Kapitel 36- Ruhe

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Mit großen Augen sah Leah sich in Niklas, im Vergleich zu ihrer, kleinen Wohnung um. Eigentlich war es nur ein Raum und ein Badezimmer. Trotzdem wirkte die Wohnung nicht beengt, oder gar unfreundlich.

Würde der Schock über Christoffers auftauchen nicht immer noch so tief sitzen, hätte sie Niklas für den Stapel an Büchern, Ordnern und anderem Unikram auf dem Schreibtisch wohl geneckt. Sie konnte ihn sich immer noch schlecht als Nerd vorstellen, der seine Nase stundenlang in diese Bücher stecken konnte ohne irgendwann genervt das Buch zuzuschlagen. Anders könnte sie sich die Staubschicht auf dem Fernseher nicht erklären. Sah ganz so aus als hätte Niklas nur zwei Dinge in seinem Leben. Den Sport und die Uni.

Niklas ließ seine Tasche neben der Tür von den breiten Schultern gleiten und stellte sie unter die Garderobe. Der Schlüssel landete klimpernd auf der Ablage neben der Tür.

"Hunger?", fragte er mit einem samtenen Unterton. Ihr lief sofort ein wohliger Schauer über die Rücken. Bei ihm konnte sie sicher sein. Er würde ihr nicht weh tun dazu hätte er schon viel zu viele Möglichkeiten gehabt. Trotzdem schnürte ihr etwas den Hals zu.

Stumm schüttelte sie den Kopf. Alle angestauten Emotionen sickerten nun im geschützten Raum durch und drohten sie zu ertränken. Sie wollte vor Niklas nicht zusammenbrechen. Nicht weil sie glaubt er würde ihr dann wehtun und die Situation ausnutzen, sondern weil sie ihn nicht überfordern wollte.

Ihr Magen knurrte jedenfalls kein bisschen, er fühlte sich eher an als wäre er mit kalten Steinen gefüllt.

Niklas Ausdruck in den Augen wurde wieder besorgter. Mit einer Hand nahm er ihr die Tasche ab und half ihr aus der Jacke.

Liebevoll stich er ihr über den Rücken. Sie schloss die Augen und spürte wie ihre Unterlippe anfing zu zittern. Nicht mehr viel und das Fass würde überlaufen.

"Du musst essen. Vergiss nicht, du bist nicht alleine und dieser Idiot kann dir nichts anhaben." Sie biss sich auf die Unterlippe und ließ sich von ihm ganz langsam zum Sofa schieben. 

Augenblicklich verkrampfte sie sich kurzzeitig. Der letzte Mann der sie auf eine Sofa gezogen hatte, hatte ihr weh getan. Sie versuchte krampfhaft die Erinnerung beiseite zuschieben. Das war Niklas und nicht irgendein Idiot, der es nicht schaffte ihr auch nur fünf Minuten zuzuhören.

"Kann ich dich kurz alleine lassen? Dann lege ich dir im Bad alles hin. Du kannst dir Zeit lassen. Komm wieder etwas runter."

Vorsichtig, als hätte er angst sie zu zerbrechen setzte er sie auf das Sofa.

Sie konnte ihm nur in diese wunderschönen braunen Augen gucken. So treu konnte doch niemand gucken, der es nicht auch war. Leah atmete tief durch und griff nach seiner Hand. Zu mehr war sie nicht in der Lage. Ihre Gehirnwindungen waren wie verknotete.

Wie um ihr zusagen, dass er verstanden hatte drückte er sachte ihre Hand. Mit dem Daumen strich er über ihren Wangenknochen, runter bis zu ihren Lippen. Auf ihrer Unterlippe kam seine Fingerspitze zum liegen. Sie sahen einander in die Augen. Da war etwas unsichtbares, dennoch starkes, was sie so noch nie gefühlt hatte, zwischen ihnen. Etwas was ihr sagte, dass alles okay war, sie keine Angst haben musste und es keinen Grund gab sich an der Erinnerung mit Christoffer aufzuhängen.

Langsam lehnte sie sich ihm entgegen, spürte seinen warmen Atem an ihren Lippen. Ihr Herz schlug schneller. Das war genau das was sie jetzt brauchte, wonach sich der rettungslos verliebte Teil ihres Körper verzerrte, trotz der gerade erst durchstanden Angst. Kurz vor ihren Lippen hielt er inne. "Ich glaube das ist keine gute Idee nachdem was du heute erst durchgestanden hast!"

Nur ein Kuss, bitte nur ein Kuss, flehte sie innerlich. Es war ja schön dass er auf sie Rücksicht nehmen wollte, aber konnte er sie nicht einfach küssen?

Leah überbrückte schließlich doch die letzten Zentimeter. Fest küsste sie ihn, legte all ihr Gefühl darein und hoffte Niklas könnte ihr dieses Gefühlschaos irgendwie nehmen.

Leidenschaftlich, aber dennoch zurückhaltend, erwiderte er den Kuss. Ihr Kopf war sofort wie leergefegt. Sie zog ihn näher an sich, fuhr ihm mit der Hand den Rücken hinauf und vergrub sie schließlich in seinen herrlich weichen dunklen Haaren. Der Kuss wurde inniger, heißer und konsumierender. Auch Niklas lehnte sich immer mehr in den Kuss. Sie konnte spüren, wie seine Hände ihre Seite hoch strichen. Begierig öffnete sie die Lippen.

Da beendete Niklas so plötzlich den Kuss, wie sie ihn angefangen hatte. Seine Wangen waren gerötet und er blinzelte sie für einen Augenblick an, als wäre er aus einen Traum gerissen worden.

"Leah," kam ihm rau ihr Name über die Lippen. Verdammt klang das sexy in ihren Ohren. Am liebsten hätte sie ihn nochmal geküsst. Das war doch nicht mehr normal! Wie konnte sie sich nur so sehr nach jemanden verzehren, obwohl sie vor wenigen Stunden noch einem absoluten Arschloch, dass sie retraumatisierte hatte, gegenübergestanden hatte. Sie ließ ihr Stirn gegen seine Brust sinken. Für einen Augenblick war sie selbst verwirrt.

"Manchmal habe ich das Gefühl du küsst mich nur aus dem Affekt heraus!" Niklas schmunzelte und sie konnte seine Brust vibrieren fühlen.

Vielleicht hatte er recht, aber dann müsste sie sich eindeutig schlecht fühlen. Benutzen wollte sie ihn nicht. Sie war besser, als die Männer, die sie benutzt hatten.

Tief atmete sie ein. Er roch so gut. Sie wollte die Nase am liebsten in seinem T-Shirt vergraben und an etwas anderes denken. Kurz fragte sie sich wie es jetzt wohl wäre hätte sie Niklas anders kennengelernt, vielleicht sogar bevor all das mit ihr passiert war.

"Dann habe ich wohl endlich mal den Mut dich zu küssen." Langsam blickte sie wieder hoch und suchte seinen Blick.

Belustigt schüttelte er den Kopf. "Warum solltest du dafür Mut brauchen? Wegrennen würde ich dir nie. Dafür bin ich dir schon viel zu sehr verfallen." Niklas lachte auf. Seine braunen Augen funkelten.

Dieses Geständnis ließ ihr Herz höher schlagen. Ungläubig, dass er das gesagt hatte was sie ebenfalls fühlte. Ein warmes Gefühl breitet sich in ihr aus und sie grinste ihn einfach nur an. "Dir würde ich auch nicht mehr wegrennen, dafür hast du mich schon viel zu sehr davon überzeugt, dass du eventuell doch der Richtige für mich sein könntest. Anna hat mich überzeugt, dass Paul an dem Tag nur Ärger stiften wollte"

"Dann bin ich Anna wohl etwas schuldig." Niklas lachte und beugte sich wieder zu ihr herunter.

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