,,Stopp, stopp, da ist ein Baum!"

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,,Mein Spätzchen, wie schön dich wiederzusehen. Wie geht es dir? Was macht die Arbeit?" Endlich bin ich wieder bei meinen Eltern. Schon lange habe ich sie nicht besucht. Euphorisch zieht Mama mich in ihre Arme, sobald sie mich erblickt und will mich gefühlt nicht mehr loslassen. Irgendwann muss sie das doch und lässt keine Zeit verstreichen, um mich auf die Terrasse zu lotsen. Wir legen uns beide auf die Sonnenliegen. Mama hat die irgendwo anschaffen können, aber die stehen auch nur aufm Balkon. Im Sommer geht das super!

,,Mama, mir gehts wunderbar und bei der Arbeit hat sich nichts geändert. Finn ist noch immer unerträglich und findet immer Gründe um mich anzuschnauzen. Gestern den ganzen Tag und die meiste Zeit nur wegen Situationen, an denen mehr unser Chef, als ich Schuld war. Ich hatte nichts damit zu tun, aber das kann ich ihm nicht sagen. Ich habe ihm unreif die Zunge ausgestreckt und Kotzbrocken genannt", erkläre ich kurz und knapp was gestern vorgefallen ist. Zwar höre ich mich noch wie ein kleines Kind an, aber wenn ich bei meinen Eltern bin, kenne ich kein Alter. 

Mama grinst mich an. ,,Wenn du dafür mal nicht ne fette Kündigung bekommst."

,,Ach, wenn dann aber mit einer Abfindung, die sich sehen lässt", winke ich ebenfalls lachend ab.

,,So hab ich dich erzogen, Kind." Papa kommt von hinten und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. ,,Und danach wirfst du diesen Säcken deine Meinung an den Kopf. Ich würde zu gerne ihre Gesichter sehen." Ich grinse in mich hinein, um dann im selben Moment wieder ernst zu werden. 

,,Wie geht es Gina?", frage ich die Beiden. Einer guckt zum Anderen und versucht wohl herauszufinden, was sie mir sagen und was nicht.

,,Sie wacht einfach nicht auf. Ihr Zustand verschlechtert sich nicht, aber der Gegenteil ist auch nicht der Fall", erklärt nun Mama. 

,,Aber solange sie stabil bleibt, müssen wir uns keine Sorgen machen", versucht Papa uns aufzuheitern. Er kann sich selber nicht einmal davon überzeugen. Gina ist meine jüngere Schwester. Sie wurde vor knapp zwei Jahren von einem Auto erfasst. Der Fahrer wurde nie geschnappt, aber Gina muss seinen Fehler wieder ausbaden. Ich besuche sie nicht mehr und das aus Prinzip nicht. Es bringt ihr nichts, wenn ich jeden Tag an ihrem Gefängnis auf sie warte, da sie und ich genau wissen, dass es nichts bringt. 

,,So, ich mache mir jetzt ein leckeres Rührei. Wer möchte auch eins?", fragt Papa nun mit breitem Grinsen im Gesicht. Ich zeige auf. 

,,Ich will!", rufe ich genauso begeistert aus, wie er und muss lachen. Papa verschwindet in die Wohnung und ich starre die öden Straßen an. 

,,Was ist los, Schätzchen?" Mamas Ausdruck zeigt mir wie besorgt sie immer um mich, beziehungsweise um uns ist. Ich schaue auch sie lange an, um einen tiefen Seufzer abzulassen. ,,Stark benimmt sich komisch."

Mama wird hellhörig und setzt sich auf. ,,Dein Chef?" Ich nicke. 

,,Genau der. Am Donnerstag bin ich zum ersten Mal in sein Büro marschiert...", fange ich an und erzähle ihr alles bis zum gestrigen Tag. Es ist eine lange Geschichte und sie hört mit weit geöffneten Augen zu. Ja, sowas erzähle ich meiner Mutter und es sollte mir helfen... eigentlich. 

,,Er hat deine Hand...?" Den Rest lässt sie in der Luft hängen.

,,Ja und es war nicht so, als hätte ich mich belästigt gefühlt, verstehst du?" Mama nickt, wenn auch sehr nachdenklich. Das kann ich verstehen, denn sowas hört man nicht alle Tage.

,,Du bist jung, dein Chef sieht gut aus, aber..." Jetzt kommt das große Aber. ,,Er ist dein Chef." 

,,Ich weiß. Damit will ich auch nicht sagen, dass ich mit ihm schlafen möchte. Auf keinen Fall. Ich habe meine Prinzipien und dabei bleibe ich. Wäre er ein einfacher Mann, würde es keine Probleme geben, aber der hier ist reich, bekommt alles was er will und spielt in einer viel höheren Liga als ich. Das würde auch so nicht funktionieren. Was ich so verwirrend finde, sind seine Blicke. Mam, weißt du wie er mich ansieht? Als wäre ich der einzige Mensch auf diesem Planeten, als wäre ich die Sonne und würde sein überleben sichern und gestern hat er mich so wütend angesehen, als würde ihm nicht gefallen was er sieht. Verstehst du? Aber das ergibt keinen Sinn. Alles ergibt irgendwie keinen Sinn. Wie soll ich je wieder arbeiten gehen?" Mama lächelt wie ein Honigkuchenpferd. 

Take me.Where stories live. Discover now