Prolog

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Sie nannten sie „schwarze Schwäne". Sie sagten sie waren unvorhersehbar, unwahrscheinlich und niemand hatte sie kommen sehen. Doch sie flogen über sie, breiteten ihre schwarzen Schwingen aus und hüllten alles in einen dunklen Schatten.

Sie nannten sie „schwarze Schwäne". Ereignisse, welche niemals hätten eintreten dürfen, weil ihre Unwahrscheinlichkeit ins Grenzenlose gereicht hätte. Doch sie traten ein, erbarmungslos und mit weitreichenden Folgen.

Doch vielleicht musste diese vermeintliche Unvorhersehbarkeit als Ausrede dafür herhalten, dass sie nicht bereit waren einzusehen, was schon seit langem unvermeidbar schien. Es war nicht die Überraschung durch einen Schwarm „schwarzer Schwäne", die sie an den jetzigen Punkt gebracht hatte – es war ihre eigene verhängnisvolle Bereitschaft sich überraschen zu lassen.

Sie wollten eine Welt schaffen, die für den Menschen alles bereithielt, von dem er nur träumen konnte. Eine Welt, in der der Wunsch nach noch Höherem zu streben, verpuffen würde, da es nichts mehr geben würde, was noch zu erreichen wäre. Sie wollten Innovation, Digitalisierung und Wohlstand. Sie wollten fliegende Autos, Reisen in Lichtgeschwindigkeit, und Roboter, die von Menschen kaum mehr unterschieden werden konnten. Dabei sollte vor allem der Mensch im Mittelpunkt stehen. Getarnt als das Ermöglichen eines wohlhabenden Lebens eines jeden, blühte der Egoismus der Menschen auf.

Doch er führte zu dem, worüber niemand nachdenken wollte. Es wäre doch nur eine unwahrscheinliche Version, gegen die man schnell die passenden Lösungen, mit all der vorhandenen Technologie finden würde. Aber sie kamen, die „schwarzen Schwäne".

Die ersten von ihnen machten sich als zerstörerische Stürme und Überschwemmungen bemerkbar. Sie bahnten sich ihren Weg über das Land, rissen alles mit sich und hinterließen nichts mehr, außer Schutt und Asche. Daraufhin folgte ihre Nachhut – Seuchen breiteten sich in den nassen Böden aus und rangen viele erbarmungslos nieder.

Der zweite Schwarm kehrte schleichend ein, denn je mehr Hovercrafts durch die Lüfte segelten und je mehr Firmen ihre Produktion ankurbelten, desto mehr stieg die Temperatur an. Landschaften, welche vor Jahren von weißen Wesen in endlosen Schneewelten erzählten, verschwanden mit einem Mal. Dürreperioden zogen über die Ebenen und erstickten jedes Grün im Boden der Felder und Plantagen. Die Ernten blieben aus. Es gab nicht mehr ausreichend Lebensmittel, was wiederum die letzten und grauenvollsten Schwäne über die Menschheit brachte – die Kriege.

Eine unerbittliche Jagd um die letzten Rohstoffe begann und nahm ihren unheilvollen Lauf. Menschen waren egoistischer denn je, skrupellos, unnachgiebig – der blanke Überlebenskampf zollte seinen Preis.

Einst nannte man sie Sonnenkinder, genährt und beschützt von einem riesigen Feuerkörper, der am Himmelzelt über ihnen prangte und all das Leben um sie herum ernährte. Doch abermillionen schwarze Federn legten sich langsam über den leuchtenden Planeten, ihr Lebenselixier. Alles schien mit einem Mal verloren.

Und dennoch stellte man fest, dass sie immer noch da waren.

Wir schreiben das Jahr 2613. Die Zeit der „schwarzen Schwäne" ist vorüber. Sie hatte nichts weiter übergelassen, als einen äußerst kleinen Teil Land, welcher von den Menschen bewohnt wurde, die hingegen all der Vermutungen dennoch überlebt hatten. Und man wird sich fragen: Wo steht der Mensch jetzt? Was ist seine Mission?

Und ich werde euch sagen, er ist noch genauso Mensch wie zuvor. Nichts, rein gar nichts, hat sich in seiner Denkweise geändert. Der Mensch hat sich trotz aller Hürden ein Leben aufgebaut, welches ihm all das gibt, was er benötigt, um in irgendeiner Weise zu überleben. Doch niemals würde ihm das reichen, denn tief in ihm schlummerte das unbändige Gefühl, ständig noch etwas mehr zu erreichen, noch einen Schritt weiter und höher zu gehen. Es schlummerte in ihm, über all die Jahre und führte so zu einem beinahe pathologischen Kapitalismus, in dem nur der überleben würde, welcher in einem der großen Konzerne arbeitet, streng überwacht durchs Leben geht und nicht davor zurückschreckt auf den Kosten anderer zu leben.

Einst nannten sie sie Sonnenkinder. Doch wie sollte jemand verstehen, was das überhaupt bedeutete, wenn die Sonne unter den schwarzen Schwingen der Schwäne schlief? Wie sollte jemand verstehen, dass die nächste Schar „schwarzer Schwäne" nicht mehr lange auf sich warten lassen würde?

Moonchild {VKOOK}Where stories live. Discover now