Leseprobe Band 2- Teil 2

29 1 4
                                    

Paul
Sein Schädel dröhnte. Alles drehte sich und die Stadt war einfach zu laut. Wie ein kleines Kind wollte er seine Ohren mit den Händen zu halten und sich auf dem rauen Asphalt zusammenkrümmen. Scharf sog er dabei die Luft ein, als sein stechender Schmerz in seiner Rippe pochte. Fuck! Das würde Ärger geben! Ihm war schlecht und die Augen schwer. Wo war er überhaupt? War er überhaupt noch am Leben? Es würde ihn nicht wundern, hätte der Typ ihn totgeschlagen.
„Scheiße!" Jemand fluchte wie durch Watte. Schritte kamen näher.
„Oh nein! Paul!" Das war eindeutig Leah. Entweder sie war jetzt ein Engel, oder einfach nur seine Retterin in der Not und er noch nicht tot. Jemand ließ sich neben ihn auf den Boden fallen.
„Was machst du für eine Scheiße?" Niklas. Konnte es noch besser werden? Würden als Nächstes noch Bene und William neben ihm knien und ihm Vorwürfe machen?
„Niki, er muss ins Krankenhaus. Das sieht echt schlimm aus."
„Nein!", krächzte Paul irgendwie und versuchte die Hand auszustrecken, um Leah irgendwie klarzumachen, dass es nicht so schlimm war wie es schien.
„Leah, pack dein Handy weg. Wir nehmen ihn mit. In Krankenhäusern dreht er immer durch. Das macht alles nur noch schlimmer. Er muss eh erstmal nüchtern werden. Von seiner Fahne alleine würde man ja schon besoffen."
Es raschelte. „Aber er braucht Hilfe. Ich dachte, im Winter wart ihr wieder so gut miteinander-, Ach, Paul. Was machst du denn nur?" Er spürte eine Hand, die sanft seine Wange berührte.
Siedend heiß fiel ihm ein, dass er sich nie bei Leah entschuldigt hatte für damals, als er sie und Niklas hatte auseinander bringen wollen. Fuck, war sie eine gute Seele. Er wusste augenblicklich nicht, ob er Niklas beneiden oder bemitleiden sollte.
Stöhnend erhob sich Paul schwanken vom Boden, nur um das Gleichgewicht zu verlieren und gegen Niklas zu prallen, der ihn irgendwie auffing.
„Das wird spaßig, beim wieder zusammenflicken!"
„Ich weiß gar nicht, ob ich alles da habe. Oh Gott, muss das nicht genäht werden?" Leahs Stimme klang eigenartig besorgt.
Er spürte rauere Finger an seinem Kiefer. Sein Kopf wurde zur Seite gedreht. Leise stöhnte er auf, als die Finger genau auf eine Stelle an der Wange drückten. „Das geht schon. Mit Haftpflastern bekommen wir das schon wieder hin."
„Dein Optimismus in allen Ehren, aber Niki, das sieht heftig aus!"
„Danke, Leah. Jetzt fühle ich mich erst recht schlecht!" Paul lachte leise und bereute es sofort.
Alles tat ihm weh. Das Pochen in der Schläfe war auch nicht erträglicher geworden.
Niklas fasste ihn an der Schulter. „Alter, bekommst du eigentlich irgendetwas mit? Du brachst gleich erstmal Eis für dein Auge und ne Menge Wasser. Fuck, Paul! Was hast du schon wieder dummes gemacht?"
Paul bemühte sich, Niklas anzusehen, aber das Gesicht seines besten Freundes verschwamm wieder mehr und mehr vor seinen Augen. Obwohl war Niklas noch sein bester Freund? Oder hatte er es jetzt komplett versaut?
„Warst du alleine unterwegs?" Leah fasste ihn an der anderen Schulter und stützte ihn.
„Nein!" Bemüht sah er sich um. Wo waren diese Hunde bloß abgeblieben? Arschlöcher, alle miteinander! Hatten sie ihn wirklich liegengelassen und waren abgehauen? Dabei hatte er den Streit nicht angefangen. „Sie sind weg."
„Tolle Freunde!" Er könnte hören, wie Niklas mit den Zähnen knirschte. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
Leah drückte seine Schulter sanft. „Oh je! Komm, wir nehmen dich jetzt mit zu mir. Du bekommst erstmal etwas Wasser und Niklas kümmert sich um deine Wange und die Hände. Hmh? Möchtest du noch etwas essen?" Paul schüttelte einfach nur den Kopf. Alleine bei dem Gedanken an Nahrung wurde ihm übel.
„Doch. Eine Scheibe Brot müssen wir irgendwie in ihn reinbekommen. Wie ich ihn kenne, hat er wieder mal gesoffen, ohne was zu essen."
Gott, er hasste Niklas manchmal! Wie sollte er in diesem Zustand auch nur einen Bissen herunterbekommen? Alles drehte sich und Paul bezweifelte, dass er auch nur irgendwie einen Fuß vor den anderen setzen konnte.
„Ich rufe Anna. Er braucht uns jetzt alle!" Plötzlich hörte sich Leah ganz weit weg an.

Als Paul wieder etwas klarer war, fand er sich auf Leahs großem Sofa wieder. Niklas saß vor ihm und klebte gerade mit konzentriertem Blick seine Wundränder aufeinander. Scharf musste er einatmen und presste die schmerzenden Augen zu. Wie war er hier hergekommen? An den Weg konnte er sich zumindest nicht mehr erinnern.
Leah trat zu ihnen. Besorgt blinzelte sie ihn aus ihren blauen Augen an und legte Niklas eine Hand auf die Schulter, während sie sich an sein Ohr beugte. Sie flüsterte etwas und Niklas nickte.
Paul stöhnte auf. „Ihr könnte auch laut sprechen. Ich weiß morgen eh nichts mehr!" Das war wahrscheinlich nicht mal gelogen.
Leah lächelte ihn aufmunternd an und verschwand in der Küche. Wenig später kam sie mit einem in ein Handtuch eingewickelten Eispack zurück. Stumm ließ sie sich neben ihn auf das Sofa fallen und drückte das Kühlpack gegen seine Wange. Kurz zuckte er zurück, dann nahm er es ihr wortlos ab.
Niklas hatte sein Kunstwerk beendet und griff nach seiner Hand. Seine Knöchel waren rot und blutig. Fuck! Wie sollte er so Training hinter sich bringen? Was hatte er sich bloß dabei gedacht? Als das Desinfektionsmittel auf die Schrammen traf, wollte er Niklas am liebsten seine Hand wegziehen.
„Stell dich nicht so an! Jedes Mal dasselbe! Du weißt, dass das weh tut."
Paul grummelte einfach nur. Das Brennen ließ langsam nach und er schloss die Augen. Schlafen. Schlafen wäre jetzt gut! Er spürte, wie Niklas seine Hand bandagierte. Training hatte sich damit also. Leah nahm ihm wieder das Kühlpack ab und Niklas kümmerte sich noch um Pauls andere Hand und die Abschürfung am Ellenbogen. Sobald er das Pack wieder selber halten konnte, erhob sich Leah wieder.
Bevor sie wieder ging, strich sie ihm noch einmal mitfühlend über die Schulter. „Ich hole dir etwas Wasser und dann mache ich dir das Sofa fertig." Leah klang so sanft und einfühlsam. Irgendwie machte es das weniger schlimm und wog sich positiv gegen Niklas spürbare Enttäuschung auf.
Es beruhigte Paul irgendwie, dass sie ihn nicht verurteilte. Sie wussten nicht mal, was passiert war und Niklas nahm schon wieder direkt an, dass er Mist gebaut hatte.
Niklas stand auf. Wortlos schmiss er das Verbandszeug zurück in die kleine graue Kiste und musterte Paul dann nachdenklich. „Was ist bloß mit dir schon wieder los? Warum musst du dir nur immer die Kante geben, anstatt mal mit jemandem zu reden?" Mit wem denn? Mit ihm? Niklas verurteilte ihn doch für alles, was er tat. Spätestens seit sie sich so voneinander entfernt hatten. Manchmal hatte Paul das Gefühl, Niklas wäre ein Fremder. Sie waren seit sie vierzehn waren befreundet, hatten einen Höhenflug nach dem anderen gehabt und dann hatte sie sich verloren.
Paul hatte sich im schnellen Leben der Unipartys verloren. Dem plötzlich entdeckten Selbstbewusstsein, als auch mal andere Frauen als Dana gefallen an ihm gefunden hatten. Wie er das verfluchte!
„Hast du Ami angerufen?" Paul riss die Augen auf und tastete wie wild nach seinem Handy. Scheiße! Wie konnte er sie nur vergessen. Niklas wies auf die Sofalehne. „Das muss erstmal laden, wenn es nicht komplett im Arsch ist. Paul, wirklich! Du vergisst ernsthaft den Geburtstag deiner Schwester? Man!"
Tonlos presste Paul die Lippen aufeinander und versuchte dem Drang zu widerstehen, sich einfach nur zusammenzurollen und zu heulen. Sein Leben war ein einziges Chaos. Das musste Niklas ihm nicht auch noch unter die Nase reiben. Zähneknirschend fischte Niklas sein Handy aus der Hosentasche. Kopfschüttelnd schnappte er sich die Box mit dem Verbandsmaterial und verschwand aus Pauls Blickfeld. Trotzdem konnte Paul hören, wie er im Flur wohl mit Amelie am Telefon sprach.

„Hey, ja, alles Gute... Nein, deswegen rufe ich nicht an. Paul ist zusammengeschlagen worden... Nein, er ist hier bei mir und Leah... Er ist stockbesoffen, war wohl mit Freunden unterwegs, aber die haben ihn einfach liegen lassen... Sagst du Kristine und Thorsten was?"
Paul schnürte sich die Kehle zu. Nein! Bloß nicht! Seine Eltern durften nichts davon wissen! Gar nichts! Sie glaubten immer noch, er würde brav zu allen Vorlesungen gehen, seine Klausuren easy bestehen und hart trainieren.
„Ami, das geht nicht. Er braucht Hilfe!... Wir können nicht ewig so tun, als wäre nichts. Soll ich ihn dir geben?" Paul musste hart schlucken. Das klang als hätte Niklas schon mal mit Ami über ihn gesprochen.

Wenig später drückte Niklas ihm das Handy in die Hand. „Alles Gute!", krächzte er trocken und sein Herz zog sich zusammen, als Amelie in den Hörer schluchzte.
„Du verdammtes Arschloch! Warum musst du immer alles kaputt machen? Wie lange soll ich Mama und Papa noch deinetwegen anlügen? Hast du dich jemals gefragt, wie es mir damit geht, dass du jedes Mal, wenn du mich anrufst, stockbesoffen bist? Glaubst du, ich habe nicht mitbekommen, wie du am letzten Wochenende hinter Mamas Rücken gesoffen hast?"
„Tut mir leid" Seine Stimme klang dumpf und brüchig in seinen Ohren nach.
„Als ob! Du merkst doch noch nicht mal, dass du Probleme hast! Sei froh, dass Niklas dich so oft deckt und sich auch jetzt um dich kümmert." Ehe Paul hätte antworten können, legte Amelie schon auf.
Geläutert gab Paul Niklas sein Handy zurück. Erst jetzt sah er, dass Leah im Türrahmen stand. Mitleidig lächelte sie ihn an und schob sich mit dem Bettzeug auf dem Arm in den Raum. „Jetzt habe ich das Wasser vergessen!", fluchte sie.

„Ich mache das schon. Danke Mäuschen." Liebevoll drückte Niklas ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Mäuschen? Dein Ernst?" Paul lachte auf.
Niklas sah ihn ganz ruhig an. „Treib es nicht zu weit! Sonst hast du gleich ein Veilchen mehr!"
Leah schüttele den Kopf, während sie das Kopfkissen aufschüttete. „Jungs vertragt euch! Das hilft doch jetzt niemandem. Morgen könnte ihr euch meinetwegen prügeln, aber für heute ist mal gut. Wir müssen alle schlafen und können morgen beraten, was wir machen. Paul du musst da jetzt nicht alleine durch!"
Niklas warf ihr einen dankbaren Blick zu, ehe er ging.

Paul stand schwankend auf. „Scheiße. Ich bin dir etwas schuldig. Du bist gerade die Einzige, die nett zu mir ist."
„Dir geht es gerade nicht gut. Es geht mich nichts an, warum das so ist. Aber wenn es jemandem schlecht geht, dann muss man ihm doch keine Vorwürfe machen. Du brauchst gerade Unterstützung. Niklas wird das Morgen auch einsehen. Er war schon um fünf Uhr beim Training. Er ist einfach müde." Sie breitete ein Laken auf dem Sofa aus.
Tief atmete Paul ein. „Tut mir leid, dass ich im Januar so ätzend zu dir war."
„Vergeben und vergessen. Mach dir da bitte keinen Kopf."
„Sollte er meiner Meinung nach schon! Du hast ein viel zu gutes Herz." Niklas kam wieder ins Wohnzimmer und stellte einen Teller und eine große Flasche Wasser vor Paul auf den kleinen Glastisch.
Leah lachte leise. „Das hast du aus mir gemacht. Vor dir war ich nur verbittert!"
Auf Niklas Lippen legte sich ein sanftes Lächeln als er sie ansah. Paul schmerzte es daraufhin nur noch mehr, dass er versuchte hatte, ihnen das, was sie hatten, kaputtzumachen. Er war eifersüchtig gewesen. Jetzt wollte er lieber nicht dran denken, was gewesen wäre, wenn Niklas und Leah sich nicht wieder zusammengerauft hätten. Er empfand nur noch Reue. Es klingelte.
Wen hatten sie denn jetzt noch angeschleppt? Bitte nicht seine Eltern, obwohl die bräuchten etwas von Oldenburg hier her.

NoviceWhere stories live. Discover now