.08 - Unerwarteter Besuch

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Meine Blicke suchten nach ihm, aber konnten ihn nicht finden. Aus einer Dunkelheit näherte sich eine Gestalt an uns heran. Mein Herz begann zu pochen. Nicht, dass mir meine eigene Nervosität reichen würde, übersteigerte sich diese Spannung nun mehr.

Meine Tränen erschwerten mir den Blick und ich konnte nichts erkennen, da vor meinen Augen alles verschwommen war. Eine männliche Gestalt stand nun vor uns. Ich, immer noch sitzend auf dem kalten Bürgersteig, der widerliche Junge, immer noch stehend, blickten ihn erwartungsvoll an. „Was wenn nicht?!", provozierte er diesen und bückte sich zu mir und hielt mich wieder an meinen Schultern fest. Er zog mich mit voller Kraft hoch und wieder einmal brachte ich nichts über die Lippen. Nicht mal einen Schrei oder ein Geräusch. Nichts.

„Gut, ich hatte dich gewarnt!", zischte er zornig und in der nächsten Sekunde erkannte ich diese bekannte Stimme. Yigit.

Er stoß ihn mit seinem rechten Bein gewaltig in den Bauch des Jungens, da er mich mit seiner linken Hand immer noch festhielt, verlor ich auch das Gleichgewicht. Kurz bevor ich auf den harten Boden fiel, fing mich Yigit in seine kräftigen Armen auf. Mein Herz war kurz davor rauszuspringen. Mein Verstand existierte nicht mehr. Er war hier? Wie? Woher wusste er? Tausend Fragen durchströmten in meinen Gedanken, bis er mich zurück in die Realität stieß.

„Asli, alles in Ordnung?", fragte er ganz weich. „Ja-a. Denke schon", antwortete ich.

Er sah erschöpft aus, als ob er den dritten Weltkrieg hinter sich erbracht hatte. Seine Atemzüge wurden wieder regelmäßig und er schaute mich mit seinen nun dunkel gewordenen, tigerbraunen Augen an. Wie aus dem Nichts hatte ich die Schmerzen an meinem Knöchel vergessen, nahm sowie auch die Umgebung kaum noch wahr. In seinen Armen fühlte ich mich unbegreiflich sicher. ‚Asli! Komm wieder zu dir und steh auf!', ruinierte der Gedanke im Hintergrund den schönen Moment. „Könntest du mich loslassen?", frage ich ihn.

Zuerst schaute er mich etwas fassungslos an, aber nickte danach. Behutsam stand ich auf und setzte meinen Fuß auf den Boden, aber als ich meinen linken Fuß aufsetzte, kippte ich fast um, jedoch gab mir Yigit in dem Moment einen helfenden Halt. Wieder einmal hörte ich dieses Knistern. „Pass auf", flüsterte er ganz leise. Als mein Blick nach links wanderte, bemerkte ich, wie der widerliche Junge zusammengekrümmt auf dem Boden lag und vor sich hin jammerte.

„Sieh nach vorn", befahl Yigit. Ich nickte mit meinem Kopf und blickte ihn wieder an.

Ich hatte ihn noch nie so sanft erlebt. Woher sollte ich auch? Schließlich wohnte ich erst seit einer Woche hier. Oder war das überhaupt Yigit? Vielleicht war das sein Zwillingsbruder. Nichts auf der Welt war unmöglich.

„Soll ich dich lieber tragen?", fragte er wieder mit einer beruhigenden Stimme. Ohne auf meine Antwort zu warten, hob er mich hoch und ich schloss meine Arme automatisch um seinen Nacken. Mein Kopf lag auf seiner linken Brusthälfte und langsam bemerkte ich wieder diesen Schmerz an meinem Knöchel.

Ich wollte aufschreien, aber drückte mich dagegen. Er sollte doch nicht von mir denken, dass ich wie ein Kind jammerte. Ach! Mir war doch egal, was er von mir dachte. Er beobachtete mich gar nicht, sondern blickte geradeaus auf die leer gefegten Straßen. Nur durch die Laternen erkannte ich sein perfekt geformtes Gesicht. Eine gerade Nase hatte er, auch noch volle Lippen. Unter seinem linken Auge hatte er eine kleine Narbe.

„Heute bist du aber gar nicht so vorlaut", bemerkte er. „Ich bin gar nicht vorlaut!", knurrte ich von der Seite an. „Ah, wirklich? Außerdem wusste ich gar nicht, was für ein Tollpatsch du bist."

„Bin ich gar nicht!" „Doch. Du hast doch heute in der Bar das Glas fallen gelassen."

„Das war aber nicht extra!" „Weswegen dann? Warst du etwa so stark von meiner Schönheit geblendet?", fragte er diesmal frech nach und sah mir dabei tief in die Augen.

Nicht ohne dichWhere stories live. Discover now