Kapitel 2 Der Brief

2.1K 96 5
                                    

Ich machte nun mein Abitur und hätte es nächstes Jahr in der Tasche. Ich hielt es auch keinen Tag länger mehr in diesem Haus aus. Ich gehörte zu den Überfliegern, da ich mehr Kurse belegte als die meisten anderen. Ich hatte immer meine Hausaufgaben, ging sogar in Freistunden in die Schule und saß immer in der ersten Reihe. Dafür hatte ich keine richtigen Freunde. Natürlich gab ich immer mal jemandem Hauaufgaben oder korrigierte Aufsätze, aber mehr als eine gelegentliche Sache war das nicht.

Ich wollte nicht nach Hause. Sport war noch nie meins gewesen und viele andere Hobbies blieben mir nicht mehr, die man außer Haus ausüben konnte. Dementsprechend floh ich in die Schule und verbrachte dort die meiste Zeit meiner Tage. Die Wochenenden waren furchtbar. Der Park erinnerte mich an die Zwillinge, die Shoppingmall an Lia und der Wald an meine Mutter. Zuhause konnte ich aber auch nicht bleiben.
Alkohol war mir immer schon zuwider gewesen. Also blieb mir kein Zufluchtsort mehr übrig. So ging ich häufig einfach in die Bibliothek und beschäftigte mich dort.

Als ich an dem Tag wie gewohnt von der Schule nach Hause kam, lag ein Brief auf dem Esstisch.
Es war ein ganz besonderer Brief, aus älterem, ungebleichten Papier. Mein Vater war nicht da.
Er arbeitete wie so oft, aber es konnte noch nicht lange sein, denn er hatte schließlich die Post angenommen. Bei dem Gedanken, dass er dafür offenbar lang genug geblieben war, aber nicht einmal die Minuten warten konnte, bis ich nach Hause kam, drehte sich mir der Magen um.

Der Brief war an mich adressiert, also öffnete ich ihn auch, ohne auf meinen Vater zu warten. Er würde schon drüber hinweg kommen. Schließlich war ich mit meinen 17 Jahren alt genug, um meine eigene Post selbst zu öffnen.

Sehr geehrte Frau Sehm,
ihr freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass sie zu dem Internat der ,,Volturi'' in Volterra zugelassen wurden. Es handelt sich hierbei um eine italienische Eliteschule. Wir nehmen nur die Besten. Die Unterlagen, die uns von ihrer Schule vorliegen, zeigen, dass sie das Zeug dazu haben, Außergwöhnliches zu vollbringen.
Schicken Sie uns einen Brief mit ihrer Absage, wenn Sie unser großzügiges Angebot nicht annehmen. Wenn dies nicht bis zum fünfzehnten August geschehen ist, werden Sie von zwei unserer Angestellten abgeholt und nach Volterra gebracht.
Überdenken Sie ihre Meinung gut, denn es werden nur Musterschüler an unserem Internat aufgenommen. Es wird ihnen viele Türen öffnen.
Mit freundlichen Grüßen
Aro Volturi, Caius Volturi und Marcus Volturi.

'Gut, mich hält sowieso nichts mehr hier', dachte ich, Da kann ich auch gleich zu den Volturi gehen.'
Mir war sofort bewusst, dass es sich bei einem Internat in Volterra um die Volturi handeln musste.
Meine beste Freundin hatte mich vor ihnen gewarnt. Erst vor einigen Wochen hatte sie angerufen, da ihr genau diese Masche zu Ohren gekommen war. Früher hatten die Volturi ihre Nahrung in Form von Menschen über Führungen bezogen. Aber offenbar suchten sie nun auch über diese Weise nach neuer Beute. Möglicherweise suchten sie auch nach Rekruten. Meine Freundin war sich da nicht so sicher. Die meisten Vampire besaßen keine Gaben, meine Freundin hingegen konnte die Zukunft sehen. Sie hatte wohl gesehen, wie ich nach Volterra gehe. Das wurde mir in diesem Moment bewusst. Deshalb hatte sie nach langer Zeit der Funkstille wahrscheinlich überhaupt bei mir angerufen. Wie dreist! Ich war ihr nicht wichtig genug, dass sie blieb oder mich überhaupt einmal anrief, aber dies wollte sie nun doch verhindern.

Ich hatte die Chance, mein Leben neu zu beginnen. Dort, wo niemand etwas über meine Vergangenheit wusste, wo niemand mich bemitleidete. Das hasste ich.
Meine Schulkameraden kannten mich nur als das arme, bemitleidenswerte Mädchen. Gerade als meine Mutter gestorben war, hatten sie versucht, sich bei mir einzuschleimen. Es war schwierig gewesen, jeden Tag zu hören, wie schlimm es mir doch ginge.
Sie nahmen mich überhaupt nicht für voll.

Meine Freundin würde lachen und sagen, dass ich zu vernünftig wäre, um nach Volterra zu gehen. Schließlich würden die Volturi mich töten, wenn sie herausfänden, dass ich von Vampiren weiß.
Das Risiko ging ich ein, wenn ich sterben sollte, dann hatte ich wenigstens versucht, mein Leben komplett umzukrempeln.

Außerdem war meine Freundin nicht hier, sondern in Forks. Einer verregneten Kleinstadt, irgendwo im Westen der USA. Sie hätte auch nicht weiter weg ziehen können. Manchmal dachte ich darüber nach, ob sie das mit Absicht gemacht hatte. Ich würde es wohl nie erfahren. Damals hatte sie mir noch ab und zu geschrieben, doch auch das tat sie nicht mehr, wenn man von dem letzten Anruf mal absieht. So blieb ich allein. Mein Vater arbeitete, Freunde hatte ich auch nicht. Es war aber selbst gewähltes Leid. Ich hasste diese falsche Mitleidsfreundschaft. Zumal die meisten von mir profitieren wollten. Als für sie klar wurde, dass ich ihnen nicht immer die Hausaufgaben machen würde, stempelten sie mich als arroganter Streber ab.

Bis(s) ich wieder bei dir bin ( Volturi Ff)( Abgeschlossen) Where stories live. Discover now