Kapitel 5 *überarbeitet*

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"Ein Wolf?", stotterte ich und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie erschrocken ich über seine Frage war. Paul nickte und seine Augen blitzten begeistert auf.

"Ja! Es wurde ein weißer Wolf hier am Stadtrand gesichtet. Die Wölfe kehren zurück. Ist das nicht der totale Wahnsinn?" Er freute sich wie ein kleines Kind und seine anfängliche Schüchternheit schien wie verflogen.

Ich versuchte meinen Unmut über die Entdeckung zu verstecken und versuchte die ganze Situation herunterzuspielen. "Aber das war ja nur ein einzelner Wolf. Ich denke nicht, dass die Wölfe zurückkehren. Das war sicherlich nur ein Irrtum, wenn nicht sogar das Bild gefaked wurde."

"Das denke ich nicht." Paul schüttelte seinen Kopf, sodass seine Haare umher wirbelten. "Das Bild sieht zu echt aus und wieso sollte man so etwas fälschen? Wölfe sind immer in Gruppen unterwegs..."

"Rudel.", unterbrach ich ihn sofort.

Er starrte mich verwirrt an und ich merkte meinen Fehltritt.

Ich zuckte unschuldig mit den Schultern und versuchte meine Unterbrechung zu erklären: "Erst demletzt kam eine Dokumentation über Wölfe im Fernseher. Eine Gruppe von Wölfen nennt man Rudel."

Paul hob eine Augenbraue und lachte dann plötzlich auf.
"Rudel, dass ich da nicht selbst drauf gekommen bin. Also gut...Wölfe sind immer in einem Rudel unterwegs und die logische Schlussfolgerung wäre, dass noch mehr Wölfe hier in der Umgebung sein müssten."

So langsam hatte ich  keine Ideen mehr, wie ich ihn von der Nicht-Existenz der Wölfe überzeugen konnte. Einen letzten Versuch musste ich noch starten. "Wie erklärst du dir die weiße Fellfarbe des Wolfs. Die sieht doch ziemlich unecht und gefälscht aus." Dass ich mal mein eigenes Fell als gefälscht bezeichnen würde, hätte ich auch nie vermutet.

Wie aus der Pistole geschossen kam eine Antwort aus Pauls Mund: "Anomalie. Dieser Wolf hat eine andere DNS wie die anderen Wölfe. Es ist ein besonderer Wolf."

Ich schnaubte. Mich hatte man noch nie mit einer Anomalie verglichen. Ich griff nach meiner Gabel und spießte einen weiteren Essensbrocken auf, um Zeit für meine Antwort zu schinden. Langsam kaute ich und vermutete dann schlussendlich: "Vielleicht ist dieser Wolf gerade durch diese Anomalie alleine unterwegs und nur auf der Durchreise."

Paul sah aus, als würde er etwas entgegen wollen, doch er schluckte es herunter und nickte schwach. "Das muss es wohl sein.", murmelte er nachdenklich.
Ein kleiner Seufzer entwich mir erleichtert. 

"In welcher Klasse bist du eigentlich?", fragte ich, um das Thema Wolf endgültig zu umschiffen. Paul sprang nach einem Moment darauf an  und antwortete: "Ich mache dieses Jahr meinen Abschluss."

"Genau wie ich.", sagte ich grinsend.

Er sah mich erstaunt an. "Ich sehe dich zum ersten Mal hier. Wieso wechselst du mitten im Schuljahr hierher?"

Darauf hatte ich mir am Vorabend schon eine Ausrede einfallen lassen, die mir wahrscheinlich jeder abkaufen würde.

"Mein Dad wurde von seinem Arbeitsplatz in diese Stadt versetzt und das mit sofortiger Wirkung. Wir mussten sofort umziehen und ich hab meinen Abschluss schon in der Schule vor meinem Umzug begonnen.", log ich also und stocherte in meinem Essen herum. Das schlechte Gefühl in meinem Magen veruchte ich zu ignorieren.

Mit meiner Antwort zufrieden, plauderten Paul und ich noch bis zum Ende der Pause über alles möglich wie unsere Hobbys oder unsere Familie. Nicht nur einmal musste ich auf eine Lüge zurückgreifen, denn ich konnte ihm ja schlecht gestehen, dass ich es liebte als Wolf durch den Wald zu streifen oder kleine Tiere zu jagen. Kurz bevor es klingelte, zeigte mir Paul auch schon, wo mein nächster Unterrichtsraum lag und wir stellten fest, dass wir einige Fächer zusammen hatten. So verabschiedete ich mich von ihm. Während ich Spanisch hatte, hatte er den Französischkurs belegt.

Haunting | #wattys2016 |Where stories live. Discover now