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Jungkook

Es war ein warmer Nachmittag und die Vögel begannen bereits ihr Abendlied zu singen. Der Frühsommer war ins Land gezogen und ließ die stämmigen Bäume in einem umso saftigeren Grün leuchten. Nicht alle Wälder in Omelas waren so dicht bewachsen wie dieser hier und trotzdem schaffte die Sonne es, sich ihren Weg mit den wenigen Strahlen durch die Baumkronen zu erkämpfen. Ich liebte diesen Ort. Er war friedlich und hatte wenig gemeinsam mit der Stadt, in der ich lebte. All der Leistungsdruck hatte hier kaum Bedeutung. Der Wald gab mir jedes Mal das Gefühl, als existiere hier eine andere Zeit, ein anderes Sein. Als befände ich mich in einer ganz anderen Welt.

„Ich kann noch gar nicht glauben, dass wir tatsächlich durch sind mit dem Semester", hörte ich plötzlich die Stimme meines besten Freundes Jisung, welcher gemütlich neben mir über den Waldweg spazierte und mich so aus meinen Gedanken riss.
„Mhm", war alles, was ich summend von mir gab. Ich hatte beinahe vergessen, dass er bei mir war und warum wir überhaupt hier waren. Wir hatten heute unsere Prüfungsergebnisse bekommen und waren nun auf dem Weg zu einer kleinen Lichtung, bei der wir uns mit anderen Jahrgangsmitgliedern treffen wollten, um zu feiern.

„Man Jungkook, warum bist du denn schon wieder so abwesend?", hörte ich Jisung nun wieder leicht genervt neben mir. „Freu dich doch mal! Immerhin warst du bei den Ergebnissen einer der Besten!"
Seufzend sah ich auf und setzte mir ein Lächeln auf die Lippen: „Ich freu' mich doch."
Augenblicklich wanderte die Augenbraue meines Freundes ungläubig nach oben.
„Also wenn das Freude sein soll, dann sollte ich mich am besten direkt vergraben gehen. Immerhin hab' ich längst nicht so eine gute Note wie du erreicht."

Ein amüsiertes Schnauben verließ mich, während ich dem Schwarzhaarigen leicht gegen die Schulter boxte.
„Niemand geht sich hier vergraben, hörst du", schimpfte ich gespielt, „sei stolz auf dich. Du hast das Semester geschafft und somit ebenfalls fast deinen Abschluss."
Bei meinen Worten warf der Jüngere seinen Kopf in den Nacken und sah gen Himmel. Eine leichte Windbrise kam uns entgegen und ich konnte beobachten, wie mein Freund die Augen schloss und erleichtert ausatmete.
„Ein Jahr...", murmelte er schließlich leise und öffnete wieder die Augen, „ein Jahr und dann haben wir endlich unseren Abschluss, Jungkook."
Seine Iriden funkelten vor Freude und ich bemühte mich wirklich, diese auch nur ansatzweise nachzuempfinden.

In einem Jahr hätte ich meine Schulausbildung beendet. Das war etwas Gutes. Etwas wirklich Gutes. Jeder strebte danach, die Schule zu beenden und endlich in die Wirtschaft einsteigen zu können. Mit der Berufskarriere fing unser Leben doch erst richtig an und wenn man dort die besten Chancen haben wollte, dann strengte man sich lieber an und das tat ich. Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich immer mein Bestes gegeben, das hatten wir alle. Und genauso freuten sich alle in meinem Jahrgang nun bald soweit zu sein und ich sollte mich auch freuen. Doch so sehr ich auch versuchte mir diese Freude einzutrichtern, ließ mich der Gedanke nicht los, dass das noch nicht alles sein konnte.

Sollten wir denn wirklich all die Jahre nur so viel lernen, lernen, lernen, um schließlich zu arbeiten, zu arbeiten und noch mehr zu arbeiten? Und das bis wir starben? Wollten wir denn wirklich alle einfach immer nur rennen? Rennen, auf der Jagd nach der nächsten Innovation, der nächsten fortschrittlichen Idee? Fortschritt war gut. Natürlich war er das. Er hielt unsere Welt am Leben. Er hielt uns alle am Leben. Doch trotzdem ließ mich der Gedanke nicht los, dass es mehr im Leben geben musste, als nur das Streben nach Fortschritt... aber warum war ich dann der Einzige, der das dachte?

Seufzend sah ich auf mein Smartskin, welches mir Uhrzeit, Temperatur und Datum anzeigte. Im Grunde funktionierte es genau wie ein Smartphone, nur dass sich dieses wie ein Chip unter der Haut befand und so direkt auf der Innenseite des Unterarms zu bedienen war. Über das Smartskin konnten wir Nachrichten empfangen, Anrufe tätigen und unsere Vitalwerte checken. Jeder in unserer Gesellschaft besaß eines. Das Smartskin war wie ein Personalausweis, welcher einem die Erlaubnis gab, in der Stadt zu existieren. Über dieses wusste die Regierung stets Bescheid, wo man sich aufhielt und in welchem Beschäftigungsverhältnis man sich zur Zeit befand. „Arbeitslos" gab es in der heutigen Gesellschaft nicht. Jeden Tag flogen Hovercrafts über unsere Köpfe hinweg und studierten die Daten, auf welche sie von unseren Smartskins direkt zugreifen konnten. Es war demnach nahezu unmöglich, sich dem System zu widersetzen. Aber wer wollte das denn auch, wenn dieses so perfekt schien... stimmt's?

Moonchild {VKOOK}Where stories live. Discover now