Kapitel 18

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Dem Sekundenzeiger beim Ticken zu schauen, ist ein gutes Mittel gegen Langeweile, stellte ich am nächsten Mittag fest.
In einer halben Stunde fuhr unser Bus zum Krankhaus. Immer wieder ging mir die Szene mit Moritz von gestern durch den Kopf.
Was war das nur? Ich erinnerte mich daran, dass ich es ja eigentlich vergessen oder bessergesagt verdrängen wollte. Doch irgendwie ging es nicht.
Ich beschloss heute Abend nach dem Krankenhaus, einen Schlussstrich unter dem ‚Liebesthema‘ mit Moritz, oder was auch immer das war, zu ziehen. Und dafür gab es nur eine Lösung. Phil.

Die Schneeflocken zerschmolzen auf meiner Hand nachdem sie darauf geflogen waren.
Moritz hielt mir die riesige Eingangstür auf.
Der Geruch von Desinfektionsmittel stieg mir in die Nase. Was mich aber nicht weiter störte.
Wir liefen zu der Kinderstation.
Diesmal waren alle schon im großen Spielzimmer.
Ein paar rannten uns entgegen und zogen gleich Moritz wieder mit sich in das Lesezimmer.
Ich setzte mich zu einem Mädchen an den Tisch. War sie neu hier? Ich hatte sie gestern gar nicht bemerkt.
Mit einem roten Holzstift, malte sie große, runde Kreise auf ein Blatt.
„Na, was machst du?“ Der Stuhl der auch in Miniausführung war, kippelte kurz unter mir.
Sie gab mir keine Antwort. Auch als ich ein zweites Mal fragte, reagierte sie nur mit einem kurzen verschmitzten Blick.
Ich sah in die Richtung in der Moritz mit den Kindern im Lesezimmer saß.
„Ist das dein Freund?“, fragte das Mädchen, dass doch eben noch so stumm war, plötzlich.
„Äh…nein wir sind nur gute Freunde.“ Sie lächelte.
Irgendetwas an diesem Mädchen gefielt mir.
„Wie heißt du?“
Sie blickte kurz zu mir auf. Ich befürchtet schon sie würde wieder keine Antwort geben.
Dann lies sie den Stift fallen und krallte sich einen blauen mit dem sie die unförmigen Kreise ausmalte.
„Amy.“
„Und wie lange wohnst du schon hier?“ Ich hatte keine Ahnung was ich sonst sagen sollte.
„Mh…zwei Monate bin ich glaub ich schon hier. Und übermorgen darf ich nach Hause, weil doch bald Weihnachten ist.“ Sie strahlte.
Aus irgendeinem Grund beeindruckte sie mich. Trotz dem schweren Schicksal war sie so lebensfroh. Ich hätte auch so sein sollen, nach Bellas Tod. Hätte Lachen sollen und nach vorne blicken müssen.
 Ab dem Moment beschloss ich dies zu tun.
Ich habe ihre Wünsche und ich werde sie erfüllen und was Moritz und Phil angeht. Ich lass es einfach auf mich zu kommen. Man kann sowieso nicht alles planen.
Das Mädchen malte weiter und ich verspürte das brennende Gefühl Phil sehen zu müssen. An diesem Tag hatte ich endlich mal wieder einen kleinen Durchblick in diesem Gefühlswirrwar. Zwar nur mit einer Sicht auf fünf Meter, aber wenigstens etwas.
Ohne ein weiteres Wort schnappte ich mir auch ein Stift und ein Blatt und begann zu malen.
Nach einer Weile fing das Mädchen plötzlich an zu reden. Sie erzählte mir von ihrer Kindergartenzeit bevor sie hierher kam und wie schön das kribbelnde Gefühl im Bauch und der Wind in den Haaren war, wenn man von der großen Rutsche in den Sandkasten sauste.
Das hört sich jetzt vielleicht so an, als ob sie es mit einer Trauer in der Stimme erzählte, doch ganz im Gegenteil. Sie lachte sogar dabei. Mich beeindruckte dieses Mädchen immer mehr und ich war sichtlich traurig als wir am Abend die Station verließen.
Hecktisch verstaute ich das Foto dass wir vorhin mit den Kindern und Pflegern zusammen gemacht hatten, als ich sah dass es schon wieder schneite.

Wir waren spät dran und verpassten dummerweise die Straßenbahn. Es war zwar nicht weit zu Fuß, doch trotzdem würde ich lieber in der warmen Bahn sitzen, als hier durch die Kälte zu laufen.
Eine halbe Stunde und zehn eingefrorene Fußzehen später, kamen wir an der Kreuzung zu Phils Straße an. Mein Fuß schmerzte ein wenig, weil er die so viel Belastung noch nicht gewöhnt war, doch trotzdem lief ich ohne Krücken.
Ich verabschiedete mich von Moritz, mit der Begründung ich müsse noch schnell einer Freundin von meiner Mutter etwas vorbeibringen.
Sein Blick verriet schon, dass er es mir nicht glaubte. Doch er winkte mir leicht zum Abschied und lief dann weiter. In dem Moment machte ich mir keine Gedanken darüber ob er wieder eifersüchtig oder sonst etwas war. Ich war total nervös wegen Phil und dass verbrauchte meine ganze Aufmerksamkeit.
Vor seinem Haus in der Einfahrt, blieb ich kurz stehen. In fast allen Fenstern brannte Licht und mein Herz wummerte wie verrückt.
Ich klingelte. Innerlich zählte ich langsam 1, 2, 3, 4, 5,… .
Die Tür wurde aufgerissen. Pia stand mit geweiteten Pupillen vor mir.
„Sarah. Was machst du denn hier? Brauchst du wieder Nachhilfe in Mathe? Aber warum kommst du dann an einem Sonntag?“ Bei jeder Frage versuchte ich sie zu unterbrechen, doch sie redete immer weiter.
„Nein, nein.“, geschafft, „ich wollte eigentlich zu Phil.“
„Achso. Ja dann komm doch rein. Er ist oben in seinem Zimmer. Erste Tür…“
„Jaja ich weis. Danke.“, unterbrach ich sie, weil ich dass Gefühl hatte je länger ich hier unten stehen würde, desto nervöser würde ich werden.
 Entschlossen lief ich nach oben, klopfte kurz an seine Tür, lief dann aber doch ohne ein „herein“ zu bekommen hinein.
Stoppte aber, als ich sah wer alles hier war.
Das Mädchen mit den Wasserstoffblonden Haaren saß nah bei Phil und seine zwei Kumpels spielten gerade irgendwelche Ballerspiele.
Diese beiden Typen, ich glaubte sie hießen Nils und Daniel, sahen mich erst entgeistert an aber nach ein paar Sekunden Stille, fingen sie an zu lachen. Das Mädchen kicherte kurz und wandte sich dann an Phil.
„Was will die denn hier?“, flüsterte sie, doch ich konnte sie trotzdem hören.
Erst jetzt wanderte Phils Blick in meine Richtung. Dann stand er auf und schob diese Mädchen ein Stück zu Seite.
Ich war verwirrt. War es doch falsch hier einfach so aufzutauchen.
„Tut…tut mir Leid. Ich wollte nicht stören.“, presste ich umständlich hervor.
„Nein, nein. Du störst nicht.“ Ich hätte jetzt wirklich mit einer anderen Antwort gerechnet. „Die drei wollte sowieso gerade gehen.“, fauchte er seine Freunde an.
Die Typen hörten prompt auf zu Lachen, verwandelten ihr Gesichtsausdruck in Beleidigt um und standen dann auf um zu gehen.
Auch das Mädchen ging nach ein paar zickigen Antworten.
Als niemand mehr außer uns beiden da war, blickte er mir tief in die Augen. Was mich noch nervöser werden lies.
„Es war doof von mir, einfach so zu kommen. Ich hätte dir Bescheid sagen sollen.“, fing ich an, weil ich dass Gefühl hatte mich rechtfertigen zu müssen.
„Schon okay. Mach dir keinen Kopf.“, er ging zu seinem Sofa. , „Pizza?“ Fragen hielt er eine Broschüre eines Pizzalieferanten in die Höhe.
Lächelnd nickte ich und beschloss solche spontanen und ungeplanten Aktionen ab sofort öfters zu tun. Mehr als schief gehen konnte es ja nicht und dieses Mal ging es eindeutig eins zu null für mich aus.

Phil hatte viel zu viel Pizza bestellt und ich viel zu viel davon gegessen.
Nachdem er die Kartons in den Müll befördert hatte, schob er eine DVD ein und lies den Film starten.
Wir redeten zwar nichts, doch dass störte nicht.
Er hatte eine Packung Chips geöffnet und immer wieder berührten sich unsere Hände als wir gleichzeitig hinein fassten.
Es war immer so aufregend wenn ich in seiner Nähe war. Keine Ahnung warum. Vielleicht weil alles so neu war? Ich wusste es nicht und es war mir in dem Moment auch relativ egal. Hauptsache war, dass ich mich in seiner Nähe unheimlich wohlfühlte.
Der Film ging zu Ende und es war schon ziemlich spät. Also ging ich.
Obwohl ich noch so viele Fragen hatte die ich ihm stellen wollte.
Warum hat er seine Freunde wegen mir weggeschickt? Warum war er so nett zu mir?
Und eine ganz besondere, die mir schon Ewigkeiten im Kopf herumfährt.
Wieso war er an diesem einen Tag im Park da gewesen um mich zu trösten?
Ich verabschiedete mich von ihm und beschloss diese Fragen für mich zu behalten. Ich hatte mir schließlich heute vorgenommen, nicht immer alles zu planen und auch mal etwas dem Zufall zu überlassen.
Puh. Leichter gesagt als getan.  

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Lysell<33

Hundert WünscheWhere stories live. Discover now