Kapitel 32- Anna und Schokotörtchen

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Weihnachten war vorüber und Leah war gerade mal wenige Tage zurück in der Stadt. Die Feiertage hatten sie gestresst. Sie hatte ihre Familie selten so komprimiert auf einem Haufen und die Gespräche, mit den eigentlich immer gleichen Themen hatten sie angestrengt, besonders immer dieselben Fragen beantworten zu müssen.

Warum hast du keinen Freund?

Was macht das Studium?

Wenigstens hatte sie trainieren können. Sie hatte einen kostenlosen Probemonat in örtlichen Fitnessstudio ausgenutzt. Die Pumper und Möchtegernbodybuilder waren ihr auf die Nerven gegangen, aber sie hatte sie ignorieren können. Ständig hatte ihr jemand mit Halbwissen erklären wollen, wie man richtig auf der Rudermaschine saß und was sie in den Zügen aus den Beinen heraus alles falsch machte.

Jetzt war sie auf dem Weg in die Oase, um sich dort mit Neele zu treffen. Die wollte ihr ganz aufgeregt von etwas erzählen und Leah freute sich ehrlich darauf, ihre beste Freundin nach Wochen des nur Schreibens wiederzusehen. Sie hatte ihre Gespräche vermisst. Neeles ab und an echt unkonventionelle Art. Und vor allem wie Neele über viele der Dinge in ihrem Kopf dachte auch mal zu hören, als nur zu lesen.

Der Duft nach Zimt und Karamell hing schwer und verführerisch in der Luft, als Leah die Cafétür aufstieß. Tief atmete sie ein und entschied eine der wohl noch warmen Zimtschnecken zu bestellen. Sie lachten sie von der Auslage her einfach nur so an. Sie waren genau richtig braun und die Zimt-und-Zucker-Mischung war zu Karamell geworden, das zwischen den Teigschichten hindurch glänzte.

Sie zupfte sich den Schal vom Hals und öffnete die Knöpfe ihres neuen dunkelblauen Wollmantels, den sie von ihrer Oma zu Weihnachten bekommen hatte. Ein Klassiker und unheimlich warm. Im Café daher auch zu warm. Sie glaubte beinahe zu ersticken in dem Ding.

Suchend blickte sie sich nach Neeles wilden Locken um, aber konnte sie nirgendwo erblicken. Das Café war recht voll, aber ihr Lieblingsplatz war immer noch frei. Wahrscheinlich war Neele in ihrem Weihnachtsgeschenk versackt. Leah hatte ihr einen Gutschein für InGame-Währung ihres Lieblingsspiels geschenkt. Neele hatte sich zig mal per Sprachnachricht dafür bedankt und Leah damit etwas gerührt.

Sie entschied trotzdem schon zu bestellen, auch wenn Neele noch nicht in Sicht war. Dann eben mit einer Zimtschnecke auf Neele zu warten und was sie von ihren chaotischen Weihnachtsferien zu berichten hatte, inklusive der angedeutet Story über ihre kleine Schwester, die versucht hatte den Weihnachtsbaum anzuzünden. Die hatte schon in der Sprachnachricht lustig geklungen und nun brannte sie darauf zu erfahren, was die sechsjährige angestellt hatte.

Anna grinste ihr wie so oft vom Tresen entgegen. Sie musterte Leah mit einem freundlichen Lächeln und trug heute wieder die normale Kleidung des Cafés, ein schwarzes Oberteil mit Aufdruck und eine dunkelgrüne Schürze. "Hi, lange nicht gesehen. Wie geht es dir?" um genau zu sein, hatten sie sich seit dem Zusammenprall von Niklas und Paul nicht mehr gesehen.

Leah hatte die Trainings bis zu den Ferien gemieden, da sie Angst gehabt hatte, Niklas in die Arme zu rennen.
„Alles gut", meinte sie gedehnt und blinzelte Anna freundlich an. "Und dir?" Ihr war nicht danach, über Niklas nachzudenken. Er hatte ihr weh getan, oder vielmehr war das Paul gewesen.

"Och," winkte jene ab, "Nikki heult mir die Ohren voll. Ich habe Paul mehrere Male vor ihm retten müssen. Sonst ist alles in Ordnung. Was willst du haben? Ich bringe es dir dann an den Tisch." Die Art wie sie mit Leah sprach, sorgte bei ihr für Gänsehaut. Sie klang bissig und etwas genervt. Für Anna war das letzte Wort eindeutig noch nicht gesprochen und sie würde um ein Gespräch wohl nicht herumkommen.

"Eine Zimtschnecke und einen Chai, bitte!" Sie merkte gar nicht, wie ihre Stimme angefangen hatte zu zittern. Sie hatte es vermieden, über die Feiertage an Niklas zu denken. Jedes Mal hatte sich alles in ihr zusammengezogen und sie hatte Angst gehabt, nicht mehr atmen zu können. Immer hatte sich kalt dieses Loch in ihrer Seele gemeldet und sie daran erinnert, dass es ihn gab und dass sie sich Hoffnungen gemacht hatte.

"Kommt sofort!". Anna lächelte und tippte alles in die Kasse ein. Ihre Augen blitzten auf im warmen Schein der Lampen und Leah lief es eiskalt über den Rücken. Neele sollte sich bitte beeilen!

Leah setzte sich mit Blick auf den grauen, mit einer dünnen Eisschicht überzogenen See an ihren Lieblingsplatz. Dort hinten am Ruderclub hatte alles angefangen. Dort hatte sie wieder angefangen, zu träumen. Manchmal fragte sie sich, was passiert wäre, hätte jemand anders als Niklas sie aus dem Wasser gezogen, schüttelte dann aber immer den Kopf. Dieser Gedanke änderte nichts, drehte die Zeit nicht zurück und bügelte keine Fehler aus.

Schnell zog sie ihr Handy aus der Jackentasche und tippte eine Nachricht an Neele. Sobald sie die Nachricht abgeschickt hatte, legte sie das Handy weg und sah aus dem Fenster auf die ruhig daliegende Promenade.

Sie betrachtete gerade ein Pärchen, das in ihre Mäntel eingepackt über den mit einer dünnen Schneeschicht bedeckten Weg entlang des Wassers lief. Die Frau hatte sich bei dem Mann untergehakt und er konnte sie gerade noch so an der Schulter fassen, ehe sie wohl auf einer Eisfläche ausrutschen konnte. Sie lachten herzlich. Dabei wirkten sie unheimlich vertraut und eng, dass es Leah das Herz zusammen zog.

Sehnsucht und auch eine Spur Neid glomm in ihr auf. Sie wollte das auch. Sie war ihre Einsamkeit leid. Niklas hatte etwas in ihr wachgerüttelt, von dem sie dachte, es gäbe es schon gar nicht mehr. Er war der Einzige seit Jahren gewesen, mit dem sie sich so etwas hätte vorstellen können.

Geräuschvoll stellte Anna den Teller plötzlich vor ihr ab und sie fuhr erschreckt zusammen. Widerwillig löste sie den Blick von dem Paar und blickte auf ihren Teller.

Eine Zimtschnecke würde sich schon tröstlich auf ihr Gemüt auswirken. Zu ihrer Überraschung lag noch ein Schokoladen-Karamelltörtchen auf ihrem Teller und Anna setzte sich ihr gegenüber.

"Das wirst du brauchen, wenn ich mit dir gesprochen habe!" Annas Blick war ernst und ließ sie frösteln. Anna lehnte sich auf dem Stuhl zurück, als hätte sie alle Zeit der Welt und würde nicht eigentlich in dem Café arbeiten, in dem sie da saßen.
"Nikki ist echt fertig!", fing sie an.

Leah musste schlucken. Sie wusste, dass sie wohl etwas impulsiv davon gestürzt war, aber Pauls Kommentare hatten sie getriggert und Erinnerungen hochgeholt, die sie eigentlich begraben wollte. Es hatte viel zu wehgetan zu hören, dass ihr neustes Luftschloss nur aus heißer Luft bestand.

"Leah, ihr müsst euch aussprechen! Ich weiß nicht was passiert ist, aber so geht das nicht! Du siehst auch nicht gut aus. Nikki ist mein bester Freund und ich würde meine Hand für ihn ins Feuer legen." Annas Finger strichen sanft über ihren Handrücken.

Leah blickte in ihren Chai und spielte mit dem Henkel der weißen Porzellantasse. Sie wollte das nicht hören und dieses Gespräch nicht führen. Was würde es schon ändern?

"Diese Augenringe sind doch nicht gesund und du hast auch schon einmal ausgesehen, als hättest du dein Leben besser im Griff. Ich meine das echt nicht böse, aber bitte rede mit ihm. Hör dir an, was er zu sagen hat."

Anna hatte recht, aber das würde sie nicht zugeben. Sie hatte sich gehen lassen. Es gab niemanden, für den sie gut aussehen wollte oder dem sie um jeden Preis gefallen wollte.

Leah schüttelte den Kopf. "Ich kann das nicht!" Ihre Stimme brach und heiße Tränen stiegen in ihre Augen, als sie an seinen Blick dachte. Diese Verzweiflung. Ihr Herz schmerzte und sie unterdrückte ein Schluchzten. Wie er ihren Namen gesagt hatte. Ihr Kopf sagte, dass das alles nur Theater gewesen war, aber ihr Herz wollte einfach nur zu ihm zurück.

Das tat alles so weh. Vergangenheit und Gegenwart hatten sich in ihrem Kopf schon wieder zu einem Wulst vermischt und schnitten ihr jedes Mal tief in die Seele, sobald jemand über Niklas sprach oder nur der Name irgendwo vorkam.

"Warum solltest du das nicht können?" Die Stimme von Anna klang weich und keinesfalls anklagend, trotzdem zögerte Leah. Sie umfasste nun Leahs Hand aufmunternd. Malte kreise mit dem Daumen auf ihrem Handrücken, als könne sie Leah so beruhigen.

Tief atmete sie ein, ehe sie sagte:, "Männer haben mir nie Glück gebracht. Ich hatte nie eine Beziehung, sondern wurde nur ausgenutzt. Ich war immer nur kurz spannend oder viel mehr so lange man mich benutzen konnte wie man wollte!"
Sie hatte es verschachtelt, aber präziser wollte es ihr nicht über die Lippen.

Anna seufzte. Der Griff um Leahs Hand verstärkte sich. "Das tut mir leid. Glaub mir Nikki hat Paul an dem Tag noch eine reingehauen. Die Macke konnte man noch Wochen später sehen. Du bedeutest ihm etwas. Er liebt dich. Er würde dich nie benutzen oder verletzten, zumindest nicht mutwillig. Er will dir nicht zu nahe treten, sonst hätte er sich schon längst bei dir gemeldet. Er leidet, wie du darunter, dass er nicht weiß, was ist. Redet bitte einmal. In Ruhe. Komm Dienstag zum Training, dann sind wohl noch zwei andere Profis da, aber er würde sich freuen dich zu sehen."

Leah entzog ihr die Hand. "Ich komme meinetwegen zum Training, aber ich kann nicht mit ihm reden. Ich weiß nicht, was ich glauben soll" Das wusste sie wirklich nicht. Wer sagte ihr denn, dass Paul nicht vielleicht doch die Wahrheit gesagt hatte? Andererseits, wer sagte ihr, nicht, dass Paul zu einhundert Prozent gelogen hatte und sie damit einen unheimlich großen Fehler gemacht hatte?

Ihre Kehle zog sich zusammen und sie griff nach der Tasse. Ein großer Schluck vom Chai sollte ihre Nerven eigentlich beruhigen, aber stattdessen holte er nur die Erinnerungen an den Morgen mit Niklas zurück. An seine Berührungen, an sein Lächeln, an den Ausdruck seiner wunderschönen braunen Augen. Sie stellte die Tasse schwungvoll zurück auf den Tisch und musste die Tränen zurückhalten.

Unweigerlich musste Anna leise lachen. Leah fragte sich kurz, ob sie sich über sie lustig machte. "Ihr seid beide so verbohrt. Süße! Hör dir an, was er zu sagen hat. Du wirst es nicht bereuen und Paul redet viel, wenn der Tag lang ist. Weiß Gott, was sein Problem war an dem Tag. Gib nichts auf sein Geschwätz. Die Jungs haben Probleme miteinander, vielleicht war das nur Pauls Versuch, die Macht über Niklas zu gewinnen." Annas Blick schweifte zurück zum Tresen und sie erhob sich schwungvoll. "Ich muss arbeiten. Deine Freundin ist auch da."

Die Vorfreude auf Neele war verflogen, stattdessen gewann das schlechte Gewissen wieder die Überhand und fraß sich tief in ihre Seele. Anna hatte recht, sie brauchte diese Schokolade. Sie musste mit Niklas reden! Egal wie sehr es ihr auch widerstrebte. Wenn sie es nicht tat, würde sie sich wohl ihr Leben lang fragen, "Was wäre gewesen wenn?" Sie musste am Dienstag auflaufen und hoffen, dass er sie nicht sofort um ein Gespräch bat. Nach dem Training wäre sie hoffentlich ruhiger.

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