𝓚𝓪𝓹𝓲𝓽𝓮𝓵 𝓥𝓲𝓮𝓻𝓾𝓷𝓭𝔃𝔀𝓪𝓷𝔃𝓲𝓰

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Hongjoong

Ich glaube, ich habe noch nie irgendjemanden mehr enttäuscht als Seonghwa gerade.

Dabei sollten Partner die ultimativen Cheerleader sein, sollten einen zum Lachen bringen und aufbauen, wenn man am Boden ist, und nicht der Grund dafür sein, dass es dem anderen schlecht geht.
Und doch ist genau das passiert und ich bin schuld an seiner enttäuschten, ganz un-seonghwaigen Miene.
Seine kühnsten Broadway-Träume waren zum Greifen nah und ich habe sie platzen lassen.

Da bringt es auch nichts, dass ich eigentlich die besten Absichten hatte, wenn ich mir mal wieder selbst im Weg stehe.

„Seonghwa?“

Da steht er, mit bebenden Schultern, und lässt den Kopf hangen.
So sah er zuletzt an dem Abend aus, an dem uns dieses Arschloch bedroht hat.
Heute bin ich das Arschloch.
Ich strecke die Hand nach ihm aus, aber er weicht zurück und sinkt traurig auf die Bordsteinkante.

Ich möchte mich entschuldigen, aber mir ist klar, das reicht nicht.

Er weint, und zwar nicht nur wegen der Karten.
Weil ich das hier verbockt habe, glaubt er jetzt, ich würde ihn nicht so sehr mögen, wie er mich mag.
Ich ziehe mein Handy raus und hocke mich neben ihn.

„Seonghwa? Kannst du mich kurz angucken? Bitte?“

Ich öffne YouTube.
Es gibt einiges wiedergutzumachen.

Ich reiche ihm einen Ohrstöpsel, behalte den anderen und gebe 'Hamilton, Karaoke' ein.
Und als es losgeht, singe ich mit.
Genau wie er neulich Abend gehe ich aus mir heraus, mache mich angreifbar.
Versuche, die ganzen Passanten auszublenden und mit dem Text mitzuhalten, während ich eine unfreiwillige Parodie der Show hinlege, die gleich hinter uns starten wird.

Ich spüre Seonghwas Blick auf mir.
Eine ganze Minute lang zeigt er keine Reaktion.
Doch dann:
„My name is Alexander Hamilton.“ singt er.
Hauptrolle, klar.

Den Rest des Tracks singen wir zusammen, einer von uns deutlich besser und ungehemmter als der andere.
Aber er ist eh das einzige Publikum, das für mich zählt.

Nachdem der Song zu Ende ist, möchte ich mich entschuldigen.
Aber Seonghwa nimmt mir das Smartphone aus der Hand, sucht nach 'Only Us' aus 'Dear Evan Hansen' und rutscht näher an mich heran, während er singt.
„So what if it's us, what if it's us, and only us.“

Das Lied ist superschön.
Es geht darum, wie es sich anfühlt, von jemandem gemocht zu werden, der ganz genau weiß, wer du bist.
Darum, wie die Welt - selbst das hektische Gewusel des Times Square - in den Hintergrund tritt, wenn du mit der richtigen Person zusammen bist.
Als ich wieder dran bin, das nächste Lied auszusuchen, nehme ich 'Suddenly Seymour' aus dem Film 'Der kleine Horrorladen', den habe ich vor ein paar Jahren mal mit meinen Eltern gesehen.
Seonghwa entscheidet sich als Nächstes für 'Der Zauberer und ich' aus 'Wicked'.
Ich lege noch einen drauf und wähle 'Kann es wirklich Liebe sein' aus 'König der Löwen'.
Er singt aus vollem Halse mit.
Wenn ich doch bloß seine Gedanken lesen könnte!
Als Nächstes stellt er 'Ich bereu es nie' aus 'A Chorus Line' an.

Durch all diese Lieder scheinen wir ein Gespräch zu führen, ohne selbst ein einziges Wort zu sagen.

„Eins noch.“ sagt Seonghwa.

„Von mir aus können wir die ganze Nacht hierbleiben. Allerdings habe ich nur noch zwanzig Prozent Akku.“

Er öffnet ein Video von einem Highschool-Chor, der 'My Shot' performt, und ich wünschte, ich würde auf eine Schule gehen, an der es so etwas gibt, um mal live dabei sein zu können.
Was mich nur wieder daran erinnert, dass wir theoretisch gerade in der ersten Reihe eines Musicaltheaters sitzen sollten. 

„Seonghwa, es tut mir so leid. Ich werde mir nie verzeihen, dass ich dir die Chance versaut habe, das Original zu erleben.“

„Das klingt jetzt wahrscheinlich total bescheuert, aber ich glaube, ich mochte das hier sogar noch mehr.“

„Echt?“

„Hongjoong, Millionen von Leuten können von sich behaupten, im Richard Rodgers Theatre Hamilton gesehen zu haben. Wir sind die Einzigen, die auf dem Bordstein davor alle Highlights der Musicalgeschichte an einem einzigen Abend gehört haben.“

„Und warum genau ist das besser? Ich meine-“

Seonghwa schneidet mir mit einem Kuss das Wort ab.

„Gut aus der Affäre gezogen.“ sage ich.
Wir stehen auf.
„Ich meine es ernst: Es tut mir wirklich leid.“

Noch ein Kuss.

„Okay, aber ich hab echt Mist gebaut und-“

Noch einer.

„Es ist echt schwierig, sich bei dir zu entschuldigen, aber durch deine Küsse dabei unterbrochen zu werden, machtes auf jeden Fall zu einem Luxusproblem.“

„Hongjoong, ich bin glücklich. Das war wunderschön und romantisch und einfach perfekt. Du bist der König der Wiedergutmachung!“

Wir stürzen uns ins Times-Square-Getümmel.
Durch die Massen an Fußgängern werden wir ständig getrennt, aber wir finden immer wieder zueinander, lassen uns von Gruppenselfies oder staunenden Passanten nicht aufhalten.
Als ich seine Hand wieder in meiner spüre, bin ich entschlossen, sie nicht mehr loszulassen.
Nicht heute Nacht.
Nie wieder.

What if it's us? //a Seongjoong Story//Where stories live. Discover now