Kapitel 3

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Meine Augen starrten wie verkrampft auf den Satz der dort stand, ich las es noch einmal, und wieder.
Bellas Mutter lächelte uns an. Es wurde mir einfach alles zu viel. Meine Hände waren eiskalt und doch klitschnass geschwitzt. Ich drückte Moritz die Schachtel in die Hand und lief aufgelöst hinaus.
Das letzte was ich hörte war Bellas Mutter. „Was hat sie denn?“
„Tut mir Leid. Es ist alles so schwer für sie“, antwortete Moritz und lief ebenfalls hinaus.
„Was ist denn los mit dir?“, schrie er als er die Haustür hinter sich geschlossen hatte, „du wolltest doch hingehen und die Erinnerungen abholen, was hast du denn?“ Mit einem fragenden Blick schaute er mich an, als ich mich umdrehte. Meine Augen füllten sich schon wieder mit Tränen. Ich hasste es. In den letzten Monaten konnte ich mich auf nichts mehr anderes Konzertieren als auf das traurig sein und heulen.
„Ja, ich dachte es wären ein paar Klamotten oder ihr alter Teddy. Aber nicht so etwas. Da sind bestimmt Bilder oder andere Erinnerungen drinnen, die wir alle zusammen erlebt haben. Ich kann dass nicht. Wenn ich die Kiste jetzt öffne, kommt alles wieder hoch. Die Erinnerungen, der Schmerz. Alles was ich gerade geschafft habe zu unterdrücken, damit es halbwegs ertragbar ist.“ Ich schrie schon fast. Dann lief ich davon. Egal was Moritz noch sagte, ich hörte es nicht mehr.   

Ich lief und lief. Immer schneller. Bis ich nicht mehr konnte und mein Atem in großem, hellen Rauch aufstieg. Es war bitterkalt und der Schnee knirschte nur so unter meinen Füßen als ich den Weg im zugeschneiten Stadtpark langlief.
Ich konnte jetzt nicht nach Hause. Dort würden nur wieder tausende Fragen auf mich warten. Fragen, auf die ich keine Lust hatte.
Endlich war ich angekommen. An meinem Lieblingsplatz, bei dem ich in den letzten Monaten so viele Stunden verbracht hatte. Es war der kleine Bach inmitten von vielen großen Bäumen im Stadtpark, der mich schon als kleines Kind faszinierte und den ich irgendwann zu meinem Lieblingsort machte. Hier konnte man so gut nachdenken. Dieser Platz war einfach magisch, früher hatte ich mir immer vorgestellt hier würden Elfen wohnen. Ich kann nicht genau erklären warum, aber ich war fest davon überzeugt.
Ich hatte mich auf einen größeren Stein direkt am Bach gesetzt und lies gerade meinen Gedanken freien Lauf, als ich hinter mir ein knacken wahrnahm.
Schlagartig drehte ich mich um.
Ich traute meinen Augen nicht als ich sah wer da stand. Zuerst dachte ich mein Gehirn würde irgendwie verrückt spielen, doch schon im nächsten Moment erkannte ich deutlich sein Gesicht. Phil. Ich war total überfordert. Rennen, schreien, wegschauen, lachen, weinen, singen, sterben. Was war das dritte nochmal. Genau, wegschauen. Und zwar so blöd, wie wahrscheinlich niemand wegschauen kann. Ich drehte meinen Kopf so ruckartig wieder in die andere Richtung, dass mir sogar schwindelig wurde. Und so offensichtlich.
Am liebsten hätte ich mir wieder mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Aber wenn ich dass getan hätte, dann hätte er mich bestimmt für noch blöder gehalten als er es, denke ich, sowieso schon tut.
Warum musste er mich auch ausgerechnet jetzt gerade sehen? Ich war immer noch am heulen und meine Augen sahen dementsprechend aus. Beschissen.
‚Ich würde warten bis er weggeht‘, dachte ich mir und pustete eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Doch anstatt seine Schritten leiser zu hören, wurden sie immer lauter. Bis er letztendlich direkt hinter mir stand.
„Alles in Ordnung?“, fragte er und setzte sich gleichzeitig neben mich. Seine Stimme war so tief und rau, aber doch so warm und vertraut.
Ich schüttelte den Kopf. Mehr brachte ich nicht heraus, denn mir stiegen schon wieder Tränen in die Augen. Was wollte ich mehr? Mein größter Traum war es doch, einmal mit ihm zu reden. Jetzt hätte ich die Chance, aber ich konnte nicht so tun als wäre ich glücklich.
„Hey“, sagte er leise, er hatte wohl gemerkt dass es mir schlecht ging, „wenn du mir nicht sagst was los ist, kann ich dir nicht helfen.“ Aufmunternd schaute er zu mir rüber. Ich musste jetzt etwas sagen, sonst würde die ganze Sache hier echt doof enden. Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meinen Brustkorb, als wäre es eine Bombe die gleich explodieren würde. Innerlich musste ich mich schon wieder darum bitten, mich zusammenzureißen. Immer wenn er in meiner Nähe war, stieg mein Puls auf 180 und ich war so nervös wie vor einer Prüfung. Dass musste aufhören, jetzt und hier.
„Es…ist ne lange Geschichte.“ Langsam hob ich meinen Kopf und schaute in sein Gesicht.
Seine stahlblauen Augen schauten direkt in meine und ich zuckte zusammen. Nicht weil ich mich erschrocken hatte, sondern weil sie von nahem noch schöner und fesselder waren, als aus ein paar Meter Entfernung.  
„Ok, ich hab Zeit.“ Ein Lächeln erfüllte sein Gesicht und irgendwie ging es mir schon ein klitzekleines bisschen besser.
Sollte ich es ihm wirklich erzählen. Er hatte doch bestimmt bessere Sachen zu tun, als sich meine Sorgen anzuhören. Doch irgendwie würde es mir helfen zu reden, wenn auch nur ein kleines Stückchen.
„Naja…es geht um…meine Freundin Bella. Ich weis nicht ob du sie gekannt hast.“ Leicht zögernd fing ich an.
„Mh, ich hab den Namen schon einmal gehört. Was ist mit ihr, ist sie weggezogen?“
Ich schüttelte den Kopf und senkte ihn gleichzeitig. Noch nie  hatte ich mit jemand über dieses Thema gesprochen. Es noch nie wirklich über meine Lippen gebracht. Noch nie die wirkliche Geschichte jemand erzählt.
„Nein. Sie…sie ist Tod.“ Ein Stich in meiner Bauchgegend lies mich kurz zusammenzucken.
„Das tut mir Leid“, er rutschte ein Stück näher, „willst du darüber reden? Wenn nicht ist es okay, ich kann dich verstehen.“
Ich wusste nicht was passieren würde, wenn ich weiter erzählen würde. Vielleicht würde ich weinen, weglaufen oder sonst etwas tun. Aber er sollte es jetzt erfahren.
„Es war vor sechs Monaten“, begann ich und er war sichtlich erstaunt dass ich es ihm doch anvertrauen wollte, „Bella war Hals über Kopf verliebt. In Bruno. Er war zwei Jahre älter als sie und machte eine Ausbildung. Sie war so glücklich mit ihm. Er war alles was sie wollte, doch manchmal war ein richtiger Arsch. Auf Partys, machte er sich oft an andere Mädchen ran, Moritz, mein bester Freund, und ich wussten es und sagten es ihr auch öfters, doch sie hatte wie man so schön sagt
eine rosarote Brille auf.
Aber wir waren ihre Freunde und wir gönnten es ihr.
Naja und dann kam eben dieser Tag, der schrecklichste in meinem Leben. Wir telefonierten noch am Morgen zuvor. Es war Samstag, ein schöner Tag. Sonne, Sommer, heißes Wetter. Doch Bellas Laune war ganz anders als gut. Sie war stinksauer auf ihre Mutter. Diese hasste Bruno und hatte ihr schon wieder verboten sich mit ihm zu treffen, geschweige denn über in zu reden. Sie dachte er würde ihr nicht gut tun. Ich wollte Bella beruhigen so wie ich es immer tat, doch es ging nicht. Sie erzählte mir dass sie und Bruno beschlossen hatten abzuhauen. Durchzubrennen. Weg von ihrer Mutter die ihr nicht erlaubte mit dem Jungen zusammen zu sein, den sie liebte.
Nach Italien mit Brunos Auto.
Ich wollte sie davon abbringen doch sie war so fest entschlossen, es ging nicht.
Bella hatte oft solche Ideen. Ich nahm sie nicht ernst und tat den ganzen Samstag dass was ich jeden Samstag tat. Ich dachte es wäre alles wie immer.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und in dem Moment als meine Augen das Sonnenlicht erblickten. Wusste ich es. Es war etwas anders als sonst. Ich wusste dass etwas Schreckliches passiert war.
Ich ging runter in die Küche. Mama saß dort. Sie weinte.
Ich setzte mich zu ihr und…und ich wusste es einfach, aus irgendeinem komischen Grund wusste ich es. Sie war Tod.
Später erfuhr ich dann, dass das Auto in dem die beiden saßen, über eine Leiblanke gefahren war. Danach überschlug es sich und blieb schließlich im Abgrund neben der Straße liegen. Bruno hatte nur leichte Verletzungen, doch Bella…sie war sofort Tod.“
Es war still. Nur das rauschen des Baches war zu hören, sonst nichts.
Es war die Stille, die sich auch genau in dem Moment als ich von Bellas Tod erfuhr in meinem ganzen Körper ausbreitete. Die Leere. Unerfülltheit. Als wäre ein Teil von mir von heute auf morgen verschwunden. Einfach so gegangen.
Phil legte seine Hand vorsichtig auf meine.
„Hast du dir nie Gedanken gemacht, warum das Auto diesen Unfall hatte?“, fragte er und unterbrach damit die Stille.
„Hab ich. Unzählige Male. Aber nachgefragt hab ich nie. Ich wollte es nicht wissen. Doch für Bellas Mutter war es klar, dass es Brunos Schuld war. Sie hasste ihn noch mehr als zu vor. Verständlich.
Und ich, bis heute hab ich ihn nicht mehr gesehen nach dem Unfall. Ich konnte nicht.
Ich hätte alles verhindern können, sie könnten noch leben, wäre ich doch nur zu ihr gegangen und hätte ihr die schwachsinnige Idee nach Italien zu gehen ausgeredet.“
Ich sprang auf. Eine Träne nach der anderen lief mir über die Wange. Ich konnte es einfach nicht mehr zurück halten.
Phil stand ebenfalls auf, ging ein Schritt auf mich zu und nahm mich in den Arm.
„Hör mir zu“, hauchte er mir ins Ohr, „du bist in keinster Weise schuld. Hörst du? Manchmal passieren eben Dinge, die Gott so vorgesehen hat, keiner kann das beeinflussen.“
Ich nickte und verstand immer noch nicht warum ich mich in seiner Anwesenheit so scheiße wohl fühlte.
Er löste sich von mir und hielt mich dann an meinen Schultern fest.
„Als mein Opa letztes Jahr starb, wusste ich nicht weiter. Ich weis dass kann man nicht vergleichen und es ist auch was völlig anderes als bei dir, aber mir half es Erinnerungen zu sammeln. Bilder, besondere Erlebnisse. Ich konnte mich an alte Zeiten zurück erinnern und es tat so gut.“
Ich wischte mir ein paar Tränen die sich direkt unter mein Auge geheftet hatten ab.
Alter Erinnerungen? Gemeinsame Erlebnisse? Die Kiste.
Ich wusste nicht warum aber aus irgendeinem Grund war ich überzeugt die Kiste doch zu öffnen.
Phil hat so einen Einfluss auf mich. Er sagt etwas und ich tat es.
„Danke“, flüsterte ich ihm zu als ich ihn nochmal an mich drückte.
Es fing an zu schneien und ich musste aus irgendeinem komischen Grund sofort an die Elfen denken, die meiner Meinung nach, als ich noch klein war, hier wohnten. Sie sind die kleinen Dinge, die diesen Ort so besonders machen und ich glaube heute haben sie Phil nicht nur aus Zufall hier her geschickt.

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 So erstmal ein riesengroßes Dankeschön an die, die meine Geschichte schon gelesen haben und auch an die, die sie noch lesen werden. <33
Es wäre super wenn ihr eure Meinungen dazu in die die Kommentare schreiben würdet. Ich nehm auch gerne Kritik an, aber bitte nur hilfreiche. :-)
Es wär natürlich auch supi wenn ihr die Geschichte an alle eure Freunde, die gerne Storys in so einer Richtung lesen, weiterempfehlen würdet, würd mich riesig freuen. (:
So und als letztes noch, FOLLOW ME!!! Ich folg auch gern zurück…:}

Bald geht’s weiter…
Lysell <333
                  

Hundert WünscheWhere stories live. Discover now