Kapitel 22

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Ich bin bei einer Freundin nach der Schule.

Ohne weiter darüber nachzudenken, schickte ich die SMS ab. Ich starrte auf das schwarze Handy in meiner Hand und versuchte das nahende Gefühl in meinem Bauch weitestgehend zu ignorieren. Nur war das nicht so einfach. Der Verrat zerrte an mir und lautete schwer auf meinem Herzen.

Das Handy kündigte mit einem leisen Vibrieren eine Nachricht an und schweren Herzens las ich die Antwort.

Okay, aber komm nicht zu spät nach Hause. Pass auf dich auf.

Max Antwort vergrößerte mein schlechtes Gewissen, wenn das denn überhaupt noch ging. Er hatte sich schon immer um mich gesorgt, stets fragte er mich nach meinem Wohlergehen. Ich konnte mir keinen besseren Bruder vorstellen. Auch wenn wir uns nicht immer blenden verstanden, welche Geschwister stritten denn mal nicht?

Nachdenklich hatte ich meinen Griff um das Handy gelockert und mein Handy landete mit einem leisen Knaller auf dem Boden. Fluchend hob ich mein Handy auf, ich durfte mich nicht mehr so ablenken lassen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass mein Handy keine bleibenden Schäden davongetragen hatte, steckte ich es eilig ein.

Schritte ertönte vor der Tür und ich richtete mich auf.
Shane öffnete die Tür und reichte mir ohne ein weiteres Wort das versprochene Glas Wasser.

"Wie geht es deinem Kopf?", wollte er wissen und beobachtete, wie ich an dem kühlen Nass nippte.

Wasser floss mir die Kehle hinab und ich schluckte eilig.

"Besser."

Es stimmte. In Shanes Gegenwart spürte ich kaum etwas und es war beinahe wie vor meinem Unfall.

Shane lächelte zufrieden und verschränkte geistesabwesend seine Hand mit meiner.

"Was hälst du davon, wenn wir zusammen einen Film anschauen?", fragte er.

Ich nickte und setzte das nun leere Glas auf seinem Schreibtisch ab.

"Ich muss dich aber warnen Shane. Ich bin ein ziemlicher Filmenerd.", warnte ich ihn spielerisch und wackelte mit meinen Augenbrauen.

Shane lachte und es schien, als hätte er seinen Ausbruch von vorhin vergessen. Oder verdrängt.

"Nein ernsthaft. Ich frage mich manchmal bei den Charakteren, wieso sie sich so entscheiden. Wenn aus meinem Keller Geräusche kommen und ich alleine zu Hause bin, dann bin ich doch klug genug, um nicht alleine da runter zu gehen."

Leidenschaftlich fuchtelte ich mit meinen Händen in der Luft und unterstützte damit meine Aussage.

"Darum sind so viele Horrorfilme unrealistisch und ich möchte nicht mit romantischen Filmen anfange.", setzte ich fort und folgte Shane die Treppen hinunter in das riesige Wohnzimmer.

Shane hörte sich ruhig meine Ausführungen an und schmunzelte mehr als nur einmal über das Gesagte.

"Das hier ist purer Ernst.", fuhr ich ihn an und boxte ihm leicht in seine Seite.

Geschlagen hob Shane seine Hände.

"Ich weiß. Tut mir aufrichtig leid.", sagte er ernsthaft und verzog keinen einzigen Muskel.
Allein seine Augen verrieten ihn und ich sah, dass er kurz davor war mich wieder auszulachen.

"Ja ja ... du Heuchler!", sagte ich beleidigt.

Shane konnte seine Maske nicht mehr aufrechterhalten und er prustete los.

Ein Grinsen schlich sich auf meine Gesicht und ich verdammte mich, dass ich nicht lange wütend auf Shane sein konnte.

Noch immer grinsend brummte ich: "Du bist doof."

Haunting | #wattys2016 |Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt