19//Barnabas

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55. Lunas Sicht

Als ich wach wurde und die Augen aufmachte, sah ich Christians College-Jacke an meinem Kleiderschrank hängen. Die Buchstaben C und P auf der Brusttasche fielen mir zuerst ins Auge. Ich spürte den Alkohol der letzten Nacht in meiner Blutlaufbahn und bei mir drehte sich alles, als ich aufstand. Zuerst verschwand ich für ein paar Minuten im Badezimmer, danach schnappte ich mir Christians Jacke und schnupperte gedankenverloren an dem teuren Einzelstück. Sie roch so unglaublich vertraut, so das ich sie mir kurzerhand überzog. Es war wie ein Drang, dem ich nicht Wiederstehen konnte und obwohl Christian nicht viel größer war wie ich, war mir seine Jacke viel zu groß. An den Armen waren die Ärmel zu lang und ich hatte das Gefühl, dass ich sie mir zweimal umwickeln konnte. Dennoch schaute ich kurz in den Spiegel, ehe ich sie wieder an meinen Schrank hängte. Nach dem ich mir einen Kaffee gemacht hatte, ging ich duschen und zog mich an. Kurzentschlossen schwang ich mich in mein altes Auto und fuhr zu meinen Eltern, denn ich wollte zum sonntäglichen Mittagessen dort sein. Vorher wollte ich noch mal in meinen alten Stall vorbeischauen und ein paar Freunde grüßen. Für Sport war mir viel zu schwindelig, aber soviel getrunken, das ich 12 Stunden später nicht mehr fahren konnte, war ich Gott sei Dank nicht. Ich merkte einfach, dass ich gestern etwas getrunken hatte.
Nach weniger als einer Stunde war ich im Stall und mein erster Gang führte zu den geräumigen Boxen mit Auslauf nach draußen. Ein leises Schnauben war zu hören, als ich linksherum in die Stallgasse lief. Barnabas hatte den Kopf über seine Tür gesteckt, als hätte er mich schon weitem kommen gehört. Das deutsche Reitpony schnaubte ruhig. Ich liebte dieses Pony so sehr, wie man eben ein Pony lieben konnte. Auf Barnabas hatte ich reiten gelernt und wir hatten zusammen viele tolle Stunden verbracht. Wenn ich hier hin kam, wollte ich nur ihn reiten. Es war so als würde uns beide ein besonderes unsichtbares Band verbinden. Außerdem war er das Pony des Reiterhofbesitzers, dieser hatte es damals für seine Enkeltochter gekauft und nicht jeder durfte Barnabas reiten. Ich dagegen durfte es immer und ich liebte dieses Pony unglaublich. „Hallo alter Junge!" Begrüßte ich das graue Pony und zog ein Tictac aus meiner Jackentasche. „Ich weiß, dass du auf Pfefferminz stehst!" Kicherte ich und das Pony drückte seinen Kopf gegen mich. Wie sehr ich diesen Augenblick vermisst hatte, denn Pferde verschaffte mir immer noch wirkliche Freude und Ruhe. In Dortmund hatte ich keine Zeit meiner Leidenschaft nachzugehen und es war ein Preis, den ich für die Polizei bezahlen musste, aber es war auch ein Preis den ich bereit war für meinen Traumberuf zu bezahlen. Wenn ich dann aber Mal Reiten konnte, dann tat ich es auch. Der Besitzer des Hofes entdeckte mich recht schnell und arbeitete an der Reparatur einer Boxentür. „Hey Luna, das ist aber schön dass du da bist!" Begrüßte er mich freudig. „War Barnabas schon draußen?" Fragte ich und deutete auf das Pony. „Nein, aber hau schon ab!" Lächelte er. Ich eilte mich und striegelte das Pony kurz, ehe ich es sattelte. Die Reithalle war belegt, also wollte ich schließlich eine Runde durch den Wald drehen. Dort waren zwei Natur-Hindernisse über die man hervorragend Flitzen konnte, denn für so einen kurzen Ausflug konnte ich Barnabas nicht viel mehr Spaß gönnen - als einen kurzen und wilden Ausflug durch den Wald. Er fehlte mir, aber umso schöner waren solche Momente. Ich war froh, dass ich körperlich nie sonderlich groß geworden war und das ich ohne weiteres immer noch ein Pony reiten konnte, ohne schlechtes Gewissen zu groß oder zu schwer zu sein.
Auf dem Rückweg zum Hof machte ich ein Foto für Christian und schickte es ihm. Seine Antwort kam gleich: „Du darfst niemals meiner Schwester sagen, dass du reitest!!!" Ich lachte über das idiotische Einhorn-Emoji. Erst dann realisierte ich das ich mich nach unserem gestrigen Date zuerst gemeldet hatte. War das ein Problem oder war es nicht so dass sich in den USA zuerst der Kerl melden musste? Seine zweite Nachricht folgte, aber gleich. „Bin beim Training. Melde mich später..." Ich steckte mein Handy beiseite und ritt zurück zum Hof. Nach dem ich das Pony versorgt hatte, fuhr ich wehmütig zu meinen Eltern. Ich klingelte an die Haustür und meine Mutter öffnete gut gelaunt. „Kind!" Strahlte sie und nahm mich in die Arme. „Ich dachte, ich komme zum Mittagessen!" Strahlte ich. „Du warst im Stall - ich rieche es." Lachte meine Mutter und schob mich in die Küche. Sie kochte gerade und meine beiden Brüder mit ihren Familien waren ebenfalls anwesend. So war das eben jeden Sonntag bei uns. Die, die arbeiteten musste, arbeiteten und die anderen verbrachten Zeit mit der Familie. Mein Handy klingelte erneut. Jacob hatte mir eine Nachricht geschickt. „Reden wir noch miteinander?" Schrieb er mir und ich wusste nicht so recht wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Immerhin hatte ich mich gestern schon schlecht gefühlt, dass ich ihn gestern noch für dem Date mit Christian gesehen hatte. Ich konnte nicht einfach mit ihm schreiben ohne gegenüber Christian ein schlechtes Gewissen zu haben. Vor allen Dingen nicht, nach dem ich für den Amerikaner Shawn Mendes gesungen hatte. Doch das ich noch mal mit Jacob reden wollte, stand dabei nicht zur Debatte. „Bin unterwegs!" Antwortete ich ihm und versuchte mich meiner Familie zu widmen. „Du siehst müde aus!" Zog mich mein Bruder auf. „Ich war unterwegs!" Sagte ich und über meine Lippen huschte dieses kurze dümmliche und absolut verräterische Lächeln. „Sag nicht du warst wieder mit dieser komischen überheblichen Clique unterwegs!" „Ich war mit meinem Nachbarn unterwegs!" Murmelte ich ohne drüber nachzudenken. „Oh mein Gott!" Kreischte mein Bruder wie verrückt. „Du bist doch eine WAG!" Zog er mich auf. „Eine was?" Fragte ich ihn stirnrunzelnd. „Na eine Wife And Girlfriend. So nennt man die Fußballfrauen! Wer ist denn der glückliche? Marco kann es nicht sein...." Ich verdrehte die Augen. „Du bist verrückt!" Tat ich es ab, als mein Handy erneut klingelte. Ich linste unterm Tisch aufs Display und entdeckte ein Foto von Christian. Er war beim Sport und schwitzte beim Basketball gegen die anderen Jungens und ich musste automatisch Schmunzeln. „Ich habe noch deine Jacke..." Tippte ich in mein Handy. „Ich weiß wo sie ist..." Kam seine Antwort gleich. „Luna Handy weg!" Zischte meine Mutter und ich verdrehte die Augen. „Also wer sind denn jetzt deine Nachbarn?" Zog mich nun mein anderer Bruder weiter auf... Die beiden waren wie ein Sack Flöhe und egal was ich den beiden Jungens sagte, sie glaubten mir so oder so nicht. Kleine Schwester zu sein war nicht immer ganz so einfach.

Neighbours  // Christian Pulisic & Jacob Bruun LarsenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt