23| Das Unerwartete kommt meist plötzlich

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Ich sprang über die zerteilte Holzpuppe und rammte mein Schwert in den Stoff der nächsten. Mit einem Ruck zog ich es wieder hinaus und warf es mit aller Kraft quer durch den Raum. Es durchschnitt das Holz, als wäre es aus Butter, und blieb in der Wand dahinter stecken.
Paul sprang mit einem kleinen Schrei einen Meter davon weg.
"Wolltest du mich umbringen?!"
"Wenn ich dich tot sehen wollte, wärst du es auch", erwiderte ich ruhig.
Meine Antwort beruhigte ihn nicht unbedingt, trotzdem kam er vorsichtig näher.

"Gibt es einen Grund dafür, dass du gerade alle Übungspuppen in diesem Raum zu Brennholz verarbeitet hast?"
Ich hob das Messer auf, welches von der Wand abgeprallt war.
"Ich bevorzuge, nicht darüber zu sprechen." Damit schleuderte ich das Messer durch den gesamten Saal in die gegenüberliegende Wand, in der es endlich stecken blieb.
Paul war ihm mit seinem Blick gefolgt, sah mich jedoch fast augenblicklich wieder an.
"Ich hoffe du weißt, dass du immer mit mir reden kannst."
"Wieso? Dass du Schmidt dann Bericht erstatten kannst?" Ich sah ihn an. Wir standen einige Meter voneinander entfernt, trotzdem sah ich alle seine Gesichtszüge genau. Ob das auch andersherum der Fall war, konnte ich nicht sagen.
"Nein." Paul sah mich mit einer versteinerten Miene an. "Damit du dich besser fühlst."

Ich wusste nicht, ob ich jemals jemanden erzählen würde, dass ich Schmidt angeschrien hatte, dass er mir nicht vertraute, dass ich mir nicht sicher war, ob ich die richtigen Entscheidungen getroffen hatte. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich einfach auf meine Mutter gehört hätte. Dann wäre ich jetzt in Wien und könnte in aller Stille darüber weinen, dass mein Vater gestorben ist.

~~~

Vorsichtig skizzierte ich auf einem Blatt einen Teil meiner Uniform, als auf einmal die Miene des Bleistiftes abbrach. Voller Wut schoss ich den Rest des Stiftes den Raum. Er prallte an der Wand ab und fiel einfach nur zu Boden.
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich ließ mich wieder in den Sessel zurückfallen und legte meinen Kopf auf meinen Armen ab.
"Livia?"
Eine Stimme erklang hinter mir. Hoffnungsvoll drehte ich mich um und dort stand wirklich Nina. Ich hatte sie seit so langer Zeit nicht gesehen und das machte sich auch bemerkbar. Ihre Haare waren kürzer, kurz genug zumindest, um sie als Soldatin offen tragen zu können. Sie stand viel gerade und alles an ihrer Haltung schrie "Militär".
Ich wollte immer wieder etwas sagen, doch ich wusste nicht, wie. Nina lächelte ein wenig und kam auf mich zu. Sie musste gar Nichts sagen, allein durch ihre Umarmung drückte sie so viel Mitgefühl aus, wie Worte das nie könnten. In ihren Armen ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Mich sah sowieso niemand.

~~~

Einige Zeit später war ich auf meinem Zimmer. Nina hatte mir befohlen, mich auszuruhen. Es brächte nichts, mich in Arbeit einzudecken. Der Schmerz würde dadurch nicht vergehen. Nun lag ich in meinem Bett, hellwach und mit tränenden Augen. An Schlaf war nicht zu denken, ich konnte einfach nicht aufhören, an meine Familie zu denken.

Das Klopfen an der Tür kam mir irgendwie irreal vor. Ich hatte nicht vermutet, dass mich jemand sehen wollte, jetzt, als ich ein einziges emotionales Wrack war.
Zwiegespalten erhob ich mich. Ich wollte keinen Besuch, doch ein wenig Gesellschaft wäre auch nicht schlimm gewesen. Ich öffnete die Tür und wünschte sofort, ich hätte es nicht getan.

"Guten Abend, Miss Schwarz!" Agent Falk lächelte mich an. Warum tat er das? Wusste er nicht, was passiert war?
"Ich habe hier zwei Briefe für Sie." Er drückte mir zwei Zettel in die Hand und verschwand wieder.
War noch etwas Anderes vorgefallen, von dem ich nichts wusste? Warum war er so unfreundlich zu mir? Gab es einen Grund für die ausgefallene Verabschiedung?
Während ich die Tür hinter mir schloss, sah ich mir die Umschläge genauer an. Auf keinem von beiden stand vorne etwas drauf, doch ich konnte in der unteren Ecke des einen ein Symbol erkennen - das Symbol, welches meine Mutter auf all ihre Umschläge stempelte.
Ich setzte mich auf die Bettkante und öffnete vorsichtig den Brief. Darin befanden sich zwei Stücke Papier, ein kleines und ein größeres, zusammengefaltetes.
Ich hob zuerst das Größere heraus. Den Umschlag legte ich beiseite, während ich das Papier entfaltete. Die Schrift darauf war eindeutig die meiner Mutter, wenn auch ein wenig krakeliger. An einigen Stellen war sie verschwommen.

Captain Death [1] || {Captain America FF}Where stories live. Discover now