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Ema

Es ist nun Anfangs Februar und ich darf heute endlich Nachhause. Obwohl ich mich frage, ob ich da wirklich hin will. Als ich wieder zu mir kam, war ich bereits in der Anstallt. Man hat mir den ersten Tag frei gegeben, damit ich mich "einleben" kann. Anfangs war ich wirklich wütend und traurig. Doch dann dachte ich an Darian. Er war alleine und ich wusste nicht, was bei ihm abläuft. Also beschloss ich mir Mühe zu geben und kooperativ zu sein, für meinen Freund. Denn er war der Einzige, der mir zugehört hat, als es den Bach runter ging.

In der ersten Woche durfte ich niemanden sehen. Keine Besuche und keine weiteren Personen ausser Carmen und Sandra. Carmen war meine Psychiaterin. Sie war etwa Mitte 50 und sah ziemlich streng aus, doch wenn man mit ihr sprach, fragte man sich, ob nicht sie diejenige ist, die eine Psychiaterin braucht. Ich mochte sie wirklich, sie war witzig und lachte viel. Dann gab es noch Sandra, sie war eine Assistentin und brachte mir mein Essen oder führte mich ins Zimmer zu Carmen. 

Ich fand es komisch sie mit den Vornamen anzusprechen, da ich sie erstens kaum kannte und zweitens beide viel älter waren als ich. Die beiden haben aber ziemlich schnell kapiert, dass ich keine Gefahr für mich oder für Andere bin, deshalb durfte ich in der zweiten Woche auch in den Gemeinschaftsraum. Dann haben sie erlaubt, dass ich besucht werde, aber nur von Familienmitgliedern. Darian hat sich natürlich gleich als Tim ausgegeben und hat mich so besuchen können. 

Ich habe den zukünftigen Alpha noch nie so verloren gesehen. Seine Augenringe waren tief und dunkel und er sah im Ganzen ziemlich schwach aus. Es brach mir das Herz zu wissen, dass ich die Schuld daran trug. Andererseits war er glücklich, dass man mir hier hilft und dass ich Fortschritte machte. Er besuchte mich so oft er konnte und war jedes Mal der letzte Besucher hier. Darians ganze Aura wirkte müde und verletzlich, sodass ich mir wirklich sorgen um ihn machte. Ich spüre diesen Matebond nicht so wie er, deshalb kann ich ihn schlecht einschätzen.

Im Laufe der zweiten Woche hat Carmen eine Zwangsstörung bei mir entdeckt. Sie meinte, dass meine Verlustangst daher kommen könnte und sie hat mich seit dem mehr beobachten lassen. Die Methoden die sie benutzt, wie Tagebuch schreiben, damit ich ihr in unseren Sitzungen über meine Gefühle erzählen konnte, halfen mir eine Menge. Doch den Plüsch-Hasen zu schlagen oder anzuschreien, war mir da doch etwas zu heftig. Der Hase verbrachte deshalb die meiste Zeit in "meinem Zimmer". 

Ich war mir unsicher, ob ich überhaupt in dem Gemeinschaftsraum wollte, doch ich habe schnell einen Freund gefunden, der etwa eine Woche vor mir hier eingeliefert worden ist. Max hat versucht sich umzubringen und als er mir das erzählte, fing ich an von Annie zu erzählen. Meine Aufsichtsperson muss sowieso alles an Carmen berichten, welche äusserst stolz auf mich war. Max und ich spielten immer, wenn Darian im Moment nicht da war, mit den Karten in der Sofaecke. 

In der dritten Woche hat Max erneut versucht sich umzubringen. Er ist in den Waschraum und hat seinen Kopf so oft gegen die Wand geschlagen, dass er eine starke Gehirnerschütterung bekam. Ich habe ihn blutend auf dem Boden gefunden, als ich nach ihm sehen wollte und konnte die ersten zwei Nächte darauf nicht schlafen. Carmen hat den Gemeinschaftsraum für mich gestrichen und fand, dass ich nur noch Besuch erhalten durfte. Aus irgendeinem Grund spürte Darian, was in mir abging.

Er meinte, dass sei normal, wenn man länger entfernt ist von seinem Mate, aber er kommt mich jeden Tag besuchen, also verstand ich es nicht ganz. Er hat versucht sich in "meinem Zimmer" zu verstecken, um bei mir zu übernachten. Doch Sandra hat ihn beim zweiten Mal erwischt, worauf ich nur noch mehr bewacht wurde. Zu sagen mir wäre langweilig gewesen wäre eine Untertreibung. Ich war eingesperrt und hatte nicht einmal mein Handy, weil Social Media nicht gut für meine mentale Gesundheit ist. 

Ich glaube Langeweile war in dieser Anstalt mein grösster Feind. Denn sobald ich alleine war und so viel Zeit für mich hatte, fing ich an zu denken. Meistens waren das natürlich keine sehr positiven Sachen. Es war bedrückend eingesperrt zu sein. Es war bedrückend, dass die eigene Mutter einen einweist. Es war bedrückend zu wissen, dass es Darian auch beschissen geht. Ich versuchte diese Gedanken in das kleine Buch zu packen, welches mir Carmen bei meiner Ankunft überreicht hat. 

Carmen wollte mir auch mit meiner Beziehung zu meiner Mutter helfen. Sie wollte, dass ich ihr nicht die Schuld an all dem gab. Doch ganz ehrlich, meine Mutter war dermassen bipolar, ich traute mich nicht einmal mit ihr über mein Leben zu sprechen, weil sie jede Sekunde anders reagiert. Ich erklärte Carmen meine Gedanken und wollte dieses Gefühl los werden. Ich wollte ich sein, das ich, welches ich vor Annies Tod war. "Was haltest du von einer Selbsthilfegruppe?", hatte sie mich gefragt und ich habe zugestimmt es zu probieren. 

Im Gemeinschaftsraum gab jeden zweiten Abend eine Runde, in der man erzählen kann und gemeinsam irgendwelche Aufgaben lösen muss. Es half ziemlich gegen die Langeweile und ich lernte viele Leute kennen die verdammt vieles erleben mussten. Ausserdem verlangte Carmen von mir eine Liste zu erstellen mit Dingen, die ich an mir mag und die ich nicht mag. Zusammen haben wir in den Sitzungen also Wege gesucht, wie wir die negativen Punkte in positive umwandeln können.

Zwei Wochen später hatten wir alle Punkte durch und ich fühlte mich so selbstbewusst, wie noch nie. Ich habe gelernt, wie ich mit meiner Zwangsstörung umgehen kann und wie ich sie in meinen Alltag einbauen kann, ohne dass es schlechte Auswirkungen hat. Auch Carmen war sehr stolz auf mich und meinte, ich darf die Woche darauf Nachhause. Am meisten werde ich die Leute aus der Selbsthilfegruppe vermissen. Carmen meinte zwar, dass ich vorbeikommen kann, wann ich will, doch ich muss in der nächsten Zeit viel für die Schule nachholen.

Ich packte gerade die zwei Bücher, die entstandenen Zeichnungen und den Plüsch-Hasen in eine Tasche, die mir Sandra gegeben hat. Ich weiss nicht, wer mich abholen kommt. Sandra hat mir erzählt, dass sie irgendjemanden bescheid gegeben hat. Ich war nervös. Jetzt musste ich wieder in meinen normalen Alltag zurück, obwohl ich seit sieben Wochen abgeschottet war von der grausamen Realität. Meine Fingerspitzen kribbelten, als ich ein letztes Mal in "mein Zimmer" sah. Auch wenn es nicht meine beste Zeit war, werde ich es ein bisschen vermissen. 

"Bist du bereit?", fragte mich Sandra und lächelte mich an. Die kleine Frau ist mir auch ans Herz gewachsen. Langsam nickte ich und atmete tief ein, bevor wir uns auf den Weg zur Rezeption unten machten. "Also machs gut Engelchen und komm uns besuchen.", sagte sie und zog mich an ihren kleinen Körper ran, um mich zu umarmen. Mir kamen die Tränen hoch, als sie mir den Rücken auf und ab strich. "Du auch", flüsterte ich und wollte den Kloss in meinem Hals runterschlucken.

"Wartet ich will auch!", rief eine weitere bekannte Stimme. Wir lösten uns voneinander und sahen, wie Carmen auf uns zu eilte. "Ich dachte schon, ich hätte dich verpasst.", erklärte sie, worauf wir lachen mussten. Die dünne Grauhaarige zog mich in eine feste Umarmung, sobald sie mich erreicht hatte, welche ich gerne erwiderte. "Und denk immer daran, wenn etwas schief lauft einfach tief durchatmen, ja?", erinnerte sie mich und schenkte mir ein stolzes Lächeln. Ich nickte und kämpfte erneut mit den Tränen.

"Auf Wiedersehen", verabschiedete ich mich und verstärkte meinen Griff um meine Tasche. Die beiden winkten mir und ich wendete mich zum Ausgang. Draussen begrüsste mich der kalte Wind, weswegen ich sofort meine Jacke schloss. Meine Augen wanderten über den kleinen Parkplatz und entdeckten meine Mutter, Tim und Darian. Mit langsamen Schritten ging ich auf die drei zu. Darian war der erste, der mich bemerkt hatte und lief sofort auf mich zu. Sobald er mich erreicht hat schlangen sich seine Arme um mich und er hob mich hoch. 

"Endlich bist du wieder bei mir.", atmete er erleichtert aus, jedoch liess er mich noch nicht los. Als ich den Boden wieder unter meinen Füssen spürte, löste ich mich von ihm und sah zu meinem Bruder, der mich auch gleich in eine Umarmung schloss. "Es ist schön dich wieder zurück zu haben Medusa.", grinste er und liess mich meine Augen verdrehen. Mit einem Zögern blickte ich zu meiner Mutter, die uns lächelnd beobachtet hat. Ich weiss, wir haben eine Menge zu besprechen, um wieder miteinander klar zu kommen.

Ich habe mit Carmen bereits geprobt, wie diese Gespräche verlaufen werden oder könnten. "Hi Mama", sagte ich leise und legte meine Arme um sie. "Ich habe dich vermisst Schatz.", flüsterte sie, worauf mir erneut die Tränen in die Augen stiegen. Als ich mich von ihr löste, merkte ich, dass auch sie weinte, worauf wir beide lachen mussten. Tief ein- und ausatmen.


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Ich habe noch nie geweint beim Scheiben von einem Kapitel, doch es gibt für alles ein erstes Mal. Ich muss mir Kapitel 41 merken.

Ich wette ich habe euch alle überrascht :) hehehe

xoxo eure fany

My AlphaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt