Kapitel 4. Wie man sich in Personen irren kann...

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Ich stand da. Im Dunkeln. „Du musst mehr trainieren", meinte meine Trainerin. „Im Dunkeln kannst du deine Gegner nicht sehen. Das macht das ganze schwieriger." Ich hielt den Kopf geneigt. Ich konzentrierte mich ganz und gar auf mein Gehör. Wer im Dunkeln zu laut war, verriet sich, seine Kameraden und war somit ein leichtes Ziel. Ein Rascheln. Ich drehte mich um und werte ein Tritt meiner Trainerin, Jonata, gekonnt ab. Nun griff ich an. Da ich mittlerweile wusste, wo sie sich ungefähr befand, war es für mich ein leichtes sie zu treten und zu schlagen. Das anzuwenden was sie mich gelehrt hat.

Nach einer langen Trainingseinheit sank ich müde zu Boden. „Gut gemacht Luna", Jonata gab mir etwas zu Trinken, „Jetzt mach dich frisch und geh nach Hause." „Mach ich", murmelte ich, stand auf und ging aus der Trainingshalle. Im Umkleideraum hatte ich meine Jacke hingehängt. Ich schnappte sie mit und trat aus dem Gebäude in den angenehm warmen Frühlingsmorgen. Das Dorf in dem ich lebe ist nicht sehr groß. Aber es besaß alles, was man brauchte. Einen Bäcker, einen Markt, eine Schule und noch vieles mehr. Das Dorf lag tief versteckt. Umgeben von Wald und einer wunderschönen Bucht. Wenn ich nicht gerade lernte oder trainierte war ich dort. Ich liebte die See. Meine Eltern sind früher immer mit mir und ihrem Boot rausgefahren. Bis sie eines Tages zum Angeln rausfuhren und nicht wiederkamen. Ich war da sehr klein und verstand es nicht. Jetzt verstand ich es, dass ich eine Waise war.

Die Straßen im Dorf waren wie ausgestorben. Viele Einwohner waren mit Sicherheit am Frühstücken und saßen in ihren Gärten oder am Essenstisch. Andere, zum Beispiel die Fischer, waren schon früh rausgefahren und sahen nach ihren Netzen.

Ich hatte ein kleines Apartment. Klein, aber ziemlich gemütlich. Ich trat in mein Schlafzimmer und zog mich aus. Sorgsam legte ich die Klamotten zur Schmutzwäsche. Mit frischer Wäsche bewaffnet ging ich in mein Badezimmer, legte meine Sachen auf einen Hocker und ging unter die Dusche. Das warme Wasser wusch mir den Schweiß von der Haut. Ich griff nach einem meeresblauen Stück Seife. Das Wasser tat gut.

Angezogen und mit nassen Haaren machte ich mich auf den Weg zum Hafen. Ich liebe den Hafen. Den Hafen, das Meer, die Bucht. Würde man mich besser kennen, könnte man meinen, dass das Meer ist mein Zuhause und das Himmelszelt meine Decke wäre. Ich lief den Weg zu Hafen entlang. Irgendwie waren immer noch keine Einwohner zu sehen. Es lagen nur wenige Boote im Hafen.

Ich bog nach links und kam schließlich zu meiner Lieblingsstelle. Eine einsame Erhöhung, von der man die ganze Bucht überblicken konnte. Als kleines Mädchen saß ich hier und hab auf meine Eltern gewartet. Wenn ich sie gesehen habe, bin ich aufgesprungen und zur Anlegestelle zu laufen. Ich durfte oft nicht mit, da ich in die Schule und lernen musste.

In einer kleinen Kiste bewahrte ich Panflöten auf. Mit meinem Papa habe ich sie aus Schilfrohr gebaut. Sie haben einen schönen Klang und ich liebe es auf ihnen zu spielen. „Sieh mal einer an", ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich sprang auf. Jonas trat hinter mir auf die kleine freie Fläche, „Luna." „Was willst du", fauchte ich ihn an. „Ich... Was ich will?", betonte er möglichst gleichgültig, „Ich will nur dass du nicht mit auf die Mission kommst. Du bist ein Einzelgänger. Du bist es gewohnt alleine zu sein." Ich wurde wütend, „Nur weil ich ohne Eltern aufgewachsen bin, heißt es noch lange nicht, dass ich es gewohnt bin alleine zu sein." „Ich will einfach nicht, dass du mitkommst", schloss er und lehnte sich an einen alten dicken Baum. „Du weißt, wie wichtig mir die Einser - Mission ist. Ich werde sie nicht aufgeben. Das kannst du vergessen", mich traf der Schlag. Als ob ich meine Einser- Mission aufgeben würde. Wofür? Damit einer, der wohlhabend und mit Eltern aufgewachsen war, über mich bestimmen konnte. Das konnte er getrost vergessen. „Ich geb sie nicht auf", meinte ich zu Jonas. „Doch, das wirst du", er kam einen Schritt auf mich zu, „Und ich wird es zu verhindern wissen. Du wirst nicht mitkommen." „Das kannst du mir nicht nehmen", verzweifelt blickte ich ihn an. „Nein", lachte er, „Ich kann es dir nicht nehmen. Ich werde es dir nehmen." Er kam noch einen Schritt auf mich zu. Bedrohlich kam er näher und näher. „Ich werde es verhindern wissen", knurrte er mich an. Ich schubste ihn weg. Er widerte mich an. Ich wollte meinen Platz. Böse funkelte er mich an. Er war schnell. Sein Fuß schnellte hoch und traf mich beinahe am Kopf. Ich wich aus und versuchte meine Flöte, die ich immer noch umklammerte, zurück in die Kiste zu legen. Jonas packte mich kräftig am Arm und schleuderte mich rum. Wie betäubt stand ich da. Jonas kam einen letzten Schritt auf mich zu. Verzweifelt blickte ich ihn in die Augen. Mir immer noch schwindelig. Ich versuchte ihn zu entkommen doch er war schneller. Mit einer enormen Kraft, die ich ihm nie zugetraut hätte, schubste er mich. Ich stolperte. Verlor das Gleichgewicht. Kam der Klippe näher und näher. Mir einer extremen Brutalität hob er mich hoch. „Solche Missgeburten wie dich müssen ausgelöscht werden. Und da sind alle Mittel recht", raunte er mir in mein Ohr. Ich sträubte mich. Er hob mich hoch und trat zum Rand der Klippe. „Einzelgänger gehören nicht zu einer guten Zivilisation", meinte er verabscheuend. Dann ließ er mich los. Ich klammerte mich noch einen Moment an seine Hand. Die Zeit schien still zu stehen. Dann fiel ich.

Das kleine unbedeutende Ich #Wattys2017Where stories live. Discover now