Kopfvoll

C

Pov Pete

Seit dem Vorfall am Montag hatte ich keinerlei Kontakt mehr zu Luc. Es lag nicht an dem was passiert war, naja irgendwie schon. Wir hatten beide Hausarrest, er durfte nicht zur Schule und ich wurde zur Schule gefahren und dort wieder abgeholt. Ich hätte ihm schreiben können, oder anrufen, aber so unrealistisch wie es klang, mein Freund besaß keinerlei digitale Kommunikationsgeräte. Also kein Handy. Kein Laptop. Nichts. Die Nummer von ihm zuhause hatte ich nicht. So wurde mir klar, dass wir uns eigentlich kaum kannten. Das mit uns ging ziemlich schnell, es reichte ein Blick und wir wussten beide was los war, aber wir kannten uns nicht. Ich wusste nicht mal wann er Geburtstag hatte.

Umso schwerer fiel es mir zu ihm nach Hause zu gehen. Es war Freitag. Mein Hausarrest war vorbei, weil ich sonst nicht zur Party am Abend gehen konnte. Verstehe einer die Logik. Ich klingelte, erst passierte nichts, dann öffnete mir sein Dad die Tür und ließ mich rein.

"Luc hat Hausarrest... Maximal eine halbe Stunde."
"Verstanden Sir."
"Dan. Nenn mich Dan."

Ich hatte ihm das strenge voll abgekauft, aber jetzt lächelte er mich freundlich an und verschwand mit einem Buch in der Hand zurück ins Wohnzimmer. Okay. Verstehe einer Eltern. Nachdem ich Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, ging ich die Treppe hoch bis zu Lucs Zimmer. Hinter der Tür hörte ich nichts. Nicht mal seine sonst so typische Musik. Auch wenn sein Musikgeschmack irgendwie von vor 40 Jahren war, fand ich es mega cute.

Auf mein klopfen reagierte niemand, weshalb ich die Tür vorsichtig öffnete und meinen Freund auf seinem Bett liegend vor fand. Er starrte einfach an die Decke, natürlich die Kopfhörer. Ohne die fand man ihn wirklich nicht, und hören tat er damit ohnehin nichts. So betrat ich den Raum einfach und wartete bis er mich bemerkte. Sofort nahm er die Kopfhörer ab und setzte sich aufrecht hin. Wobei er für einen Moment wirkte wie ein aufgeschrecktes Reh... Oh man.. Meine Vergleiche mussten besser werden.

"Hey Luc. Ich hab dich nicht erreicht.. Aber ich muss unbedingt mit dir reden."
"Tut mir leid wegen Montag... Ich wollte nicht... Das war dumm von mir.. Also wenn du deshalb nichts mehr mit mir zutun haben willst ist das..."
"Halt die Klappe."

Bevor er weiter so ein Schwachsinn reden konnte, hatte ich mich zu ihm aufs Bett gesetzt und lehnte mich nun mit einem Kissen an die Wand. Lucs Zimmer war so unnormal normal. Es wirkte wie sein Zimmer, aber zeitgleich hätte es auch das Teeniezimmer aus jeder Serie sein können. Das Bücherregal, dessen Bücher er sicher noch nie in der Hand hatte, die zwei Poster seiner Lieblingsband, ein Bild von ihm und Casey. Der unordentliche Schreibtisch, der Kleiderschrank, wobei die Klamotten eher davor statt in ihm lagen und sein Bett. Das einzig persönliche war vermutlich der Stapel CDs und der dazugehörige Player.

So sah mein Zimmer auch aus. Zwei Tage nach dem Umzug, aber nicht mehr nach einem Monat darin leben. Es gab keine Urlaubsfotos, keine Familienfotos, keine peinlichen Basteleien von früher, nicht mal ein Plüschtier oder gar ein Fotoalbum. Keine Sammlung voll mit Erinnerungen an die Kindheit, keine Striche am Türrahmen wie viel man gewachsen war. Nichts.

"Ich muss mit dir reden. Das mit uns ging alles ziemlich schnell... Ich meine wir wussten nicht mal, dass wir auf die gleiche Schule gehen, geschweige denn in die selbe Klasse. Ich weiß nichts über dich und du kaum etwas über mich. Ich denke in einer Beziehung sollte das anders sein. Daher würde ich sagen... "
"Das klingt als würdest du Schluss machen."
"Zumindest weiß ich jetzt, dass du mir gerne ins Wort fällst. Ich würde dich gerne besser kennen lernen. Das wollte ich sagen."

Er schien verwirrt zu sein, doch dann legte er seine Kopfhörer ganz weg und setzte sich ebenfalls zu mir. War das so eine gute Idee? Das war doch das normalste der Welt oder?

"Wie lange bleibst du?"
"Dein Dad hat gesagt eine halbe Stunde, weil du noch Hausarrest hast."
"Dan ist nicht mein Dad."
"Siehst du genau das meine ich! Ich weiß nicht mal, dass er nicht dein Dad ist. Ich weiß absolut nichts."

Frustriert schlug ich die Hände über meinem Kopf zusammen, doch mein Freund grinste einfach nur. Was hatte ich jetzt wieder gesagt?

"Ich weiß, dass du es liebst Nutella und Erdbeermarmelade zusammen auf ein Brötchen zu machen. Ich weiß, dass du kein Einzelkind bist und deine Mutter dich verkuppeln will. Ich weiß, dass du mit Musik eigentlich nichts anfangen kannst, sie aber wegen mir hörst. Ich weiß, dass du bei Disneyfilmen anfängst zu weinen. Ich weiß, dass du den besten Kaffee der Welt machst..."
"Und ich weiß, dass du ihn nur trinkst, weil ich ihn gemacht habe, obwohl du gar keinen Kaffee magst."

So wenig wussten wir scheinbar doch nicht voneinander. Aber reichte das was wir wussten für eine Beziehung? Eine Beziehung von der niemand wissen sollte? Fraglich.

"Wenn Dan nicht dein Vater ist... Was ist er dann?"
"Caseys Erzeuger."
"Was?"
"Hä danach hast du doch gefragt."
"Nein ich meine warum du hier wohnst, wenn er nicht dein Vater ist."

Langsam schien er zu verstehen was ich meinte. Oh man. Manchmal dachte er echt Kreuz und quer obwohl der Weg einfach gerade aus war. Und die Antworten und Fragen die sich dann auf dem Weg bildeten hatten meist kaum etwas mit dem eigentlichen Thema gemein. Aber auf die richtige Antwort auf meine Frage, war ich dann auch nicht gefasst. Ich hatte gedacht er wäre der Stiefvater oder sonst etwas aber das...

"Dan ist mein Pflegevater. Mein fünfter in zwölf Jahren. Seit drei Jahren wohne ich jetzt hier."
"Und... Warum?"
"Meinen Vater kenne ich nicht. Meine Mutter hat sich im Wohnzimmer erhängt, ich habe sie gefunden, da war ich fünf. Tom hat mich dann mitgenommen. Er war der Freund meiner Mutter. Aber hätte er mich ganz zu sich geholt, dann hätte er mich nicht therapieren können, also wurde ich vom Amt ständig in neue Familien gesteckt, die alle samt überfordert worden. Wäre ich auch. Tom war das irgendwann zu viel und Dan war ihm was schuldig, weil er Toms Frau geschwängert hat und jetzt bin ich hier. Damit ist Casey irgendwie meine Schwester."