15 - Auf den lichten Tag folgt die dunkle Nacht

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Ich konnte nicht sagen, wie lange ich auf die beiden Kurgel gestarrt hatte, Tur auf meiner Schulter, Tar auf ihrer Schulter, es kam mir wie Ewigkeiten vor, aber wahrscheinlich waren es nur ein paar Momente. Zwei eng aneinander gedrängte Kurgeln, ein Paar. Unsere Schultern drängten sich beinahe genau aneinander wie die beiden Kurgeln. Nummer 14 hatte es sich wieder auf unserem Sessel bequem gemacht, halb halb quer auf mir, mehr an mich angelehnt als sitzend, las sie ein Buch. Wie ich. Sie... Heisst das, dass ich... In den Augenblick entdeckte ich einen blinden Fleck bei mir: Es stimmt, dass ich meine Täuschungen als das erkannt hatte, was sie waren - und auch wieder Neue erkenne, aber das heisst nicht, dass ich mich deswegen kenne. Ich hatte etwas übersehen. Meine Ignoranz. Ich konnte mir vielleicht nicht mehr selbst etwas einreden, was ich als falsch erkannt hatte, aber es blieben genügend andere Möglichkeiten. Die, ich gerade entdeckt hatte, war Ignoranz. Ich hatte meinen Gefühle einfach nicht wahrhaben wollen und sie somit auch nicht wirklich bemerkt... bemerken wollen. Das war aber nicht das Gleiche, als wenn sie nicht geben würde. Sehen wir es realistisch: Ich hatte mich also einer Illusion hingegeben, aus meiner Einsamkeit heraus. Nun gut, nichts, was ich nun nachträglich dagegen machen könnte. Die Vergangenheit kann man nicht so einfach ändern. Und sie hatte sich in mich verliebt, dem Verhalten der Kurgel nach zu urteilen. Auch dagegen konnte ich nichts machen. Aber ich konnte auseinanderhalten, was dumme Träume und was die Realität war. Die Träume lagen auf der Hand: Ich war einsam und suchte jemanden und ihr ging es schlecht und sie versuchte, sich ihrer Stütze zu versichern und ich hatte es nicht sehen wollen. Eigentlich waren wir genau gleich, nur unsere Gründe waren andere. Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht etwas daran gegeben, einen Weg zu finden, einen gemeinsamen Weg. Vielleicht wäre es auch etwas geworden, wenn ich noch in meinem Brunnen sitzen würde und den Himmel über mir noch für die Welt halten würde. Aber das ging nicht mehr. Ich konnte nicht mehr zurück, ich hatte über den Brunnenrand geschaut, ich wusste, der Himmel, den ich sehe, ist nur ein Teil, ein kleiner Ausschnitt des grossen, des wirklichen Himmels. Zu diesem grossen Himmel gehörte es auch, dass sie ein Opfer des Krieges war, unter dem Krieg gelitten hatte, was heisst, sie hatte unter Todessern gelitten und war deswegen hier, weil sie damit nicht fertig geworden war. Und ich war einer derjenigen, weswegen sie hier war. Beinahe eine zynische Wendung des Schicksals. Selbst wenn sie wirkliche, ehrliche Gefühle für mich haben sollte... spätestens wenn sie erfuhr, wer ich war, wäre sie schockiert. Mindestens. Das war die Realität. So war es! Es tat weh, mehr als ich gedacht hätte. Nicht nur Ent-täuschungen sind hart und schmerzhaft, der klare Blick auf die Dinge ist manchmal nicht viel besser. Schmerzhaft. Aber wichtig und heilsam.

Als ich an dem Punkt angekommen war, wusste ich, ich musste eine Entscheidung treffen. Aber so sehr ich wusste, was das Richtige war, so wenig brachte ich es über mich, den Schritt in diese Richtung zu gehen. Als hätte sie meine Gedanken gehört, klappte sie ihr Buch zu und drehte sich zu mir.

„Ich habe über die Geschichte nachgedacht, die du mir erzählt hast." sagte sie langsam und beinahe nachdenklich.

„Die mit den beiden Zauberern?" fragte ich nach. Ich musste aufpassen, wenn sie das Falsche fragte, würde ich nicht die Entschlossenheit aufbringen, nein zu sagen. Als ich das begriff, ärgerte ich mich. Wie egoistisch ich doch war. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Tun musste. Vor allem, wenn mir wirklich was an ihr liegen würde, durfte ich sie nicht dem Schock aussetzen, den sie sicher haben würde, wenn sie erkennen würde, dass die Person, an der sie sich festgehalten hatte, in Wahrheit einer der war, der an ihrem Leid Schuld hatte. Ich hatte mittlerweile genug Heilkundebücher gelesen und genug von Miss Allencomb gehört, um wenigstens das zu verstehen.

„Mhm. Ich glaube ich habe eine Lösung gefunden." sagte sie langsam und hob am Ende den Kopf und schien mich anzusehen. Es war eine freudige Genugtuung in ihrer Stimme. Ich sah sie abschätzend an, als wenn ich damit begreifen könnte, was sie damit meinte. Als ich ansetzen wollte, etwas zu sagen, begann sie zu aber schon weiter zu reden, als wäre eine seltsame Übereinstimmung zwischen uns. Wie lächerlich. Für einen Moment fragte ich mich, ob der Verhüllungszauber im Umhang defekt war, aber das konnte nicht sein. Sie hätte anders reagiert.

Ich und DracoWhere stories live. Discover now