Moonchild {VKOOK}

☽ 45 ☾

Taehyung

Ich schaffte es nicht meine Augen nur eine Sekunde von dem Symbol und dem Schriftzug zu nehmen und konnte deshalb nur aus dem Augenwinkel erkennen, dass Jungkook sich neben mich hockte und auf meinen ausgestreckten Zeigefinger starrte. Wie von selbst näherte sich meine Hand der Basis der mittleren Säule, während mein Mund immer wieder auf- und zuklappte. Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust, pumpte das  Blut durch meinen zitternden Körper und ließ es in meinen Ohren rauschen.

„W-was ist das?", vernahm ich Jungkooks erstaunte Stimme mehr als gedämpft und brachte nicht ein Wort über meine Lippen. Das Einzige, zu dem ich im Stande war, war meine Fingerkuppen behutsam auf die Einkerbungen zu legen und die Linien nachzufahren. Das Symbol war klein und nur aus nächster Nähe erkennbar. Aber jetzt stach es mir so deutlich in die Augen, dass ich es wohlmöglich auch aus hundert Metern  Entfernung sehen würde.

„Ein Mond...", hauchte ich und fuhr langsam über die Außenkante des Symbols, „das ist eine Sichel."

Ich spürte Jungkooks fragenden Blick in meinem Nacken, sodass ich meine Finger kurz auf dem kalten Marmor ruhen ließ. „Eine Sichel... das ist eine der Mondphasen." „Eine Mondphase?", hakte der Schwarzhaarige mit leiser Stimme nach und näherte sich mir noch ein Stück mehr. „Ja, du musst wissen Jungkook, der Mond ist nicht immer so voll wie du ihn kennst. Er nimmt immer zu und wieder ab und laut den Legenden soll er in der Zeit in dem Schatten der Sonne verschwinden."

Meine Augen wurden ein ganzes Stück größer, als ich meine zitternden Finger von der Sichel zu der nächsten Linie wandern ließ und auch diese behutsam entlangstrich. „Er verschwindet im Schatten der Sonne...",  nuschelte ich kaum verständlich, doch Jungkook schien es trotzdem gehört zu haben.
Denn auf einmal fuhr auch er die Einkerbungen mit seinen Fingern  entlang, die einer strahlenden Sonne ähnelten. „Und bildet so eine  Einheit, einen Kreislauf, der sich in Waage hält", ergänzte er daraufhin meinen Satz und keine Sekunde später starrten wir beide uns realisierend in die Augen.

Für einen Moment schien die Zeit still zustehen und ich drohte bereits in den dunklen, funkelnden Iriden des Sonnenkindes zu versinken, als der  Junge aber plötzlich seinen Kopf ruckartig wieder herumriss und mit  großen Augen auf den Schriftzug unter der von dem Mond umarmten Sonne  starrte.

„Doch erst wenn sie den Mond hoch über sich wissen und die Sonne tief in sich spüren, halten sie das flammende Herz in ihren Händen.
Das Herz, welches alles miteinander verbindet und das Gleichgewicht  aufrechterhält", las er bedächtig vor, wobei seine Stimme jedoch mit jedem Wort leiser wurde und schließlich ganz verstummte. „Dieser Spruch...", kam es ihm ungläubig über die Lippen, „ich habe ihn schonmal gehört."

„Das hast du", nickte ich ihm bestätigend zu, bevor ich mich zu ihm drehte und lächelnd musterte, „bei meiner Großmutter. Es ist der letzte Auszug aus der Legende über das Solnoctem - über die Bindung zwischen Sonne und Mond."

Jungkook schien das alles immer noch nicht ganz glauben zu können, sodass er mich erneut unsicher musterte. Vorsichtig strich ihm eine der schwarzen Strähen, die ihm verwegen in die Stirn hingen, hinter sein Ohr ehe ich meine Stimme wieder an ihn richtete. „Eine Bindung zwischen Sonne und Mond", sprach ich und konnte sehen, wie das Sonnenkind ein weiteres Mal die Linien des Symbols nachzeichnete, „ist gleichzeitig nicht nur eine Bindung zwischen zwei Menschen, sondern auch zwischen zwei Welten."

„Unsere Welten gehören zusammen... Solnoctem, die Sonnennacht",  nachdenklich zog er seine Stirn kraus und schien zu überlegen, was er nun davon halten sollte. „Meinst du das hier hat etwas zu bedeuten? Könnte es vielleicht der entscheidende Hinweis sein?", fragte der Junge dann ganz aufgeregt, sodass ich meine Hand mehr aus Reflex auf die Seine legte. Ich wollte ihn beruhigen und ihm zeigen, dass ich fest davon überzeugt war, dass es etwas zu bedeuten hatte.