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Taehyung

„Hast du etwas?", schrie Jungkook mir entgegen, wobei seine Stimme durch die dicken, erdigen Gemäuer gedämpft wurde. Ruckartig riss ich meinen Kopf herum, schluckte einmal schwer, als ich seinen verzweifelten Blick auf mir liegen sah und schüttelte dann mit dem Kopf. „Nein, nichts", nuschelte ich zu mir selbst und drehte mich wieder zu der Wand herum, da ich dem Blick des Sonnenkindes nicht länger standhalten konnte.

Noch nie hatte ich ihn so mutlos gesehen. Jungkook war für mich immerzu die Hoffnung gewesen, die mich durch all die schweren Zeiten, die Schmerzen und die Trauer begleitet hatte, mich gestärkt und aus dem tiefen Ozean zurück an die Oberfläche gezogen hatte. Doch jetzt, schien von dieser Hoffnung nicht ein Funken mehr übrig geblieben zu sein.

Nicht ein Funken, der noch irgendwie Licht in diesen immer dunkler  werdenden Keller und die ausweglose Situation bringen könnte, strahlte in seinen Augen. Ich wollte nicht aufgeben. Ich wollte mich an den letzten Faden Hoffnung klammern, der noch in meinem Herzen wohnte, doch ohne Jungkook war mir das kaum möglich.

Mit einem enttäuschten Seufzen ließ ich von der Wand ab und drehte mich zu dem kreisrunden Relief herüber. Vielleicht würde ich zwischen den Säulen oder auf den steinernen Rängen etwas finden, das uns weiterhelfen würde. Doch ich glaubte kaum mehr daran.

Mit schnellen Schritten bahnte ich mir einen Weg auf die Treppen und suchte mit zusammengekniffenen Augen weiter, denn hier strahlte noch ein letzter Rest der Energie und brannte in meinen Pupillen, die sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Hektisch und nur aus purer Verzweiflung rannte ich die Stufen hinab, herunter auf den marmornen Boden, in dem die Säulen eingelassen waren.

Gerade wollte ich die erste der Säulen nach einem Hinweis absuchen, als ich plötzlich einen lauten Schrei hören konnte. „Ich hab' etwas!", triumphierte Jungkook und blickte mir mit großen Augen entgegen.

Sofort legte sich ein warmer Schleier über mein Herz und brachte es dazu, aufgeregt zu hüpfen, denn plötzlich sah ich sie wieder – die Hoffnung. Sie funkelte, nein, sie flammte beinahe in seinen  dunkelbraunen Iriden und niemals hätte ich gedacht, dass ich das tatsächlich noch einmal erleben dürfte. Hier unten, in diesem dämmrigen Keller, hatte ich uns verloren geglaubt. Niemals hätte ich damit gerechnet, tatsächlich doch noch etwas zu finden.

Hastig hechtete ich die steinernen Ränge herauf, direkt zu Jungkook herüber, während dieser mit seinen Händen immer wieder über die Wand fuhr. „Schnell, hilf mir mal", forderte er mich sofort auf, als ich bei ihm angelangt war und buddelte weiterhin die Erde von der Wand.

Ohne lange nachzudenken, fing ich sogleich an, ihm zu helfen und scheppte ebenfalls die braune, feuchte Erde von der Wand. Und je mehr ich von dem Sand und den Wurzeln zur Seite wischte, desto klarer wurde mein Blick auf das, was sich dahinter verbarg.

Plötzlich wurden meine Augen ganz groß und als Jungkook die letzten Erdbrocken einfach kraftvoll mit seinem Fuß zur Seite trat, fielen mir meine Augen beinahe aus den Höhlen. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie auch das Kinn des Sonnenkindes aufgeklappt war und er auf das starrte, was dort vor uns lag.

Direkt vor unseren Augen, eingelassen in der Erde, lag eine weitere Treppe.

Auf den ersten Blick wirkte sie ziemlich schmal und der Gang zwischen den sandigen Wänden, war nicht viel mehr als ein schmaler Tunnel. Doch je länger ich sie betrachtete, in dem letzten schimmernden Licht der Mondenergie, konnte ich die Ähnlichkeit zu den Treppen weiter unten erkennen und dass die Stufen links und rechts in den Wänden verschwanden.

Doch mehr Zeit darüber nachzudenken hatte ich nicht, denn da packte Jungkook schon mein Handgelenk und hockte sich zu den Stufen herab. Schnell folgte ich ihm und kniete mich ebenfalls auf den Boden.

„Meinst du dieser Gang führt irgendwo hin?", fragte ich ihn flüsternd und mit bebendem Herzen, denn das hier war im Moment unser einziger Anhaltspunkt auf einen Hinweis. „Ich weiß es nicht", schnaubte der Junge jedoch nur und presste dann aber seine Kiefer fest aufeinander, „aber wir müssen es wenigstens versuchen."

Keine Sekunde später krabbelte er mit eingezogenem Kopf die ersten Stufen herauf, sodass ich ihm eilig folgte. So ganz behagte mir das alles nicht, doch was blieb uns denn anderes übrig, als herauszufinden, wohin dieser Gang uns bringen würde? Falls er überhaupt irgendwo hinführte.

Eilig kroch ich dem Jungen vor mir hinterher, konnte irgendwann nicht mal mehr meine eigene Hand vor mir erkennen und stieß desöfteren gegen  meinen Vordermann, wenn er versuchte etwas Geröll und Erde aus dem Weg zu schaffen. Immer wieder verfing ich mich in irgendeiner Wurzel oder stieß übel mit dem Kopf an, wobei es Jungkook nicht anders zu gehen schien.

Doch irgendwann wurde die Treppe etwas breiter und auch die Decke höher, sodass ich mich aus meiner robbenden Position zurück auf alle Viere richten konnte. Jungkooks schwerer Atem drang an mein Ohr und auch mir erging es nicht anders. Mittlerweile hatte ich auch das Gefühl, dass mir die Luft ausging und es hier viel zu wenig Sauerstoff gab. Aber ich wollte und durfte jetzt nicht in Panik geraten. Damit wäre uns definitiv nicht geholfen, sodass ich mit zusammengepressten Lippen und zugekniffenen Augen einfach weiterkroch.

Aber plötzlich stieß ich erneut unsanft mit Jungkook zusammen, der wohl  stehengeblieben war. Ich sah nicht viel, nur einige dämmrige Umrissen, doch dann hörte ich ein lautes Rumpeln und wie mehrere Steine zur Seite fielen. Zuerst zog ich panisch den Kopf ein und schloss ängstlich meine Augen, da ich dachte, dass wir verschüttet oder nie wieder hier herauskommen würden. Keine Sekunde später schnitt jedoch Jungkooks staunende Stimme durch die Luft: „Das gibt es doch nicht."

Vorsichtig öffnete ich meine Augen einen Spalt breit und wurde keine Sekunde später von gleißendem Licht geblendet. „W-was ist d-das?",  stotterte ich und brauchte einige weitere Sekunden, um mich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen. „Wir sind oben", kam es erneut von Jungkook und gerade als ich fragen wollte, was er denn damit meinte,  klärte sich meine Sicht und ich konnte erkennen, wie der Junge seinen Kopf aus dem Tunnel heraustreckte und sich schwerfällig auf seine Beine stellte.

Mit einem Keuchen kraxelte er aus dem Tunnel heraus und verschwand plötzlich in dem hellen Licht, ehe er mir seine Hand hilfsbereit entgegenstreckte. Ohne länger zu überlegen, ergriff ich sie sofort und ließ mich von ihm aus dem Loch herausziehen.

Für einen Moment konnte ich nichts weiter tun, als mich auf meinen Knien  aufzustützen und die Luft tief in meine Lungen zu ziehen. Der Schweiß tropfte mir von der Stirn und mein Herz raste immer noch wie wild in meiner Brust. Allerdings schaffte ich es schließlich, mich ebenfalls aufzurichten.

Mein erster Blick galt dem Sonnenkind neben mir. Als ich jedoch erkannte, dass Jungkook seine Iriden wie gebannt nach vorne gerichtet hatte, ließ auch ich meinen Kopf herumschwenken und was ich dort sah, verschlug auch mir die Sprache.

„Das ist...", staunte ich, wobei mein Mund etwas aufklappte.
„Ein See", vollendete Jungkook meinen Satz, sodass ich kurz nickte, was der Dunkelhaarige jedoch überhaupt nicht sehen konnte, da seine Augen immer noch auf der spiegelnden Oberfläche lagen.

„Ich habe noch nie davon gehört, dass es hier einen See gibt", sprach er bedächtig und runzelte dabei argwöhnisch seine Stirn, „vor allem...warum ausgerechnet hier?"
„Ich weiß es nicht...", seufzte ich ratlos auf,  denn auch ich konnte mir darauf wirklich keinen Reim bilden.

Aufeinmal setzte Jungkook sich wieder in Bewegung und trat mit energischen Schritten an das Ufer heran. Hastig stolperte ich ihm hinterher, da meine Beine immer noch etwas wackelig waren und stoppte gleich neben ihm. Meine Augen wanderten über die glänzende Oberfläche, über das Ufer und die Landschaft, bis hin zur Mitte des kleinen Sees. Auch Jungkook schien mit einem Mal mit seinen Augen genau auf der Mitte der Oberfläche kleben zu bleiben.

„S-siehst du das?", fragte er, seine Stimme nicht mehr als ein Flüstern und bei seinen Worten wanderte ich mit meinem Kopf gen Himmel, bevor ich ihn zurück auf den glatten Spiegel richtete und nickte.

„Ja, ich sehe es", verließ es ehrfürchtig meine Lippen, während meine  Fingerspitzen zitternd nach der Hand des Jungen neben mir suchten. „Das ist...", war es nun Jungkook, der in seinem Satz innehielt und seine Finger mit meinen verschränkte. Kurz drückte ich seine Hand etwas und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter bevor ich seinen angefangenen Satz beendete: „Ein Sonnenstrahl."

Moonchild {VKOOK}Where stories live. Discover now