6 - Wenn jemand eine Reise tut

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Kreuzfahrten standen nicht ganz oben auf Yukis Liste für den eigenen Urlaub. Das war etwas für ältere, gesetzte Herrschaften, also genau richtig für ihren Gast, einen alten Herrn von über dreiundneunzig Lenzen. Hatte sie jedenfalls gedacht. Jetzt war alles anders, und doch war die Fahrt auf der MS Switzerland alles andere als ein Reinfall. Die sich verändernde Uferlandschaft eines Flusses bot dem Auge im Gegensatz zum Ozean ausreichend Abwechslung, und die Reisegeschwindigkeit war ideal für Steve, Land und Leute kennenzulernen. Er schien es zu genießen, einfach nur die Menschen um ihn herum zu beobachten, wenn sie beide nicht gerade dem Programm an Land folgten, auf die unaufdringliche Weise, die ihm zu eigen war. Sie hatte noch nie jemanden gesehen, der wie er über eine beeindruckende Physis verfügte und als gefeierter Kriegsheld so bescheiden und freundlich war.

Überraschenderweise gefiel es ihr ganz gut, gemächlich über den Fluss zu gleiten. Es war genau das Richtige für einen unruhigen Geist wie ihren. Sonst war sie ständig auf Achse gewesen, wenn nicht in der Uni oder bei verschiedensten Nebenjobs, dann auf Partys, in Diskotheken oder zu Besuch bei Freunden, die sie während zweier Auslandssemester kennengelernt hatte. Ihr war die eigene Rastlosigkeit nie aufgefallen – bis zu diesem Tag, an dem sie an der Reling stehend Steve beobachtete, wie er seinerseits interessiert verfolgte, wie der Vater einer fünfköpfigen Familie seine Sprösslinge davon abhielt, das Buffet auseinanderzunehmen. Selbst jetzt schweiften Yukis Gedanken ab zum Ende ihres aktuellen Auftrags und was sie danach erwartete, ob sie ihren Vater am Ende des Jahres, wenn sie nach Hause fuhr, auch mal wieder sehen würde. Maman hatte nach ihrer Adoption die eigene Karriere beim deutschen auswärtigen Dienst an den Nagel gehängt und war es glücklich, sich um die kleine Familie zu kümmern und dort zu leben, wo es ihren Ehemann als französischen Diplomaten eben hin verschlug. Soweit Yuki zurückdenken konnte, hatte ihre Mutter es geschafft, jeden Ort zu einem Zuhause zu machen. Doch an Yukis zwölftem Geburtstag hatte sie auf Beständigkeit im Leben ihrer Tochter bestanden und darauf, das Kind in Deutschland großzuziehen. Und Marion Leclerc war unnachgiebig und hatte mindestens ebenso einen Dickkopf wie Yuki. So kam es, dass sie Papa seltener zu sehen bekam als andere Kinder ihre Väter, und sie sich deshalb immer ganz besonders freute, wenn sie ihn zu Hause antraf.

Als der zunehmend verzweifelte Familienvater zu Kraftausdrücken übergegangen war, die überhaupt keine Wirkung bei seinen lieben Kleinen zeigten, dachte Yuki, dass es nicht das Schlechteste war, die meiste Zeit auf einem Schiff ‚festzusitzen', vor allem nicht in angenehmer Gesellschaft in die glitzernde Strömung zu blicken oder einen Sonnenuntergang zu genießen. Sie nahm sich vor, auch zukünftig kleine Auszeiten zu nehmen, in denen sie das Nichtstun zelebrieren konnte. In der Zwischenzeit hatte Captain Rogers sich des armen Vaters und erfolglosen Dompteurs erbarmt und die Kinder um sich geschart. Staunend verfolgten die kleinen Racker, wie der fremde Mann Münzen hinter ihren Ohren und aus ihren vormals leeren Taschen hervorzauberte. Der forscheste kleine Mann wollte herausfinden, ob der Onkel auch Münzen hinter den eigenen Ohren versteckt hatte, und versuchte, an dessen Hosenbeinen hochzuklettern. Der Onkel schnappte das Kind an den Trägern der Latzhose und hob es mühelos mit einer Hand hoch, zog sich mit der anderen Hand noch ein Geldstück aus dem Mund und reichte es dem Jungen, nachdem er ihn wieder abgesetzt hatte.

Sie verließ ihren Beobachtungsposten an der Reling und sagte: „Hey, ich dachte, jetzt rette ich dich mal, nachdem du dem Herrn so freundlich aus der Bredouille geholfen hast. Wir müssen sowieso los zur Weinverkostung auf dem Weingut und legen gleich in Heilbronn an." Der Herr nickte ihnen beiden dankbar zu.


Der Wein war überraschend gut, obwohl Steve immer davon überzeugt gewesen war, dass nichts über kalifornischen Wein ging. Allerdings gehörte er auch nicht zu den Kennern, die jeden Wein bis auf die kleinste Geschmacksnuance auseinandernahmen und kluge Reden darüber schwangen. Entweder mochte er den Rebensaft oder eben nicht. Auch Yuki schien mehr Genießerin als Kennerin zu sein. Beide arbeiteten sich durch die verschiedenen Rebsorten und prosteten dem Familienvater zwei Tische weiter zu, der alleine zur Probe gekommen war, nachdem er sich von Frau und Kindern auf dem Schiff verabschiedet hatte. „Du kannst gut mit Kids", sagte Yuki. „Wolltest du selbst welche, ich meine, willst du überhaupt welche?"

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