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Ema

Mit dem Kopf lehnte ich mich gegen die Fensterscheibe, während meine Mutter mich zum Psychiater fährt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ihr den letzen Nerv geraubt habe mit meinem Verhalten. Sie sieht gestresst aus. Die dunklen Ringe unter ihren Augen verraten sie. Es tut mir unglaublich leid, dass sie wegen mir so leiden muss, doch diese Leere in mir will nicht verschwinden und das Drücken in der Magengegend genauso wenig. Ich würde gerne wissen, was sie denkt, doch ich habe seit zwei Tagen nicht mehr mit ihr gesprochen.

Sie wird es nicht verstehen. Wahrscheinlich wird sie so tun, als ob sie es verstehen würde, doch dann, dann wird sie verlangen, dass ich weiter mache und so tue als wäre nie etwas passiert. Einfach alles ausblenden und vergessen. Das hat sie genau so gemacht, als Annie starb. Sie wollte, dass ich aufhöre mich damit zu beschäftigen und zog an einen anderen Ort. Meine Mutter hatte nie wirklich Verständnis für Leute mit psychischen Krankheiten. Sie denkt sowas wäre erfunden. 

Ich teile selten eine Meinung mit meiner Mutter, weil sie eben so altmodisch ist. Sie denkt 'früher war das nicht so, Leute erfinden für alles eine blöde Begründung' und dabei sieht sie nicht, dass sie diejenige ist, die am meisten Hilfe braucht von uns allen. Ich kenne ihre Aggressionsprobleme und ich kenne ihr Verhalten. Also finde ich, dass sie kein beschissenes Recht drauf hat, mir zu sagen was ich tun soll mit meinen Problemen, wenn sie ihre eigenen nicht unter Kontrolle bekommt. 

Würde ich ihr aber sagen, was ich denke und wie ich mich fühle, dann würde sie mich wahrscheinlich umbringen. Ich kann mir schon denken wie sie mich wütend anschauen wird und dann sagen wird 'such dir doch eine neue Mutter, ach ja kannst du nicht, weil ich dich in diese Welt gesetzt habe'. Diesen Satz habe ich so oft in meinem Leben gehört, dass ich ihn sicherlich schon rückwärts aufsagen kann. Nachdem sie das sagt, schlägt sie meist auf irgendetwas ein und dann bin ich die, die zum Psychiater muss.

Schlussendlich ist sie trotzdem die Person, die für mich da ist und nicht jemand anders. Meine Mutter parkte vor einem grauen Gebäude. Der Parkplatz war nicht besonders gross, also brauchten wir nicht lange, um zum Eingang zu gelangen. Vor der Tür hing ein mittelgrosses Täfelchen mit der Aufschrift: Dr. med. Walder FMH für Psychiatrie & Psychotherapie. Innen war es sehr schlicht gehalten und doch fielen einem die gelbe Dekoration und die Bilder von lachenden Menschen sofort auf. 

Es wirkt so gezwungen fröhlich und es gefiel mir nicht. Wenn man die Bilder von den Menschen für einige Zeit beobachtet, dann beginnen sie ziemlich gruselig zu wirken. Insgesamt habe ich ein mulmiges Gefühl bei der ganzen Sache. Meine Mutter meldete sich beim Empfang und ich musste zuerst ein Formular ausfüllen. Danach setzten wir uns ins Wartezimmer, obwohl Dr. Walder keine Sekunde später rein kam, um uns zu rufen. Das mulmige Gefühl in meiner Magengegend bestärkte sich, als ich ihre Hand schütteln musste.

"Schatz ich warte hier auf dich!", rief uns meine Mutter hinterher, während ich mir auf die Innenseite meiner Wange biss. Diese Frau gefiel mir nicht. Sie war um die 50 Jahre alt und hatte gefärbte braune Haare, man sah das an ihrem dunklen Ansatz und den grauen Strähnen, die sie versucht zu verstecken. Sie war kleiner als ich, doch ihr Gesicht wirkte trotz des Lächelns streng. Ihr Büro oder ihre Praxis, keine Ahnung, wie man das hier beschreiben soll, war ordentlich und alles hatte genau seinen Platz.

Wenn man rein kam fiel einem sofort das braune Ledersofa auf. Es war recht klein für zwei Personen gedacht. Gegenüber des Sofas war ein brauner Ledersessel und dazwischen ein kleiner schwarzer Tisch, der sich auf einem beigen Teppich befand. Dahinter befanden sich zwei hölzerne Regale, welche gefüllt mit irgendwelchen Büchern waren. "Setz dich bitte.", meinte Dr. Walder und deutete auf das kleine Sofa. Etwas zögernd setzte ich mich und beobachtete sie dabei, wie sie sich auf den Sessel plumpsen liess.

My AlphaWhere stories live. Discover now