.23 - Das Autorennen

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„Du lebst ja noch ;)", hatte mir Yigit geschrieben, als hätte er eine Vorahnung, dass ich mein Handy eingeschaltet hatte. Sollte ich ihm zurück schreiben oder es sein lassen, fragte ich mich selbst. Die Frage wurde in Luft aufgelöst, als mich eine unterdrückte Nummer anrief.

„Ha-llo?", sprach ich schüchtern in den Hörer. „Asli?", fragte die Person an der anderen Leitung. Mein Gesicht versteinerte sich vor lauter Aufregung und ich bekam ein unbeschreibliches Bauchgefühl.

„Yigit?", fragte ich unsicher nach und zog die Decke fester zu mir. „Ja, so heiße ich."

Ich hörte im Hintergrund wie er vor sich hin lachte und wieder mit mir redete: „Geht's dir gut?"

„Ja, besser sogar", gab ich ehrlich zu und stellte ihn mir vor, wie er elegant sein Handy am Ohr hielt und eventuell sogar mit seiner Hand durch seine schönen schwarzen Haare ging.

„Freut mich zu hören. Darf ich fragen wo du dich aufhältst?"

„Wieso? Würdest du mich abholen kommen?"

„Wenn du es möchtest, warum nicht."

Seine Stimme am Telefonapparat beruhigte mich und in meiner Brust löste sich etwas auf. Etwas Außergewöhnliches geschah in diesem Moment, jedoch konnte ich es nicht entziffern. Ein Gefühl, als ob man vor einem Tresor stand, den Code wusste, aber immer bei der letzten Ziffer unsicher wurde und die Hand enttäuscht zurückzog. 

„Hallo? Asli?", ertönte seine Stimme.

„Ja, bin noch dran."

„Cemre war heute hier", erkundigte er mich.

„Wie?", fragte ich verdutzt nach und richtete mich im Bett auf.

„Sie hat sich Sorgen gemacht und hatte voll die roten, verheulten Augen. Ich habe ihr gesagt, dass du auf dem Weg ins Nimmerland warst", informierte er mich. Trotz der unangenehmen Situation brachte er mich auch für eine Sekunde zum Lachen.

„Du hast ihr ernsthaft gesagt, dass ich auf dem Weg ins Nimmerland war?"

„Ja, stimmt doch oder? Wie ist es so im Nimmerland? Hast du auch dort Nachbarn, die du mit irgendwelchen Gegenständen bewerfen kannst?", fragte er frech.

„Ja, habe ich. Sag Mal, woher wusstest du, dass ich mein Handy eingeschaltet hatte?"

„Sagst du mir dann, wo du bist?"

„Willst du es ernsthaft wissen?", neckte ich ihn.

„Nein", antwortete er wieder kalt und sprach weiter: „Ich lege jetzt auf. Gute Nacht."

„Gute Nacht", nuschelte ich, als das Telefon Bieb, Bieb läutete. Mein Herz gewann wieder den Sieg und zwang mich, Cemre eine Mitteilung zu schreiben. Ich schrieb ihr kurz, dass ich bei meinen Eltern die nächsten Tage verbringen würde und schaltete wieder mein Handy aus.

Diese Nacht schlief ich in aller Ruhe ein. Die Nacht stillte meinen Schmerz, meine Enttäuschung und meine Wut. Es vergingen zwei Tage. Das ich meine Zeit mit meiner Familie verbrachte tat mir unheimlich gut und löschte zugleich alle anderen Gedanken aus.

Am nächsten Morgen stand ich zu meinem großen Erstaunen relativ früh auf. Ich schlich mich leise in das Zimmer meines Bruders, Arda, und holte aus seinem Schrank eine kurze Sporthose und ein Basketballshirt heraus.

 „Asli?", flüsterte Arda und öffnete langsam seine Augen. „Haben wir schon sieben Uhr?", fragte er gähnend.  „Nein, schlaf noch eine halbe Stunde, dann kannst du aufstehen."

„Okay", erwiderte er und fiel wieder in den Tiefschlaf ein.

Die ruhige Landschaft am frühen Morgen tat mir gut. Allein den Sauerstoff nahm ich hier anders wahr. Ein Großstadtleben zu führen, wobei du in einer kleineren Stadt aufgewachsen warst. Auf den Straßen bis in die Mitternacht gespielt hattest. Das Leben hier ging deutlich ruhiger voran, als das chaotische, hektische Leben in einer Großstadt. Wo du allein auf den eigenen Beinen gestellt bist. Deine Eltern nicht mit dir wohnen, aber seelisch immer bei dir sind und es immer sein werden.

Nicht ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt