- Kapitel 86 -

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Lukes Sicht

Da meine Hände eiskalt waren und durch das Adrenalin noch mehr am Zittern waren, versteckte ich sie in meinen Jackenärmeln.

»E-Es tut mir l-leid …«, entschuldigte ich mich stotternd bei ihm kniff die Augen zusammen und wischte mir erneut die Tränen aus dem Gesicht.

»Möchtest du darüber reden?«, machte er mir das Angebot, das ich kopfschüttelnd ablehnte.

»Dann schlage ich vor, dass wir dich erstmal nach Hause bringen, damit du aus den nassen Klamotten rauskommst.«

Das war die Alternative?

Die war nicht viel besser.

»Ich will noch nicht nach Hause …«, murmelte ich und hatte wieder den Boden im Blick.
»Hast du Angst vor der Reaktion deiner Mutter?«, wollte er wissen.
Leicht nickte ich.
»Pass auf, wir werden jetzt zum Auto gehen und wir fahren zu dir nach Hause. Damit das möglichst stressfrei abläuft, werde ich dich reinbegleiten und dafür sorgen, dass sich die Situation nicht zu sehr aufheizt«, erklärte er mir, was er vorhatte.

Ich war mir unsicher.
Ja, er hatte vorgeschlagen mich zu begleiten, aber das schlechte Gewissen redete mir ein, dass ich gefälligst den Ärger in Kauf nehmen sollte.

Wegen dieser Unsicherheit sagte ich nichts. Saß einfach da und starrte auf den Boden vor meinen Füßen.

Neben mir stand Damien auf, ich hingegen bewegte mich kein Stück.

Ich brauchte einen Moment, um mich selbst davon zu überzeugen, dass Damien wirklich darauf achtete, dass Mom nicht wieder die Vorwürfe raushaute. Das konnte ich wirklich nicht gebrauchen.

Zögernd stand ich auf und schaute zu dem Notarzt neben mir.

»Das NEF steht da drüben. Meinst du, du schaffst das da einzusteigen?«, wollte er von mir wissen und deutete in die Richtung, in der besagtes Fahrzeug stehen sollte.

Kurz überlegte ich.
Das NEF ist zwar auch ein Fahrzeug von Rettungsdienst und hat medizinischen Kram an Board, aber im Gegensatz zum RTW ist es mehr ein normales Auto.

»Bevor ich es vergesse und dich das überrascht, wir sind heute zu dritt auf dem Auto. Noah, also mein Kollege, der das NEF fährt, ich und ein Notarzt Kollege sind heute auf diesem Auto zusammen eingeteilt. Damit es für dich weniger Stress ist, wurde ich meinen Notarzt Kollegen nach vorne setzen und ich mich zu dir auf die Rückbank«, warnte er mich vor einer weiteren abwesenden Person mit medizinischem Hintergrund vor und schlug mir im selben Atemzug auch noch eine Lösung vor.

Während ich in mich ging und überlegte, ob meine Angst das zuließ, hatten wir uns bereits langsam auf den Weg zum Fahrzeug gemacht.

Als wir dort ankamen, ging Damien das mit der „Sitzordnung“ klären, wonach ein Mann aus dem hinteren Teil ausstieg und nach vorne auf den Beifahrersitz wechselte.

»Luke? Kommst du?«, kam es von Damien, der auf der anderen Seite vom Fahrzeug stand.

Noch immer abwägend, was ich tun sollte, stand ich wenige Meter neben dem auffällig folierten Auto mit Blaulicht auf dem Dach.

Letztendlich biss ich die Zähne zusammen und stieg ein. Wieder hämmerte mir mein Herz gegen das Innere meiner Rippen und ich meine jeden Schlag hören zu können.
Auch Damien war eingestiegen und schnallte sich an.
Das Anschnallen hatte ich selbst beinahe vor lauter Gedankenchaos vergessen.

»Wohin geht’s?«, war es der Fahrer, der fragte. »Zu ihm nach Hause. Fahr erstmal Richtung Wache, ab einem Punkt navigiere ich dann«, gab Damien unser Ziel bekannt und keine Minute später waren wir auch schon auf dem Weg.

Im Laufe der Fahrt bemerkte ich, wie der zweite Notarzt mir immer mal wieder einen Blick über den Rückspiegel zuwarf. Da mir das mehr als unbehaglich war, zog ich mir meine noch immer klatschnasse Kapuze über den Kopf und machte mich hinter dem Fahrersitz so klein wie möglich.

Wäre Damien und seine auf mich ruhig wirkende Ausstrahlung nicht gewesen, hätte ich mich niemals dazu überwinden können in dieses Fahrzeug einzusteigen. Schließlich saßen mit mir zwei Ärzte und ein Sanitäter dort drinnen.

Gefühlt eine Ewigkeit später wurde das NEF vor dem Haus geparkt und ich stieg aus. Auch Damien stieg aus.

Mein Blick fixierte das Haus. Mir wurde schlecht.
Aus Angst vor der Reaktion der dort drinnen anwesenden Personen. Vor Akiras hatte ich am wenigsten Angst. Jules konnte ich nicht einschätzen und bei Mom hatte ich Angst vor Vorwürfen.

»Na komm. Du musst was Trockenes anziehen. Ich passe auf, dass nichts passiert«, wiederholte er nochmal, dass er auf mich aufpasste.

Langsam lief ich um das Auto drum Rum zu Damien und zusammen liefen wir auf die Tür zu.

Mit jedem Schritt, den wir uns dem Haus näherten, umso mehr spannte ich mich an.

»Bereit?«, vergewisserte der Psychiater sich bei mir.
Nein. Bereit war ich nicht. Trotzdem nickte ich, da wir vermutlich sonst noch Stunden vor dieser Tür verbracht hätten.

Damien betätigte den Klingelknopf und nur wenige Sekunden später öffnete sich die Tür. Mom stand vor uns. Schaute erst Damien an und dann mich. Sie setze bereits zum Reden an, doch Damien unterband das mit einer Handgeste.
»Nicht jetzt. Er muss erstmal was Trockenes anziehen«, meinte er zu ihr, legte mir eine Hand auf die Schulter und navigierte mich ins Innere des Hauses.
Mom hatte uns Platz gemacht.

»Du gehst dich umziehen und ich kümmere mich um den Rest. Okay?«, forderte er mich auf, was ich nickend bestätigte und wollte mich auf den Weg nach oben machen, von wo mir jedoch jemand entgegenkam und mich in die Arme zog.
»Ihhh. Du bist voll nass und kalt!«, bemerkte Akira meinen durchnässten Zustand.
»Er wollte sich jetzt umziehen gehen. Gleich ist er wieder trocken und dann sollte das mit dem Umarmen auch deutlich angenehmer sein«, kam es von Damien.
Akira schaute einmal von ihm zu mir, nickte dann und ich ging nach oben in mein Zimmer.

Einmal atmete ich tief durch. Versuchte den Adrenalinspiegel wieder etwas zu regulieren, allerdings war die Situation noch längst nicht entschärft. Mich erwartete noch das Gespräch mit Mom, Jules und Akira …

Mit einem flauen Gefühl im Magen zog ich mich um. Da ich nicht mehr rauswollte, reichte Hoodie und Jogginghose.

Ich schaute zur Tür und dachte darüber nach, ob ich mich freiwillig nach unten begab und die Situation über mich ergehen ließ, oder mich lieber in meinem Zimmer verschanzen und dem so lange wie möglich entkommen sollte.

Ich war mir unschlüssig.

WKM - Angst vor ihnen Where stories live. Discover now