𝓚𝓪𝓹𝓲𝓽𝓮𝓵 𝓝𝓮𝓾𝓷𝓾𝓷𝓭𝔃𝔀𝓪𝓷𝔃𝓲𝓰

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Mittwoch, 1. August

Seonghwa

Geht's noch erbärmlicher?
Mit Kaseflipsstaub beschmiert hänge ich in Schlafanzughose und einem nicht mehr ganz frischen T-Shirt auf dem Sofa, wo ich mir zu Kesha-Songs tanzende Pokémons auf YouTube reinziehe.
Es könnte nicht beschissener sein.
Ich habe quasi den Gipfel der Beschissenheit erreicht.
Beschissenberg.
Beschissen Everest.
Sehet und staunet, wie ich die Beschissenheit immer noch höher schraube.

Immerhin kann Glurak verdammt gut tanzen.

Wow, sogar meine Gedanken sind beschissen.
Und eine richtige Unterhaltung hatte ich schon seit vorgestern nicht mehr.
Dad hat ein Bewerbungsgespräch in Atlanta und Mom arbeitet in letzter Zeit immer bis in den Abend.
Ich dagegen bin 'krankgemeldet'.
Hoffentlich für immer.
Mittlerweile fühlt es sich nicht mal mehr nach einer Lüge an.

Gegen acht kommt Mom rein und setzt sich auf die Sofalehne.
„Wie fühlst du dich, Liebling?“

Ich spiele ein Husten vor, das sich auf halbem Weg in ein Würgen verwandelt.

„Oh, also... nicht gut?“

„Nicht gut.“ bestätige ich.

Sie legt ihre Hand an meine Stirn.
„Hmm, zumindest kein Fieber. Aber wir behalten das im Auge.“
Sie streicht mein Haar glatt.
„Bist du sicher, dass du am Wochenende klarkommst? Ich lasse dich wirklich nur ungern an deinem Geburtstag allein.“

„Ist okay.“
Tja, Samstag habe ich Geburtstag.
Und Mom fährt morgen weg.
Für einen Haufen Meetings und irgendwelche Zeugenaussagen.
Erst Montag kommt sie zurück.
Genau wie Dad.
Deswegen werde ich meinen siebzehnten Geburtstag mutterseelenallein in Onkel Miltons Wohnung verbringen.
Was umso schlimmer ist, weil es der legendarste Geburtstag aller Zeiten hätte werden können.
Ein verdammtes Flitterwochenende mit Hongjoong.
Ohne Eltern.
Mit einer ganzen Wohnung zur freien Verfügung.
Allein mit sechsunddreißig Kondomen für mich und meinen wunderschönen Liebsten.
Mittlerweile bekannt als mein arschiger Ex.

„Ich gebe Eunbi und Joohyun deine Nummer, okay? Dann können sie zwischendurch mal nach dir sehen.“

Ich zucke die Schultern.

Wir schweigen.
Mom räuspert sich.
„Also, willst du nicht über-“

„Nein.“

Ich meine, was soll ich schon sagen?
Zu blöd, dass ich während deiner Abwesenheit nicht meine Jungfräulichkeit verliere, Mom, weil Hongjoong mir das Scheißherz gebrochen hat und ich jetzt Single und einsam bin.
Hier, nimm meine sechs Packungen Kondome.
Ich werde sie bestimmt nie mehr brauchen.

„Okay, aber wenn du es dir anders überlegst...“ sagt sie und schürzt die Lippen.
Und los geht's.
„Hör zu, Seonghwa, dein Dad und ich machen uns große Sorgen um dich und-“

„Muss das jetzt sein?“

„Was?“

„Dieses Einigkeitsgetue. Dein Dad und ich. Komm schon.“

„Liebling, ich-“

„Weißt du, was ich echt toll finde? Dass jeder - jeder Einzelne von euch - mir einfach kackendreist ins Gesicht lügt. Ständig. Denn oh, der sensible Seonghwa kommt mit unseren großen Geheimnissen nicht klar. Ihr wollt euch scheiden lassen? Schön! Was soll's!? Aber sagt es mir.“

Mom klappt die Kinnlade runter.
„Scheiden lassen?“

„Jetzt tu doch nicht so.“

„Seonghwa, was redest du da? Zwischen deinem Dad und mir ist alles in Ordnung.“

„Als ob.“

Sie schaut mich mit einem seltsamen Blick von der Seite an.
„Wie lange machst du dir deswegen schon Sorgen?“

„Seit Ewigkeiten? Ihr habt euch den ganzen Sommer nur angegiftet!“

„Liebling, nicht doch. Es war bloß nicht so einfach mit deinem Dad auf Jobsuche und-“

„Ich bin voll und ganz im Bilde, glaub mir. Ihr streitet laut genug.“

Es ist, als hätte jemand die ganze Luft aus dem Zimmer gesaugt.
Ich starre auf meine Hände.
Und könnte schwören, mein Herz klopfen zu hören.

„Na gut. Rufen wir deinen Dad an.“

„Jetzt sofort?“ stöhne ich und verstecke das Gesicht hinter den Händen.

Als sie das Handy ans Ohr presst, nach nebenan geht und halblaut etwas murmelt, versuche ich gar nicht erst, sie zu belauschen.
Ich habe es satt, mich darum zu scheren.
Ich habe es satt, mir Mühe zu geben.
Das ist die Lösung: aufhören, mich einen Scheiß zu kümmern, und aufhören, mir Mühe zu geben.
Genau wie Mom und Dad das miteinander machen.
Genau wie Hongjoong es mit mir gemacht hat.

Hongjoong, von dem ich eine Nachricht gekriegt habe.
Eine einzige.
Das war's.
So sehr war er bereit, um mich zu kämpfen.
Aber warum sollte er auch?
Warum sollte er für einen Jungen kämpfen, der bald nach Georgia zurückzieht, wo er doch Mingi den ganzen Sommer lang keinen halben Meter neben sich sitzen hat?
Und stimmt, dafür kann Hongjoong nichts.
Aber er hat gelogen.
Jeden Tag.
Mit jedem Wort.
Nicht mal das Scheißpaket hat er abgeschickt.

Mom kommt zurück ins Wohnzimmer und gibt mir ihr Handy.
„Hier ist Dad. Auf Lautsprecher.“

„Hi.“ sage ich tonlos.

„Hi, na? Wer erzählt hier, dass wir uns scheiden lassen?“

Er klingt nervtötend amüsiert.

„Na ja, wenn ihr nicht mal fünf Minuten durchhaltet, ohne euch anzukeifen, muss man kein Raketenwissenschaftler sein, um...“

„Oje.“
Mom setzt sich wieder aufs Sofa und schlingt die Arme um mich.
„Lass ruhig alles raus.“

Dad lacht.
„Wir lassen uns nicht scheiden, Kumpel.“

„Ihr könnt es mir sagen! Seid einfach ehrlich.“

„Wir sind ehrlich!“
Mom schüttelt den Kopf.
„Wir haben schon immer gestritten, Seonghwa. So sind wir nun mal. Wir sind nicht perfekt. Beziehungen sind chaotisch. Bei dir und Hongjoong lief schließlich auch nicht alles-“

„Hier geht es nicht um Hongjoong!“

„Hwa, ich sage doch nur, dass Stress vorprogrammiert ist. Manchmal baut man Mist, sagt etwas Falsches, geht sich auf die Nerven.“

„Aber ihr seid verheiratet. Da solltet ihr doch mittlerweile wissen, wie man's richtig macht.“

Mom lacht ihr atemloses Lachen, und als ich zu ihr auf sehe, grinst sie über beide Ohren Dads Namen auf dem Display an.
Hm, das ist allerdings verwirrend.
Als würde man Jean Valjean und Javert beim Händchenhalten erwischen.
Vielleicht sind meine Eltern ein Samstagabend-auf-dem-Sofa-Pärchen und gleichzeitig ein über-Kleinscheiß-streiten-Pärchen.
Vielleicht sind sie beides.

„Dann herrscht bei euch also bloß normales Chaos?“ frage ich schließlich.
„Kein Scheidungs-Chaos?“

„Stinknormales Chaos.“ sagt Dad.
„Die Standardausführung.“

Mom drückt mich.
„Vielleicht solltest du deinem eigenen stinknormalen Chaos auch noch eine Chance geben?“

„Pff. Das ist was völlig anderes.“

„Ach, Seonghwa, wenn du meinst.“

Vielleicht hasst das Universum nicht unser komplettes Team Park.
Aber mich hasst es definitiv.

What if it's us? //a Seongjoong Story//Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz