Kapitel 8

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Izar hatte sich nicht so einschleichen können, wie er sich das vorgestellt hatte.

Die Große Halle war vollgepackt mit Schülern und Politikern. Die französischen, norwegischen und britischen Politiker hatten sich – zusammen mit den jeweiligen Schulleitern und Schulleiterinnen – irgendwie an den Lehrertisch gequetscht.

In diesem Moment stand Schulleiter Dumbledore auf seinem goldenen Podium, sprach zu dem Auditorium und zog erfolgreich die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Vereinzelte Augenpaare richteten sich jedoch auf ihn, als er die Halle betrat. Die Blicke waren unangenehm, aber es gelang ihm, die neutrale Fassade aufrechtzuerhalten, bis er, die Stufen hinuntergehend, am Ravenclaw-Tisch ankam.

Terry Boot, ein Ravenclaw im fünften Jahrgang, hatte ihm, wie jedes Jahr auch, einen Sitz freigehalten.

Izar ließ sich anmutig auf den Platz sinken und versteckte sich hinter der Schülermasse. Er widmete Dumbledore nur die Hälfte seiner Aufmerksamkeit, während dieser über die Aufnahme der anderen Schulen und guten Sportsgeist sprach.

Als er sich zur Seite lehnte, sah er, wie Snape aus dem Seitenraum eintrat und sich nur wenige Plätze entfernt von Tom Riddle hinsetzte. Der Dunkle Lord musterte Snape, bevor er seinen Blick durch die Große Halle schweifen ließ. Der Ausdruck wirkte völlig teilnahmslos, obwohl Izar selbst von seiner derzeitigen Position aus die scharfen Impulse, das Zucken der Magie des Mannes spüren konnte.

Offensichtlich war der Mann alles andere als glücklich.

Kurzzeitig fragte er sich, ob Dumbledore über die alternative Persönlichkeit des Mannes Bescheid wusste. Auch wenn der alte Schulleiter manchmal etwas eigentümlich war, wusste Izar, dass der Mann so brillant war, wie jeder andere Gelehrte auch. Er musste gewissen Verdacht hegen, auch wenn der Dunkle Lord Voldemort sich der Welt noch nicht offenbart hatte.

„...bitte begrüßen Sie mit mir Hogwarts neuen Professor für Verteidigung gegen die Dunklen Künste, Professor Sirius Black."

Izar riss seinen Blick von Riddle weg und sah zu, wie der aufgerufene Zauberer aufstand, um der klatschenden Menge zuzuwinken. Izar saß einfach nur da und starrte den Fremden an. Sirius Black. Izar musste seinem Erinnerungsvermögen bezüglich des Stammbaums der Blacks auf die Sprünge helfen. Wenn er sich nicht irrte, war Sirius Black der Bruder von Regulus. Also sein Onkel.

Und sie wiesen einige Gemeinsamkeiten auf – von den dunklen Locken bis hin zu den grauen Augen. Sirius war ein sehr gutaussehender Kerl. Umgeben von der typisch lässigen Eleganz und den scharfen, aristokratischen Zügen der Blacks. Davon einmal abgesehen, hatten sie jedoch nichts gemeinsam. Sirius war breiter gebaut, männlicher. Die Ausstrahlung schelmisch. Auch seine Augen waren dunkler, nicht annähernd so lebendig wie die von Izar.

Sirius' Augen überflogen die Halle und erblickten Izar, der noch immer wie erstarrt zwischen den klatschenden Schülern saß. Der Mann stockte, bevor er ungeschickt wieder in seinen Sitz zurückfiel.

Du bist so ein Idiot, tadelte Izar sich selbst. Er musste wie ein Narr ausgesehen haben, wie er so dasaß und Sirius Black anstarrte.

„Professor Black hat sich ein Jahr von seinem Auror-Posten freistellen lassen, um Sie alle unterrichten zu können. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie ihn herzlich willkommen heißen. Er verfügt über enormes Wissen auf seinem Gebiet.", fuhr Dumbledore fort. „Doch nun folgt der Moment, auf den sie alle gewartet haben; das Fest."

Der Tisch wurde mit allerlei Lebensmitteln eingedeckt. Erfreutes Gemurmel fegte durch die Halle, während die Schüler zulangten.

„Hattest du einen angenehmen Sommer?", fragte Terry Boot. Seine Worte wurden von der Lautstärke der Halle beinahe verschluckt.

Nachdem er sich etwas Kartoffelpüree auf den Teller getan hatte, warf Izar Terry einen flüchtigen Seitenblick zu. Terry und er verstanden sich recht gut, seitdem sie gemeinsam nach Ravenclaw sortiert worden waren. Keiner von beiden sprach viel, genossen stattdessen lieber die stille Gesellschaft des anderen. Terry war ein kluger Zauberer – wie die meisten Ravenclaws – doch schien er alles in einen Wettbewerb verwandeln zu wollen.

„Geradezu großartigen Sommer.", antwortete Izar ironisch. Sein linker Arm baumelte unnütz an seiner Seite, während er mit den Kartoffeln auf seinem Teller spielte. „Und deiner? Hast du es geschafft, die Sommerlektüre fertig zu bekommen?"

„Das habe ich. Ich würde dich dasselbe fragen, allerdings kenne ich die Antwort darauf bereits." Terry bot ihm ein kleines, säuerliches Lächeln, bevor er seine Aufmerksamkeit zurück auf sein Abendessen lenkte.

Izar warf dem Jungen einen Seitenblick zu. Boot schien am heutigen Abend etwas lethargisch, wenn nicht gar verbittert. „Kennst du die Antwort darauf denn wirklich? Oder nimmst du nur an, sie zu kennen?", lockte Izar, interessiert zu erfahren, warum sich Terrys Verhalten im Laufe des Sommers verdunkelt hatte. Normalerweise sprach der Junge sanft, ohne jeglichen böswilligen Eindruck.

Blaue Augen verharrten hartnäckig auf dem Teller. „Ich kenne die Antwort, Izar. Du hast ein Jahr übersprungen. Es wäre nur logisch, anzunehmen, dass du deine Sommerlektüre beendet hast, um einen guten Start ins neue Jahr zu gewährleisten. Du würdest es immerhin gern vermeiden, auf deinen rechtmäßigen Stand herabgestuft zu werden, oder irre ich mich da?"

Ah. Das war es also. Terry war neidisch, dass Izar ein Jahr übersprungen hatte. Izar konnte sich an keinen Augenblick erinnern, in dem jemand eifersüchtig auf ihn gewesen war. Er befand sich auf neuem, unbekanntem Terrain.

„Meinen rechtmäßigen Platz?", wiederholte er bedenklich. Glücklicherweise dämpfte der Lärm der Großen Halle den Großteil ihres Gesprächs. Die Durmstrang- und Beauxbatons-Schüler trugen zu besagtem Lärm nur noch bei. „Glaubst du, ich gehöre in den 5. Jahrgang zurückversetzt?"

Terrys Ausdruck verzerrte sich vor Frustration. „Das habe ich nicht gesagt, Izar." Der Junge malträtierte die Fleischpastete auf seinem Teller. „Zugegeben, ich halte dich für einen ziemlich klugen Zauberer. Andererseits ist jeder Ravenclaw klug. Wir haben nur noch keinen Beweis präsentiert bekommen, der rechtfertigt, dass du ein Jahr überspringen darfst, wenn uns nicht dieselbe Möglichkeit gegönnt wird."

Uns.

Izar blickte sich am Tisch um, erhaschte die Augenpaare einiger anderer Ravenclaws. Der Ravenclaw-Tisch war heute Abend ungewöhnlich ruhig. Sie galten nicht unbedingt als aufbrausend – wie die Hufflepuffs oder Gryffindors – doch schlugen sie zumindest die Slytherins, wenn er zum Lärmpegel kam. Unter normalen Umständen. Heute Abend saßen die älteren Schülerinnen und Schüler still auf ihren Plätzen, widmeten ihre Aufmerksamkeit etwas anderem.

Seine Augen trafen Grangers'. Der Gesichtsausdruck des Schlammbluts beherbergte keinerlei Anzweifelung, lediglich Neugierde.

Er schaute hinunter auf seinen Teller. Sollten sie denken, was sie wollten. Selbst, wenn es sich bei diesen Gedanken, um negative handelte, die ihn als unwürdig abstempelten. Es sah ihm nicht ähnlich, in Klassenräumen unverschämt die Hand zu heben und den Professor zu unterbrechen, sollte diesem ein Fehler unterlaufen sein. Er war niemand, der mit seinem Wissen oder seinen Leistungen prahlte.

„Du musst dich nur beweisen, dass ist alles, was wir wollen, Izar. Bring unserem Haus die nötige Anerkennung, wenn du schon zu einem „wahren Wunderkind" erklärt wurdest.", murmelte Boot leise, Spott am Ende seiner Bemerkung.

„Glaub, was du willst, Boot.", erwiderte Izar schneidend und seine Stimme nahm an Volumen zu, damit die anderen seine Antwort ebenfalls vernehmen würden. „Ich werde meine Angewohnheiten nicht ändern, nur weil mein Haus nach Anerkennung sucht." Er traf die Augen der anderen Ravenclaw-Schüler. „Wenn sie anerkennt werden wollen, sollen sie ihre eigene bemerkenswerte Intelligenz einsetzen." Izar legte in aller Ruhe seine Gabel nieder. „Wenn der heutige Abend jedoch eine Reflexion ihres Intelligenzquotienten darstellen sollte, muss ich bedauerlicherweise festhalten, dass die Chancen gering ausfallen, jemals Anerkennung zu erlangen."

Damit stand er von seinem Haustisch auf und stolzierte aus der Halle.

Die Flucht aus dem heißen, lauten Saal beruhigte seine Nerven, doch mit der plötzlichen Einsamkeit kam die Leere.

Er stieg hinauf zum Ravenclawturm, der Weg von schummrigen Fackeln erhellt. Je näher er seinem Ziel kam, desto klarer wurde ihm, dass es nicht die Leere war, die ihn quälte, sondern das Gefühl des Verlusts.

War es möglich, sich verloren zu fühlen, wenn man genau wusste, wo man sich befand? Warum fühlte er sich dann wie angewurzelt, während die Zeit um ihn herum verflog? Warum fühlte es sich so an, als ob er bergab stürzen würde, ohne jeglichen Halt, nach dem er greifen konnte? Nichts konnte seinen Sturz aufhalten und Izar fürchtete sich davor, am Boden aufzukommen.

War er bereits am Boden angekommen?

Sein Arm pulsierte schmerzhaft und er hielt auf den Treppenstufen inne, das Gesicht verzogen vor Qual. Da er wusste, dass niemand anwesend war, der den Moment der Schwäche zu sehen bekam, lehnte er sich gegen das Geländer. Sein Gesicht in seiner rechten Hand verborgen, atmete er zwischen Schmerzen ein.

Izar hatte sich einst geschworen, dass er niemanden brauchte – keine Freunde, keine Hilfe. Nur wann würde er lernen müssen, die ihm angebotene Hilfe zu akzeptieren? Er war nun im Besitz eines anderen. Das Dunkle Mal auf seinem Arm war der Beweis dafür. Es störte ihn nicht so sehr, jemandes Sache zu unterstützen, speziell diese – Voldemorts – Sache, doch war es die Erinnerung, dass seine Handlungen nicht länger ihm zugeordnet wurden, die ihm durchaus etwas ausmachte.

Und dann gab es da noch sein Haus.

Er hatte nie Probleme mit Ravenclaw gehabt. Doch nun, da ihm die Chance auf Erfolg geboten wurde, waren seine Hausgenossen geblendet, von Neid und scheinbarer Benachteiligung. Nur weil er nicht sonderlich auffiel, wurde er zum Schwindler degradiert. Jemand, der mit Abneigung betrachtet werden sollte.

Hielten sie wirklich so wenig von ihm?

Izar richtete sich vom Geländer auf.

Nein, es war egal, was sie von ihm hielten. Izar hatte schon größeren Verrat durchgemacht, bei weitem mehr als die Kinder, die neidisch auf ihn waren.

Er sollte die Situation gelassen angehen. Wie er zuvor bereits eingeräumt hatte, hatte es bisher keinen Grund gegeben, eifersüchtig auf ihn zu sein. Sollte er nicht stolz sein, dass es nun etwas gab, dass es wert war – dass er über die Köpfe der anderen halten konnte? Er hatte beschlossen, sich nicht mit seinen Errungenschaften zu rühmen, doch in diesem Augenblick, dort auf der Treppe verharrend, wurde ihm bewusst, dass er sich endlich Selbstbewusstsein und Stolz erlauben konnte.

Izar lächelte stramm.

Nun, da sein Problem mit seinem Haus sich selbst auflöste, spürte Izar, wie Gewicht von seinen Schultern abfiel. Er erkannte dunkel, dass er meditierte, seinen Geist klärte, wie es Okklumentiker taten.

Dennoch würde es immer dieses eine Thema geben, über dass er nicht gewillt war, nachzudenken. Und das war seine Abstammung.

Er erinnerte sich an Riddles Worte, wusste, dass der Mann recht hatte. Es machte keinen Sinn, zu versuchen, seine Abstammung zu akzeptieren. In seinen verletzlichsten Jahren hatte er niemanden, keinen Vormund. Er war unabhängig – und würde es für den Rest seines Lebens bleiben. Ein Elternteil würde kaum einen Unterschied machen.

Er schnaubte und blickte auf den geschwollenen Arm hinunter.

Flüchtig ließ er seine Gedanken zu Regulus schweifen. Severus Snape hatte angedeutet, dass Regulus am Leben war. Eine solche Bemerkung war zweifellos beabsichtigt gewesen. Versuchte er, Izar von Regulus zu überzeugen? Gab es etwas, dass er nicht wusste? Ein Geheimnis, das sich um seinen Vater drehte?

Die Stimmen der Schülerinnen und Schüler hallten zu ihm hinauf, als sie die Große Halle verließen.

Izar lehnte sich über das Treppengeländer und beobachtete, wie sie hinausströmten. Sogar von seinem Standort aus, konnte er ihre Aufregung sehen; die Art und Weise, wie ihre Schultern vor Freude bebten, wieder in Hogwarts zu sein – vereint mit ihren Freuden. Und der Bonus, den das Turnier versprach, ließ ihre Wangen erröten und ihre Augen glänzen.

Ihm wurde klar, dass er die Vergangenheit hinter sich lassen- und in die Zukunft blicken musste. Und diese musste einfach Verbesserungen beinhalten.

Mit ebenjenem Entschluss, der ihn anspornte, warf Izar die Schultern zurück und stieg die Treppe hinunter. Seine Schritte fielen eilig aus, in der Hoffnung, dass seine Entscheidung nicht zu spät kam.

„Izar–", rief Boot, als er an ihm vorbeisauste.

Izar ignorierte den Ravenclaw, während er den letzten Schritt machte. Er suchte den belebten Eingangsbereich mit seinen Augen ab, umging dabei sämtliche Schüler von Durmstrang, Beauxbatons und Hogwarts, bis er die große Gestalt Tom Riddles fand.

Mit einem tiefen Atemzug durchquerte Izar den Saal. Riddle würde zweifelsohne das Schloss verlassen und bis morgen nach Hause zurückkehren. Aber Izar wollte ihn jetzt für sich haben. Er musste sich nur dieses eine Mal beugen, nur dieses eine Mal, um von dem brennenden Schmerz befreit zu werden, der noch immer keine Besserung versprach.

„Mr. Riddle!", rief Izar, das Herz in der Kehle, als ihm bewusst wurde, dass er wahrscheinlich zu spät war. Es würde eine weitere Nacht unruhigen Schlafs bedeuten, in der er in kaltem Schweiß gebadet aufwachte, weil er sich zur linken Seite gerollt hatte. Seine Konzentration im Unterricht morgen wäre entsetzlich. Und er musste in diesem Jahr einfach wachsam sein.

Allerdings bewies sich seine Stimme als zu leise in der expansiven Halle. Es gab einfach zu viele Schüler zwischen dem Dunklen Lord und ihm selbst.

Irgendwie hielt Riddle dennoch in seinem Rückzug inne.

Der Mann blickte über seine Schulter, die Augen mit sofortiger Wirkung auf Izar fokussiert, trotz der zahllosen Schüler zwischen ihnen. Der Ravenclaw machte einen Schritt zurück, verblüfft, dass der Mann ihn gehört hatte. Wie? Plötzlich schob sich ein großer Schüler in sein Blickfeld, blockierte seine Sicht. Izar knurrte, hasste seine geringe Körpergröße. Er wich zur Seite aus und suchte erneut nach Riddle.

Das Mann war nirgends zu entdecken.

„Scheiße.", flüsterte Izar niedergeschlagen – erzürnt.

Er drehte sich um, bereit, sich einen Trank holen zu müssen, um in dieser Nacht überhaupt Schlaf zu finden, aber die hochragende Gestalt Tom Riddles versperrte ihm den Weg.

Death of Today | ÜbersetzungWhere stories live. Discover now