𝒦𝒶𝓅𝒾𝓉ℯ𝓁 ℱ𝓊̈𝓃𝒻

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Seonghwa

Erst auf der U-Bahn-Fahrt nach Hause trifft es mich mit voller Wucht.
Ich hab's ernsthaft, eindeutig und endgültig vermasselt.
Da begegne ich dem atemberaubendsten Jungen der Welt mit den bezauberndsten Wangen, die je von der Sonne geküsst wurden.
Der außerdem, zu meiner großen Verwunderung, auf mich zu stehen scheint, denn dieses Lächeln.
Dieses Lächeln hat mir nicht bloß Solidarität bekundet.
Sondern eine Tür geöffnet.
Eine Tür, die jetzt allerdings zugeschlagen, abgeschlossen und verriegelt ist.
Ich werde Mingi nie wiedersehen.
Ich werde ihn nie und nimmer auf seinen Emma-Watson-Mund küssen.
Die Geschichte meines Lebens.
Beziehungsstatus: auf ewig einsam.

Hätte ich nur den Mut gehabt, nach seiner Nummer zu fragen.

Jisu hatte vollkommen unrecht damit, mich als Draufgänger zu bezeichnen.
In Wahrheit habe ich null Mut und null Komma nichts am Laufen.
Ich hatte noch nie einen festen Freund, hatte noch nie Sex und habe noch nie geknutscht, nicht mal annähernd.
Bisher hat mich das auch gar nicht so sehr gestört.
Es war halt der Normalzustand.
Und außerdem sitzen San und Jisu ja im selben Boot.
Mittlerweile fühlt es sich allerdings so an, als würde ich mich mit einem leeren Portfolio und ohne jede Ausbildung am Broadway bewerben.
Unvorbereitet und unqualifiziert und grenzenlos überfordert.

Kreuzunglücklich nehme ich den Rest meines Heimweges in Angriff.
Steige an der 72th Street aus und gerate mitten hinein in das Chaos aus Hetze und Taxen, Passanten und Krach.
Drei Blocks liegen zwischen der Bahnstation und Onkel Miltons Wohnung.
Im Gehen lese ich auf meinem Handy eine Verpasste-Gelegenheiten-Anzeige nach der anderen durch.

Sobald ich die Wohnung betrete: „Hwa, bist du das?“

Ich lege meine Laptoptasche auf unserem Esstisch ab, der gleichzeitig auch Wohnzimmer und Küchentisch ist.
Die Wohnung meines Großonkels hat zwei Schlafzimmer, für New Yorker Verhältnisse bestimmt schon viel.
Trotzdem fühle ich mich wie eine Mumie im Sarkophag.
Und ich kann absolut verstehen, dass Onkel Milton den Sommer in Martha's Vineyard verbringt.

Ich folge Dads Stimme und finde ihn vor einem Kaffee und seinem Laptop an meinem Schreibtisch.

„Warum hast du dich in mein Zimmer gesetzt?“

Er schüttelt den Kopf, als sei er darüber selber verdutzt.
„Keine Ahnung. Tapetenwechsel?“

„Die Pferde machen dir Angst.“

„Ich mag Pferde. Mir ist nur nicht klar, warum dein Großonkel zweiundzwanzig von ihnen an der Wand haben muss.“

„Ihre Blicke folgen einem, stimmt's? Oder bilde ich mir das ein?“

„Nope, das bildest du dir nicht ein.“

„Am liebsten würde ich... ihnen Sonnenbrillen aufkleben oder so was.“

„Gute Idee. Mom wäre begeistert.“

Einen Augenblick lang grinsen wir uns schweigend an.
Manchmal kommt es mir so vor als wären Dad und ich die Lümmel aus der letzten Bank.
Hin und wieder müssen wir Mom Papierkügelchen in den Nacken werfen.
Bildlich gesprochen.

Ich gucke auf Dads Bildschirm.
„Ein Auftrag?“

„Nee, ich bastel bloß rum.“
Dad ist ein Webentwickler.
In Georgia war er noch ein Webentwickler, der Geld verdient hat.
Bis er dann am Tag vor Weihnachten gefeuert wurde.
Jetzt ist er ein Webentwickler, der rumbastelt.

In dieser Sarkophag-Wohnung lernt man unteranderem, was hellhörig bedeutet.
Fast jede Nacht darf ich von der unteren Etage meines Stockbetts aus dabei zuhören, wie meine Mom meinem Dad fehlenden Ehrgeiz bei der Jobsuche vorwirft.
Worauf er meist etwas nuschelt wie, eine Jobsuche in Georgia sei von New York aus nun mal nicht so einfach.
Was immer dazu führt, dass sie ihn daran erinnert, er könne ja jederzeit nach Hause fahren.

What if it's us? //a Seongjoong Story//Where stories live. Discover now