Alles verloren

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Mein Kopf dröhnt als ich langsam zu mir komme. Jeder einzelne Muskel in meinem Körper brennt. Mein Mund fühlt ist völlig ausgetrocknet und es schmerzt im Hals wenn ich versuche zu schlucken.
Langsam blinzelnd öffne ich meine Augen.
Eine einzelne Glühbirne beleuchtet den schlecht durchlüfteten Raum in dem ich mich befinde. Ich sehe mich um. Als ich das Fenster entdecke, bemerke ich, dass ich mich irgendwo in einem Wald befinde. Überall sind Bäume zu sehen.
Wie Spät ist es? Ist es Tag oder Nacht? Was ist passiert?
Streit mit Jayden.
Tessa.
K.O. Tropfen.
Ich sehe an mir runter. Das weiße Top und die kurze Hose die ich heute trage sind vollkommen verschmutzt. Vorsichtig versuche ich meine Arme hinter dem Stuhl auf dem ich festgebunden bin zu lösen, doch es funktioniert nicht. Die Fesseln sind zu fest gebunden. Es fühlt sich an als würden scharfe Messer meine Handgelenke entlang schneiden.
Mir rollt eine einzelne Träne über die Wange. Ich habe angst. So schreckliche Angst, dass ich nichtmal richtig weinen kann. Mein Kopf ist wie leergefegt. Ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Mit aller Kraft versuche ich meinen Mageninhalt in mir zu behalten. 

Als sich plötzlich im Nebenraum etwas regt zucke ich zusammen und schaue abwartend zur Tür, die im nächsten Moment geöffnet wird. Eine Gänsehaut überfährt mich als ich einen Mann mittleren Alters sehe. Er ist groß und kräftig gebaut, kahl und hat furchteinflößende, dunkle Augen die mich rachesüchtig mustern. Ich starre ihn geradewegs an.
"Freut mich das du endlich wach bist." Grinst er böse und schließt die Tür hinter sich. Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. Kann nicht antworten weil mein Mund mit Panzertape beklebt ist.
Er kommt auf mich zu und sieht mir tief in die Augen. Hasserfüllt erwidere ich seinen Blick.
"Du kennst mich bestimmt nicht." Er setzt sich auf einen alten Hocker und rollt näher an mich ran.
"Ich bin Readhead." Er lacht abschätzig. "Ein alter Bekannter von deinem Dad." Als er meinen Vater erwähnt verfinstert sich mein Blick noch einmal mehr und ich beiße fest die Zähne zusammen. "Schade, dass er nicht mehr hier ist alles miterleben kann." Der Sarkasmus ist deutlich hörbar und wäre ich nicht gefesselt würde er jetzt ordentlich eine dafür kassieren. "Du willst bestimmt wissen was ich mit dir vorhabe. Stimmt's?" Ich wende meinen Blick auf die verschmutzte Wand hinter ihm. Er erhebt sich und geht zu einer Art Ablage. Langsam frage ich mich wirklich ob wir uns in einer Praxis befinden. Er wühlt in den Schubladen. "Nun ich erzähl es dir."
Während ich ihm wütend auf den Rücken starre und mir sehnlichst wünsche, dass Blicke töten können, scheint er seelenruhig etwas vorzubereiten.
"Damals hat dein Vater gegen mich ermittelt. Du solltest wissen, dass ich nicht zu der guten Sorte Mensch gehöre. Ich habe viele Dinge getan die du dir in deinem kleinen Teenagerköpfchen gar nicht vorstellen kannst." Er schmunzelt. "Dein Dad hat mich durch ein blöden Unfall zu fassen bekommen." Er macht eine kurze Pause um seinen Worten Ausdruck zu verleihen und vielleicht sogar um sich zurück zu erinnern. "Ich hab lebenslänglich bekommen." Wieder hält er kurz Inne und dreht sich zu mir um. "Wenn ich mit meinem Plan durch bin, werde ich wahrscheinlich sogar die Todesstrafe bekommen aber das stört mich nicht besonders. Was ich will ist Rache. Ich komme immer irgendwie raus. Hier der Beweis." Er zeigt an sich runter.
R.H. kommt mit einem Tablett auf mich zu und legt es auf den kleinen Tisch neben mir. Ich werfe einen Blick drauf und erschaudere als ich zwei Messer eine Schere und sogar ein Skalpell erkenne.
Dieser Mann ist verrückt.
Ich war Arzt bevor alles angefangen hat." Er lässt seine Finger knacken. "Als ich ins Gefängnis kam schwor ich deinem Vater Rache. Es hätte natürlich gereicht einfach Leute zu beauftragen seine Bremse zu manipulieren aber ich will mehr. Er hat mir mein Leben zerstört also werde ich alles was er jemals geliebt und ihm wichtig war ebenfalls zerstören." Diese Kälte in seinen Worten bringt mich fast um den Verstand.
Wie kann ein Mensch so grausam sein?
"Du stehst als erstes auf meiner Liste. Was gibt es wichtigeres als sein eigen Fleisch und Blut?" Er hebt amüsiert eine Augenbraue. "Ich bin ehrlich zu dir, Elizabeth. Du wirst heute sterben. Qualvoll. Ich werde dich auf die schmerzhafteste Weise die du dir vorstellen kannst verrecken lassen." Er nimmt ein Messer in die Hand und spielt mit der Klinge.
"Gefällt dir mein Spielzeug? Wir befinden uns in einer alten Tierpraxis, ganz tief im Wald. Damals haben Jäger sie für verletzte Waldtiere genutzt aber das war vor gut zehn Jahren. Steht schon ne Weile leer." Er schneidet sich in den Daumen und zuckt nichtmal zusammen. Er schaut einfach auf die Wunde und sieht zu wie das Blut langsam seinen Weg nach draußen antritt. Grinsend hebt er die verletzte Hand und streichelt mir mit der verletzten Seite über meine Wange. Ich spüre das fremde Blut auf meiner Haut. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken herunter. Bösartig mustert er mich.
"Spar dir also das Schreien. Hier wird dich niemand finden. Noch nicht." Mit einem ruckartigen Zug, entfernt er das Tape von meinem Mund. Ich spüre wie meine trockenen Lippen rissig werden. Schnecke ich da Blut? "Nach dir kommt deine Mutter und danach dein lieber Stiefdaddy." Ich atme tief durch.
"Wag es auch nur in die Nähe meiner Familie zu kommen-" Er lacht "Dann was?" Ich knirsche mit den Zähnen. "Sie werden auf die selbe Art wie du sterben. Ganz langsam-" Er streicht mit seiner Hand über meinen Arm und dann leicht über meinen Wangenknochen. "-Und schmerzvoll." Mit aller Kraft sammle ich meine Spucke zusammen und spucke ihm ins Gesicht. "Du kleine Hure!" Zischt er und wischt sich über sein Gesicht. Direkt danach landet seine Faust auf meiner linken Wange. Ein höllischer Schmerz durchfährt mich und ich keuche leise auf. "Tu das nie wieder!" Droht er mir und sieht mir durchdringend in die Augen. "Du bist lächerlich." Knurre ich abfällig und weiche seinem Blick aus. Lachend greift er nach einem anderen Messer und setzt es an meinem Oberschenkel an. Er zieht eine scharfe Spur und ich zucke ruckartig zusammen. Ich sehe wie die Wunde rot wird und anfängt zu bluten. "Je weiter du den Mund aufmachst, desto schmerzhafter werden die Tode der anderen, Elizabeth. Es liegt an dir." Ich schlucke verängstigt. Versuche den Schmerz zu ignorieren.
"Was würde dir lieber gefallen? Soll ich deine Mutter in Einzelteile zerschneiden und überall in eurer Stadt verteilen oder eher bei lebendigen Leibe verbrennen?" Er schaut nachdenklich an die Decke. Keine Spur von irgendeinem Witz. Dieser Kerl meint es verdammt nochmal ernst. Ich muss schluchzen. "Du bist krank!" Werfe ich ihm an den Kopf. Er lacht höhnisch. "Das haben sie im Gefängnis auch dauernd zu mir gesagt." Er schneidet mir ins andere Bein doch ich verkneife mir das aufschreien. Viel mehr bin ich damit beschäftigt mich nicht auf mir selber zu übergeben. Diesmal ist die Wunde viel länger und tiefer. Er lehnt sich etwas zurück und fängt wieder an zu lachen. "Weißt du eigentlich wie es ist fünf Jahre eingesperrt zu sein? Dabei habe ich nur bei einem blöden Banküberfall zwei Kollegen deines Vaters erschossen." Er zuckt mit den Schultern als wäre es etwas alltägliches. "Du bist ein verdammter Soziopath!" Wimmere ich kraftlos was ihn nur ein weiteres mal zum lachen bringt. "Alle werden sterben Elizabeth. Du, deine Familie, deine kleine Freundin, Grace richtig?" Ich weite erschrocken meine Augen. "Lass sie in Ruhe! Ich flehe dich an. Lass Grace da raus!" Er lacht wieder und verpasst mir dann eine schallende Ohrfeige. "Halt die Klappe!" Ich schüttle immer wieder weinend den Kopf. "Wie hieß ihr Freund nochmal?" Er überlegt einen Moment. "Lewis, stimmt. Auch Lewis wird leiden. Deine Freundin Emily ebenfalls." Ich schluchze einfach vor mich hin und würde mir am liebsten meine Ohren zuhalten. "Das stimmt nicht. Ich lasse es nicht zu! Tu alles mit mir aber lass meine Familie und meine Freunde in ruhe!" Er verdreht die Augen und boxt mir in die Magengrube. Ich beuge mich vor Schmerz so weit es geht vor und breche erneut. Das ist zu viel. "Willst du gar nicht wissen was mit deinem kleinem Freund Jayden passiert ist?" Ich zittere am ganzen Leib als sein Name fällt. So viel Schmerz, innerer als auch äußerer überrollt mich mit einmal das ich zusammenbreche.
Ich kann nicht mehr. Die Tränen rollen mir unaufhaltsam über die Wangen und ich habe das Gefühl nicht mehr richtig atmen zu können. "Was hast du ihm angetan?" Schreie ich. "Ihm geht es schlecht, sehr schlecht. Nach seinem kleinem Ausrutscher mit dir hat er eingesehen, dass es nichts bringt den Beschützer zu spielen. Aber Elizabeth keine Sorge-" Er zwinkert mir grinsend zu. "Wir sind doch jetzt Freunde. Ich habe dafür gesorgt, dass er das letzte mal das Tageslicht gesehen hat heute."
Mein Herz bleibt stehen. Ich kriege keine Luft mehr. Die heißen Tränen laufen über meine Wangen und mein Top hat inzwischen einige Bluttropfen aufgenommen. "Das stimmt nicht! Du lügst! Jayden geht es gut. Ihm geht es gut!" Verzweifelt suche ich in seinem Blick etwas was mir Sicherheit gibt doch er lacht mich nur aus. "Es ist vorbei, Elizabeth. Deine erste und einzige große Liebe ist für immer weg. Aber vielleicht habt ihr Glück und seht euch auf der anderen Seite wieder." Dieser Kranke Mistkerl macht sich tatsächlich über mich lustig. "Du Bastard, Dave wird dich umbringen! Du bist der scheußlichste Mensch dem ich je begegnet bin!" Werfe ich ihm kreischend an den Kopf. Er schüttelt nur amüsiert den Kopf. "Das wird ihn dir auch nicht zurück holen, Behty. Schade eigentlich. Er hat dich wirklich gemocht." Ich schniefe. "Hat er nicht." Stelle ich klar. Warum weiß ich nicht genau. Es geht ihn nichts an. Woher weiß er überhaupt davon? "Doch das tut er. Er hat sich schon bevor ihr beide geflohen seid in dich verguckt. Genau so wie du in ihn." Ich beiße meine Zähne zusammen und senke meinen Blick. "Hör auf." Flehe ich ihn an. "Habt ihr eigentlich echt gedacht ich wüsste nicht wo ihr die ganze Zeit seid? Zugegeben: Im Wald fand ich euch recht spät aber ab New York war ich euch immer auf dem Fersen. Das gehörte alles zum Plan. In der Wohnung seiner Halbschwester, beim Friseur, hier in Miami, überall. Wie leichtsinnig ihr doch wart.
Ich wusste du würdest dich in ihn verlieben. Es würde dir mehr weh tun am Ende. Ich musste nur auf den richtigen Zeitpunkt warten. Teenager sind so leicht zu durchschauen. Jetzt habe ich dich genau da wo ich dich haben wollte." Schüttelt er den Kopf.
Ich schließe meine Augen. Jegliche Gefühle sind von mir gewichen. Das Weinen habe ich eingestellt und ich versuche mich zu beruhigen. "Tu es. Bring es hinter dich. Ich will nicht mehr leben. Ich kann nicht mehr leben." Er lacht und ich höre wie er etwas aus dem Tablett in die Hand nimmt. "Elizabeth meine Liebe, du hast keine andere Wahl." Erklärt er mir nochmal mit einer säuselnder Stimme. Ich antworte nicht drauf. Mir ist egal was mit mir passiert.
Jayden hat sein Leben durch mich verloren. Der Junge der mir alles bedeutet ist tot und ich bin schuld. Nur meinetwegen ist er gestorben. "Mach endlich." Schreie ich und kneife meine Augen zusammen als ich spüre wie er anfängt an meinem Arm rumzuhantieren.
Als wäre es nicht schlimm genug, spüre ich wie sich etwas scharfes in meinen Bauch bohrt. Ich kneife die Augen zusammen und kann mir ein schmerzvollen Schrei nicht verkneifen. "Dieser Stich wird dich nicht töten. Er ist nicht tief genug um irgendein Organ zu treffen aber du wirst bluten. - Viel bluten und das tut weh."
Irgendwann, - ich weiß nicht ob es am Blutverlust liegt aber irgendwann wird mir schwarz vor Augen. Ich drifte völlig ab. Völlig berauscht und taub von dem ganzen Verletzungen. Der Schmerz ist unerträglich. Ich muss an Jayden denken.
Wie ich mein erstes mal mit ihm hatte, die schönen Tage danach. Auch meine Mutter kommt mir in den Sinn. Wie sie weinend an unserem Küchentisch sitzt und Dave sie versucht zu trösten. Grace, die sich jetzt wohl ihr ganzen Leben lang Vorwürfe machen wird.
Mein Leben ist vorbei aber ich muss es akzeptieren. Ich hätte es nicht mehr auf die Reihe bekommen. Eine merkwürdige Freiheit macht sich in mir breit und nur noch wenige Tränen rollen meine Wangen runter.
Es ist okay.

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Bis nächsten Sonntag 👋

Überarbeitet am 19.01.2019

Instagram: @ vicky_vas

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