SIEBEN

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"Was hast du jetzt für ein Fach?", fragte Tessa mich, während sie ihren Lippenstift in den Mädchen Toiletten auftrug und sich selbstsicher im Spiegel betrachtete.

Nachdem sie mich vorhin verteidigt hatte, entschied ich einfach die restliche Pause mit ihr zu verbringen. In fünf Minuten würde es eh zum nächsten Unterricht läuten.

"Äh, Mathe und du?" Ich fummelte an meinen Armbändern herum und kaute etwas nervös auf meiner Unterlippe. Es war neu für mich nicht alleine in der Pause zu sein. Irgendwie hatte ich aber das Gefühl das Tessa und ich wirklich Freundinnen werden könnten.

"Englisch. Willst du auch? Der würde dir bestimmt stehen.", lächelte sie mich an und streckte mir ihren knallroten Lippenstift entgegen.

"Uhm, nein danke. Ich bin mir sicher es würde schrecklich aussehen.", murmelte ich. "Ich trage keinen Lippenstift.", fügte ich noch hinzu. So langsam gelang es mir sogar, volle Sätze zu sagen.

"Schade. Du solltest mal ein bisschen mehr aus dir raus kommen, Skye. Wie wär's wenn du morgen mal etwas Make-Up aufträgst und vielleicht, naja, wenn du willst kann ich dir Klamotten ausleihen.", sagte sie vorsichtig und musterte mich schmunzelnd.

Es war ein lieb gemeinter Kommentar, dass weiß ich. Aber es war trotzdem meine Sache wie ich mich zeigte.

"Sehr nett von dir, a-aber ich, also ich gefalle m-mir so.", antwortete ich und schaute mich dabei im Spiegel an.

Tiefe Augenringe, hier und da Pickel, dünn und blass. Wem machte ich hier was vor? Nein, ich gefiel mir nicht wie ich war. Aber ich wollte auch nichts an mir ändern, denn dann würde ich mir nicht wie ich selbst vor kommen. Wobei ich nicht mal weiß wer und wie ich sein wollte... Vielleicht sollte ich mir Tessa's Tipp etwas zu Herzen nehmen...

"Okay. Komm, lass uns zu unseren Spinden gehen, der Unterricht geht gleich wieder los.", meinte sie dann. Ich nickte leicht und folgte ihr raus auf den Schulgang, der jetzt schon voll von Schülern war. Einige schauten zu uns rüber, grüßten Tessa oder starrten mich komisch an. Ich versuchte die Blicke so gut wie möglich abzublocken.

Vor Tessa's Spind hielten wir dann an, sie holte ihre Bücher raus und dann folgte sie mir zu meinem Spind. Ich öffnete ihn und kramte mein Mathe Buch raus.

"Wieso ist dein Spind so leer?", fragte Tessa verwirrt und hatte ihre Augenbrauen zusammen gezogen. Verwundert musterte ich das Innere meines Spindes, das eigentlich vollgestopft mit Büchern und Heften war.

"W-was meinst du? Der ist doch voll?", erwiderte ich dann und zeigte auf die Bücher.

"Das sehe ich, aber ich meine die leere Türe. Da hängen ja gar keine Fotos, Sticker oder sonstiges."

Ich schaute auf die Türe und überlegte kurz, warum ich da nie etwas aufhängte. 

Ich hätte Bilder von meiner Mum, meines Bruders und mir aufhängen können. Oder Bilder meines Lieblingssängers, Shawn Mendes. Seine Musik munterte mich zumindest manchmal auf.

"Hm, ich schätze mir fehlte die Freude daran.", sprach ich dann die Wahrheit aus. Tatsächlich konnte ich nie die Freude aufbringen irgendwelche Erinnerungen oder Bilder dort hin zu hängen. Sie hätten mir die grausame Zeit in der Schule auch nicht verbessert.

Tessa's Blick wurde weicher und ich wusste, dass sie Mitleid mit mir hatte. Schließlich war sie ein Teil davon, warum ich so eine Zeit in der Schule hatte und noch habe.

"Tut mir leid." Sie legte ihre Hand auf meine Schulter und drückte sie leicht.

Ich lächelte schwach, als dann die Klingel zum Unterricht ertönte. Tessa seufzte frustriert Luft aus, rief mir ein "Bis nachher", zu und verschwand um die Ecke. Ich schloss mit einem Knall meine Spindtüre und begab mich zum Klassenzimmer. Ich setzte mich auf meinen Platz und wartete geduldig, bis der Unterricht begann.

BlakeWhere stories live. Discover now