.46 - Der Ball

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In welcher Eile. In welcher Zeit. In welchem Tempo, wir das Krankenhaus erreicht hatten, war unberechenbar. In welcher Minute sich die ganze Familie Kayaoglu im Krankenhaus versammelt hatte, war unberechenbar. Noch nie in meinem Leben hatte ich mein Yigit so zweifellos erlebt. In einem Schlag erschien vor meinen Augen kein selbstbewusster Mr. Kayaoglu, sondern ein kleines Kind, das verzweifelt auf der Suche seiner Mutter war.

Während er den Gang hoch und runter lief, während die Mutter sich auf dem Besucherstuhl ausheulte, während meine Schwägerin meine Schwiegermutter tröstete, während Mahir die Hände an den Oberschenkel gestützt, scharf überlegte, während die Cousins von Yigit in der einen Ecke leise redeten, beobachtete ich in vollen Zügen von meiner Position aus, was für verschieden Charaktere um mich herum standen. War es so leicht jemanden, den man liebte, so schnell zu verlieren?

Aus einem unschönen Moment, stellte ich trotz dessen etwas Sagenhaftes fest. Auch, wenn Yigit voller Stolz und Wut gegenüber seinem Vater gefüllt war und ihn verabscheute, liebte er ihn, wie er seine Mutter liebte.

Unsere Hände waren zusammengebunden, denn wir konnten keinerlei eine Hilfe aufnehmen, außer stundenlang auf eine positive Nachricht vom Oberarzt zu warten. Es waren schon zwei Tage vergangen und Yigits Vater lag immer noch im künstlichen Koma. Der Herzinfarkt kam urplötzlich, unerwartet, als er sich mit seinem älteren Sohn auseinander legte.

Ich erinnere mich noch ziemlich gut daran, als ich mit Yigit im Garten des Krankenhauses saß und ich vergebens versuchte ihn zu beruhigen und auf gute Gedanken zu bringen, bis wir von der freudigen Nachricht durch Mahir Zeuge wurden. Er kam wie angestürmt auf uns zu und umarmte, zum ersten Mal vor meinen Augen, aus seinem Herzen Yigit und ließ seine Freudentränen laufen. Das tragische Ereignis kostete uns viel Kraft und acht Tage, somit blieben uns nur noch sechsundvierzig Tage für die restlichen Hochzeitsvorbereitungen übrig.

Am Tag der Entlassung von meinem zukünftigen Schwiegervater waren nur Yigit und ich anwesend und warteten gelangweilt auf das Abholen. „Yigit, spaziere doch mit meiner Schwiegertochter. Sie langweilt sich zur Tode", merkte Yigits Vater an und lächelte mich an, wobei ich zusammen zuckte und meine Sitzposition aufrichtete. Der Vater und der Sohn hatten sich tatsächlich wieder vertragen und hatten über die schwarzen Tage für immer eine Gardine gezogen. Yigit stand vom Stuhl auf und hielt mir seine Hand, die ich herzlich annahm und mich auf die Beine hob.

„Bringe sie mir aber wieder heil zurück!", donnerte der Vater lachend, als Yigit die Tür hinter sich schloss und kurz noch erwähnte: „Werde ich mit Selbstverständlichkeit tun!"

„Und wohin nun?", fragte ich ihn, als wir gemeinsam die Treppe hinunter stiegen. Er nahm meine Hand und platzierte zart besaitete Küsse auf meinen Handrücken. „Danke für alles", flüsterte er und zog mich mit einem Ruck näher zu sich. „Nicht dafür."

„Ich habe eine Idee, was wir unternehmen könnten!", schoss es abrupt aus seinem Mund. „Komm!", befahl er und zog mich an meinem Handgelenk Richtung Ausgang. Während er mit großen Schritten auf den Garten stürmte, musste ich laufen, damit ich mit dem Schritt mithalten konnte. Er lief auf zwei ältere Männer, die auf Rollstuhl saßen, zu. „Yigit, was hast du vor?", fragte ich ihn hektisch und außer Atem geraten.

„Guten Tag die Herren, dürfte ich kurz Eure Rollstühle ausleihen?", stellte Yigit denen die Frage und ich konnte das Fragezeichen, das in deren Gesichter entstanden war, mitlesen.

„Ich werde sie auch unbeschädigt zurück bringen. Nur ganz kurz, in der Zeit werde ich Sie auf die Sitzbank hinsetzen, einverstanden?" Yigit löste seine Hand von meinem Handgelenk, während ich die Stelle rieb, beugte er sich über einen der Männer und hielt ihn unter seinen Armen fest.

Nicht ohne dichWhere stories live. Discover now