Kapitel 5

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Langsam schlug ich es auf…
Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustkorb, als wolle es rausspringen.
Tausende Fragen gingen mir durch den Kopf. Mein Blick fiel auf die erste aufgeschlagene Seite.
Dort war ein Bild, das Bella selbst gemalt hatte darauf. Es war ein kleiner Käfer, den sie in der vierten Klasse immer und überall drauf kritzelte. Auf ihre Schulhefte, auf meine Arme, auf ihre Arme.
Kein Ahnung warum. Vielleicht mochte sie Käfer damals.
Ich musste lächeln. Doch dann wurde mir klar was dass hieß, das Buch müsste mindestens sechs Jahre alt sein. Ich war nun noch nervöser als zuvor.
Tief atmete ich ein und dann wieder aus. Es kam mir vor als würde ich hier schon eine Ewigkeit sitzen und diesen Käfer anstarren.
Ich spürte wie Moritz Blick auf mir haftete. Ein Blick den ich nicht deuten konnte, deshalb drehte ich meinen Kopf in seine Richtung und sah ihm direkt in die Augen.
Ich zuckte zusammen, ich wusste nicht warum, aber ich glaube er bemerkte es und nahm mir schnell das Buch aus der Hand.
Dann schlug er eine Seite um.
Wünsche, Aufgaben, Träume, stand als Überschrift am oberen Ende. Meine Augen richteten sich starr auf die einzelnen Spalten die dort eingezeichnet waren.
1. Wunsch, im Deutschdiktat gut sein, stand in so einer krakeligen Schrift da, sodass ich es fast nicht entziffern konnte. Darunter ihre Erfahrungen und ein Hacken. Eindeutig ihre Handschrift aus der Grundschule.
Etliche Seiten ging es so weiter. Bis zu dem Wunsch Nummer siebenundachtzig.
Mir stockte der Atem und ich hatte das Gefühl, mein Herz hätte für ein paar Sekunden aufgehört zu schlagen.
Ab dieser Nummer, standen keine Erfahrungen oder ein Hacken unter dem Wunsch.
Die Zeilen darunter waren leer.
Ich fühlte wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Diese Wünsche wollte sie sich noch erfüllen, doch sie starb. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Moritz sah dies und im nächsten Moment war er dabei das Buch zu schließen, doch ich hielt meine Hand dazwischen.
Aus irgendeinem Grund, wollte ich wissen was da noch alles stand.
„Du musst das nicht anschauen“, hauchte Moritz und blickte in meine Richtung.
„Aber ich will.“ Ich nahm ihm das Buch aus der Hand. Irgendetwas brachte mich dazu es zu lesen, es war plötzlich so, als wären dies meine eigenen Wünsche.
Meine Lippen formten die Wörter als anfing zu lesen.
In der Mathearbeit ein eins schreiben.
Bella war nie gut in Mathe und deshalb wunderte mich dass nicht. Ich musste schmunzeln, obwohl ich den Tränen nah war und irgendetwas in mir, dass ich nicht genau definieren konnte, gab mir das Gefühl dass diese unerfüllten Wünsche von uns erfüllt werden müssen. Ich fühlte mich verpflichtet.
Doch für Moritz wäre es nicht schwer es zu erfüllen. Er ist der Klassenbeste, ja fast schon ein Streber. Er hatte nur Einsen und jeder Lehrer mochte ihn.
Ganz im Gegenteil zu mir. Ich war schlecht in Mathe. Schlechter als schlecht.
Wie sollte ich da eine eins schaffen?
„Moritz?“, begann ich langsam während ich aufstand, „vielleicht hört sich dass jetzt total verrückt an und wenn du nicht mit machen willst, hätte ich kein Problem damit.“
„Was meinst du?“ Neugierig stand er auch auf.
„Ich…ich habe das Gefühl ich musste diese unerfüllten Wünsche erfüllen. Verstehst du. Ich glaube so könnte ich mit der ganzen Sache abschließen und Bella glücklich machen.“ Ich war erstaunt wie viele sinnvolle Wörter aus mir heraus kamen, obwohl ich gerade nicht mehr richtig wusste wo oben und wo unten ist.
Er nickte nur. Im gleichen Moment kam es mir total blöd vor meine Idee erzählt zu haben.
„Ach vergiss es.“ Ich schnappte mir meine Tasche. Ich musste jetzt irgendwie alleine sein, keine Ahnung warum.
„Sarah, warte“, rief er und ich drehte mich um, er lächelte, „dass ist eine tolle Idee.“
Erleichtert schaute ich ihn an.
Ich fühlte mich als hätte ich ein Teil von Bella bei mir. Ihr Seele.

Zwanzig Minuten später lief ich mit dem Buch fest an mich gedrückt nach Hause.
Der Schnee war ein bisschen geschmolzen und es war auch nicht mehr so kalt wie die letzten Tage, doch trotzdem stieg mein warmer Atem als weißer Rauch in die Luft. 

Das laute Piepen meines Weckers riss mich aus meinem Schlaf. Müde öffnete ich meine Augen.
Es war spät geworden gestern Abend. Tanta Amanda war da und brachte uns frischen Tee und Lebkuchen , natürlich hat sie mich gleich wieder gefragt ob ihr heute helfen könnte, doch ich musste mich erst einmal um das Mathe Problem kümmern. Irgendwann bin ich dann todmüde in mein Bett gefallen und sofort eingeschlafen.
Als ich aufstehen wollte, bemerkte ich, dass ich das Büchlein die ganze Nacht eng an meine Brust gedrückt festhielt. Ich legte es in meine Nachttischschublade und zog mich an.
Unten in der Küche roch en nach gebackenen Brötchen und als ich ein wenig später aus dem Haus lief hatte ich noch immer den Geruch in der Nase.
Gähnend rieb ich in meinen Augen, dann schob ich meine kalten Hände wieder in die Jackentasche. Zum Glück war heute Freitag und ich konnte mit dem guten Gefühl in die Schule gehen morgen wieder ausschlafen zu können.

Der Bus hielt ruckartig vor dem Schulgebäude an und jeder der sich nicht festhielt oder in einem Sitz saß, hatte schlechte Chancen stehen zu bleiben.
Ich stieg aus.
Von weitem sah ich Moritz mit seinen Freunden stehen. Er war ziemlich beliebt. In unserer Klasse zu minderst. Die Mädchen mochten ihn weil er hübsch war und die Jungs wegen seiner coolen Art. Außer ich. Ich mochte ihn einfach, weil er mich verstand und mich so akzeptierte wie ich bin. Er und Bella wollten mich noch nie verändern. Außerdem machte er jeden Blödsinn mit und war der beste Zuhörer den man sich wünschen kann.
Ich dagegen hatte nicht viele Freunde. Es gab einige aus meiner Klasse mit denen ich mich gut verstand, aber Freunde konnte man diese nicht nennen.
Als ich in das aufgewärmte Schulgebäude lief, schloss sich Moritz mir an.
„Hey“, sagte er als wir den fast leeren Gang entlang liefen.
„Ich hab eine Idee zu Bellas Wunsch“, begann ich ohne ich zu begrüßen, „du bist in Mathe gut, also hast du ja sozusagen den Wunsch schon erfüllt, aber ich muss besser werden.“
Er nickte, dass sah ich aus meinem Augenwinkel.
„Und was hast du jetzt vor?“, fragte er nach ein paar schweigenden Sekunden.
„Was man eben vor hat, wenn man schlecht in Mathe ist. Nachhilfe.“
Wir hielten vor dem Schwarz Brett an.
Mein Blick schweiften über tausende Anzeigen. Schulredaktor gesucht. Katze entlaufen. Neuer Drummer für die Schulband.
Moritz Finger deutete auf eine Nachhilfenanzeige die versteckt in der linken unteren Ecke hing.
Nachhilfe für Mathe, Englisch und Spanisch, stand mit fetten Buchstaben darauf.
Ich zückte mein Handy und machte kurzerhand ein Foto von der ganzen Anzeige. Jetzt hatte ich keine Zeit dort anzurufen, den die Schulklingel schrillte laut auf.
Wir liefen in unsere Klasse.
Bis zur nächsten Mathearbeit hatte ich noch sechs Tage Zeit.
Als ich mich auf meinen Platz sacken lies, stütze ich meinen Kopf in meine Hände. Wie sollte ich dass bloß hinbekommen?!       
 

Hundert WünscheDonde viven las historias. Descúbrelo ahora