aus einem viel zu kitschigen Roman. Wir haben es uns alle mit Kaffee und Kuchen im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Mom hat wie jedes Mal, wenn wir hier sind, Leo ganz für sich beansprucht. Sie ist eine tolle Oma. Ob man es glaubt oder nicht, aber Dad ist genauso gut in der Rolle als Opa. Ich bin ihm wirklich dankbar. Nachdem Leo da war, hat er sich sofort in ihn verliebt.

"Wir möchten euch etwas sagen, oder besser gesagt zeigen.", kreischt Mona schon fast mit einem breitem Grinsen. Sie streckt uns ihre Hand entgegen. Erst weiß ich gar nicht, was das soll, dann fällt mir aber der silberne Ring an ihrem Finger auf. Wahnsinn, erst zwanzig Jahre alt und schon verlobt mit dem vermutlichen Mann ihrer Träume. Während ich alleinerziehend bin. Trotzdem gönne ich es ihr, ich freue mich richtig für sie. Das zeige ich ihr auch mit einer festen Umarmung.

Mom kommen schon die Freudentränen und auch Dad lächelt. Tom ist genau Dad's Typ von Schwiegersohn. Die beiden könnten sich kaum besser verstehen.
"Aber seid euch da auch bloß richtig sicher. Eine Scheidung wird teuer!", warnt er sie vor. Mom stößt ihm den Ellenbogen in die Seite und sieht ihn strafend. Mona lacht aber nur darüber. Das ist eben sein Humor.

Endlich ist Montag, was heißt, dass heute Dean wieder kommt. Ja, ich freue mich ein wen darüber, aus mir unerklärlichen Gründen. Ich habe ihm meine Adresse geschrieben. Bald wird er also hier sein und Leo zum ersten Mal seinen Papi sehen. Ich bin si aufgeregt! Aber was kann schon Schlimmes passieren?

Es klingelt, vor der Tür steht Dean. In einer Hand hält er drei große Packungen Gummibärchen.
"Ich weiß ja, was du von Blumensträußen hältst und eine Vorliebe für dieses Zeug hier hast." Ich bin sprachlos, dass er das noch weißt. Ich hatte ihm nur mal so nebenbei erzählt, dass Blumensträuße doch eine total blöde Geste seien. Jemanden, den man mag, schenkt man diese anfangs schönen Blumen, die man sich dann in einer hässlichen, alten Vase in irgend eine Ecke stellt und ihnen beim Verwelken zusieht. Was ist dabei die Aussage? Du wirst ebenfalls alt. Deine Haut verwelkt, dein Stängel knickt ein, deine Haare fallen dir wie Blüten aus. Das nenne ich nicht gerade schmeichelhaft. Von Gummibärchen habe ich wenigstens was. Die machen satt und die Gelatine ist auch noch gut für die Nägel.

Ich bedanke mich und muss mir ein Grinsen stark unterdrücken. Er hat sich tatsächlich Gedanken gemacht. Er kommt herein und ich bitte ihn, sich hinzusetzen. Schnell hole ich Leo aus seinem Zimmer. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Wie es Dean erst gehen muss?

Er sitzt richtig verkrampft auf dem Sofa. Als er uns sieht, scheint sich alles in ihm anzuspannen. Ich setze mich neben ihn. Dean starrt Leo mit offenem Mund an. Kurzzeitig bekomme ich sogar Angst, dass er das Atmen vergessen hat.
"Darf ich vorstellen? Das ist Leo, dein Sohn. Leo, das ist dein Papa."  Leo guckt Dean erst erschrocken an, dann vergräbt er sein Gesicht in meinem Hals. Er ist sehr scheu, was fremde Menschen betrifft.
"Oh mein Gott.", haucht Dean, als ich schon denke, er würde gar nichts mehr sagen können. Zögerlich setze ich Leo auf seinen Schoß und Dean hält ihn so vorsichtig fest, als wäre er aus Luft.
"Keine Angst, mein Kleiner.", rede ich Leo zu. Er hat immer noch diesen seltsamen Gesichtsausdruck, führt dann aber seine Hand vorsichtig an Deans Gesicht und plötzlich breitet sich ein Lächeln auf Leos Gesicht aus. Sagen tut er nichts. Manchmal mache ich mir Sorgen deswegen, aber er redet einfach nicht gerne.

"Passiert das hier gerade wirklich?", fragt er ungläubig.
"Ja, Dean. Das ist die Wirklichkeit. So ging es mir auch, als ich ihn zum ersten Mal ihm Arm hielt.", bei dieser Erinnerung und dem Bild vor mir steigen mir ein paar Tränen in die Augen. Damit bin ich nicht allein. Ein Blick auf Dean zeigt mir, dass bei ihm schon ein kleiner Wasserfall losgebrochen ist. Ich habe ihn noch nie weinen sehen. Jedoch sind es Freudentränen. Dean lächelt. Es ist ein stolzes Lächeln. Mit so einer gefühlvollen Reaktion hätte ich ehrlich gesagt nicht wirklich gerechnet.

"Er hat deine Nase und deinen Mund.", stellt er mit zitternder Stimme fest, während Leo anfängt, auf seinem Schoß unruhig zu werden.
"Sein Name passt irgendwie. Den hast du gut ausgesucht."
"Danke."
"Ich hätte ihn so gerne schon von Anfang an gekannt."
"Ich weiß." Mir entweicht ein Schluchzen. Hier sitzen wir also. Zwei junge, stolze Eltern, mit einem tollen Jungen, die sich die Augen ausweinen. Vor Freude und gleichzeitig aus Trauer, um die verlorene Zeit. Wie wäre es wohl gewesen, wenn er geblieben wäre? Ist es uns noch möglich, die Vergangenheit wieder hinzubiegen und nun alles richtig zu machen oder ist es jetzt schon zu spät?

Das Augenblick in der Überschrift ist übrigens im übertragenen Sinne zu verstehen.

Plötzlich Schwanger Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt