☽ 2 ☾

695 75 40
                                    

Taehyung

Immer wieder musste ich mit meinem Arm die langen Äste von Trauerweiden aus meinem Sichtfeld schieben, um in dem Dämmerlicht überhaupt noch irgendwie sehen zu können, wohin mich die leichte Strömung des Flusses trieb. Mein hölzernes Boot folgte dem schmalen Gewässer, bahnte sich einen Weg durch die herabhängenden Blätter und gab schließlich einen Blick auf eine Art Flussbett frei.

Links und rechts von mir bäumte sich das Flussufer zu grasbewachsenen Hügeln auf, über denen ein paar Glühwürmchen müde tanzten, und große Steine inmitten des Wassers, brachten die Strömung beinahe zum Erliegen. Vorsichtig versuchte ich mit dem langen Holzstab in meiner Rechten etwas näher an den Rand zu gelangen und konnte ein paar Meter entfernt eine Art Steg erkennen.

Genau hier, irgendwo im Nirgendwo, wo ich zuvor noch niemals gewesen war, befand sich ein Steg? Er ragte dort einfach so ins leichte Gewässer rein, als wäre es das Selbstverständlichste. Ein kalter Schauer wanderte meinen Rücken hinab, bei dem Gedanken daran, wer hier schon vor mir gewesen sein mochte.

Kraftvoll stieß ich mich mit dem Holzstab ab und schipperte zu der Anlegestelle herüber. Dort angekommen, befestigte ich das Boot mit einem dicken Seil und trat dann mit wackligen Beinen heraus auf die Holzbretter. Sie schienen morsch und mit Moos bewachsen zu sein, so als ob sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr betreten wurden.

Langsam, darauf achtgebend nicht auf eine brüchige Stelle zu treten und in das kalte Wasser zu plumpsen, tapste ich über den Steg auf die trockene Grasfläche gleich daneben. Überall ragten die Trauerweiden aus der Erde und verdeckten ihre schrumpeligen Stämme mit den wallenden Ästen. In der Nähe des Flusses ragte Schilf empor, der sogar mir über den Kopf reichte.

Ich sah mich weiter um, auf der Suche nach einem Weg oder einem Hinweis, wohin ich gehen müsste, doch meine Augen sahen nicht mehr, als die alten Bäume und funkelnden Glühwürmchen. Doch mit einem Mal konnte ich erkennen, wie eines der leuchtenden Tierchen sich auf einem Grashalm, nahe dem Boden niederließ und den Fleck Erde unter sich spärlich erleuchtete.

Aber dennoch reichte dieser schwache Lichtkegel aus, um ein Lächeln auf meine Lippen wandern zu lassen. Hastig machte ich die paar Schritte zu dem Insekt herüber und ging in die Hocke. Zögernd zog ich meine Hand hervor und ließ sie zitternd gen Boden wandern. Vorsichtig wischte ich etwas Erde zur Seite und entfernte ein paar Grashalme von der Stelle. Sofort weiteten sich meine Augen und ich ließ meine Hand noch etwas schneller über die Stelle fahren. Dann hielt ich abrupt inne.

Ich traute meinen Augen kaum. Vor mir tat sich das auf, wonach ich all die letzten Monate gesucht hatte, das worüber ich mir Tage und Nächte lang den Kopf zerbrochen und beinahe schon die Hoffnung aufgegeben hatte, es überhaupt zu finden.

„Das ist unglaublich", kam es mir staunend über die Lippen und ich konnte nicht verhindern, dass sich eine Träne in meinem Augenwinkel bildete. Niemals hätte ich nach all der Zeit noch damit gerechnet, es wirklich zu finden. Aber jetzt hockte ich hier, vor der moosbewachsenen Marmorplatte, die in den feuchten Boden eingelassen war und ließ meine Augen schnell über den darin eingravierten Text wandern.

...da wo der Mond untergeht und die Sonne wieder aufgeht.

Nachdem ich meine Augen noch für einen kurzen Moment auf der Platte verweilen ließ, wanderte mein Blick schließlich wieder nach vorne. Konzentriert starrte ich geradeaus, zwischen den Gräsern und Schilfen hindurch. Dann stand ich auf, entschlossen, bereit meinen Weg fortzusetzen. Mit großen Schritten lief ich einfach immer weiter meiner Nase nach. Ich sah mich nicht mehr um, geschweige denn zurück. Inzwischen pochte mir mein Herz bis zum Hals und meine Atmung ging flach.

Moonchild {VKOOK}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt