Kapitel 9

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Gähnend saß ich am nächsten morgen in der Küche. Meine Haare standen in alle Richtungen ab und ich war heute zu nichts bereit. Das einzige auf das ich mich halbwegs freute war die Nachhilfestunde. Vielleicht konnte ich Phil wieder sehen.
Ich schlug die Zeitung auf, was komisch war denn ich las normalerweise nie Zeitung. Dennoch tat ich es, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht lag es daran, das keiner sonst in der Küche war und ich mich einfach nur langweilte. Mama war mit Papa beim Arzt weil sie sich über Bauchschmerzen beklagt hatte und Papa Panik schob, weil er dachte das Baby könnte zu früh auf die Welt kommen und Toni war im Badezimmer.
Seite für Seite las ich mir durch, bis ich auf einen großen Artikel über den Weihnachtsmarkt, auf dem Moritz und ich letzten Sonntag waren stieß. Eine Seite weiter, waren Bilder. Und als ich gerade so durchstöberte entdeckte ich ein Bild des Riesenrades. Ich sah genauer hin, weil dort Moritz und ich standen. Tatsächlich man erkannte uns. Zwar nur klein, aber wir waren abgebildet.
Ich stand dort, Arm in Arm mit der kleinen Chinesin und Moritz lachte in unsere Richtung.
Ich musste grinsen. Dann nahm ich, bevor ich ging, eine Schere und schnitt das Bild aus.
Das würde das erste in unserer Truhe auf Bellas Grab werden.

In der Schule sah ich Phil nicht und auch beim ihm zu Hause war keine Spur von ihm  zu finden. Es stimmte mich traurig als ich nach der Nachhilfe das Haus verließ.
Ich beschloss nicht nach Hause zu gehen, sondern lief in Richtung Friedhof.
Bellas Grab lag schöner als jedes andere. Im Sommer legte die riesige Weide die daneben Stand einen leichten Schatten über das mit Blumen besäte Grab und im Winter streckten sich ihre langen Äste darüber, das sich nur ein wenig Schnee darauf ablegen konnte.
Ich war gern hier. Doch nicht sehr oft, denn dieser Ort stimmte mich traurig und ich hatte Angst vor der Trauer. Vor allem wenn man alleine war.
Langsam setzte ich mich auf die Bank, die am Stamm der Weide stand, und blickte auf den Grabstein.
Wie gerne würde ich jetzt ihr lachen hören. Das Lachen das mir immer gute Laune machte, egal wie schlecht es mir ging.
Ich kramte die kleine Holzkiste und auch das Zeitungsbild aus meiner Tasche.
Ich fragte mich ob ich Moritz anrufen sollte, weil wir das hier lieber zusammen tun sollten. Doch dann fiel mir ein dass er heute Fußballtraining hatte und ich beschloss schließlich es alleine zu tun.  
Auf Bellas Grab stand ein kleiner Buchsstrauch, hinter dem ich die Kiste mit dem Bild darin ein wenig in die Erde grub.
Dann richtete ich mich auf, während mir die Tränen über die Wange liefen.
Ein wenig später lief ich nach Hause und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie traurig ich gerade war.

Am nächsten Mittag rieselte leichter Schnee auf meine Schulter als ich auf dem Weg zur letzten Nachhilfestunde war. Niemals hätte ich gedachte, ich könnte Mathe überhaupt einmal in meinem Leben verstehen.
Morgen würde ich die Mathe Arbeit schreiben. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus. Doch bevor mir tausende Zweifel für eine gute Note einfielen, dachte ich an etwas anderes.
Phil. Heute hatte ich ihn wieder in der Schule gesehen. Ich hoffte ihn heute bei der Nachhilfe zu sehen. Mein Herz pochte als ich zur Haustür des riesigen Hauses lief.
Fragend warum mein Herz gerade um das doppelte schneller Schlug, klingelte ich.
Es war kalt und ich hatte meine Mütze schon wieder tief in mein Gesicht gezogen. Gerade ärgerte ich mich dass ich keinen Schaal angezogen hatte, da sah ich einen Schatten zur Tür huschen.
Doch dieser Schatten war viel größer als Pia. Ich wich einen Schritt zurück und mein Herz hämmerte nun im dreifachen Tempo gegen meinen Burstkorb.
Die Türklinke wurde runter gedrückt und mit einem Mal sahen mich zwei stahlblaue, funkelte Augen an. Phils Augen.
Ich glaube man sah mir an das ich geschockt über seine Anwesenheit war, denn er lachte nur laut auf.
„Hi, bist du diejenige die bei meiner Schwester Nachhilfe hat?“, fragte er und lachte noch einmal.
„Äh… ja ich denke schon, ähm ich meine, ja die bin ich.“, stotterte ich verwirrt.
„Was für ein Zufall. Du hast heute das Vergnügen mit mir die Nachhilfestunde zu machen. Meine Schwester hat‘s jetzt auch mit der Grippewelle erwischt. Komm rein.“ Er grinste mich an, dann lief er in Richtung Wohnzimmer.
Nach dieser Aussage war ich dementsprechend geschockt und ich hätte schwören können mein Herz hätte gerade einen Aussetzer gehabt. Doch trotzdem lief ich ihm hinterher. Ich wollte mich jetzt zusammenreißen.
„Setz dich. Du bist also Sarah oder?“ Mit einer Hand schlug Phil das Buch auf.
„Ja.“, ich nahm auf einem Stuhl Platz, er hing meine Jacke auf und setzte sich dann gegenüber von mir.
„Wir sind uns ja in den letzten Tagen schon öfters begegnet.“, er fuhr sich durch seine Haare.
Ich musste sofort an die Situation im Park denken. Ich hatte vor ihm geheult und von meinen Problemen erzählt. Wie peinlich war das denn?!
Doch ohne dass ich etwas erwidern konnte, stellte er mir die erste Aufgabe.
Ich war überrascht wie gut er dieses Thema konnte. Ja okay, er war schon eine Klassenstufe über mir, doch er konnte es so, als hätte er es erst gestern durchgenommen. Muss wohl in der Familie liegen.
Nach geschlagenen zwei Stunden waren wir am Ende. Es machte Spaß mit ihm zu lernen. Er war noch witziger als ich gedacht hätte und mittlerweile war ich auch nicht mehr so schüchtern.
Ich packte  mein Schreibzeug zusammen, als er sich ruckartig zu mir umdrehte.
„Komm mal mit“, sagte er in so einem beruhigendem Ton, das mir schon fast schwindelig wurde. Er lief die Treppen hoch und ich hinterher. Dann ging er  den langen Gang gerade aus und öffnete die Tür die am weitesten hinten lag. Ich lief ihm hinterher.
Das Zimmer war groß und es war wahrscheinlich ein Arbeitszimmer, denn dort standen ein Computer und ein riesiges Zeichenbrett. Er kramte in der Schublade des Schreibtisches und zog einen hellblauen Stein hervor. Dann nahm ein meine Hand, legte ihn hinein und schloss sie.
„Dieser Stein hat mir immer Glück gebracht wenn ich es gebraucht habe. Vielleicht bringt er dir ja auch etwas Glück.“, er grinste, ich grinste.
„Danke“, sagte ich zögerlich. Dann lief er wieder hinaus und ich wollte ihm folgen als ich plötzlich rechts neben der Tür eine Glasvitrine stehen sah. Und das schlimmste war, das in ihr eine riesige, behaarte Vogelspinne saß. Ich hasste Spinnen. Ein Schütteln durchfuhr mich, doch bevor ich noch länger darüber nachdachte, dass das Tier das ich am meisten hasste gerade zwei Meter und eine dünne Glasscheibe von mir entfernt war, lief ich ohne mir etwas anmerken zu lassen aus dem Zimmer raus.
Als er mich zur Tür begleitete, drehte ich mich nochmal um. Mir brennte etwas schon die ganze Zeit auf den Lippen.
„Das letzte Woche im Park“, begann ich, „ vergiss es einfach was ich dir erzählt habe.“
„Vergessen kann ich das nicht und du sollst es auch nicht einfach vergessen. Rede darüber und friss nicht den ganzen Kummer in dich hinein, denn das bringt nichts. Aber keine Angst ich erzähl es niemanden und es muss dir auch nicht peinlich oder so sein.“ Er lächelte und ich hätte schon wieder dahin schmelzen können.
Ich nickte, dann verlies ich freudestrahlend das Haus.
Wie konnte ein Junge nur so toll sein. Ich wusste jetzt warum ihn alle mochte. Er war einfach toll.

Diese Nacht hatte ich trotz der bevorstehenden Arbeit gut geschlafen. Top fit und gut gelaunt lief ich in die Küche.
Papa machte nun jeden Morgen das Frühstück und Mama saß mit Rückenschmerzen und ihrem immer größer werdenden Babybauch am Tisch. Ich rechnete. In neunzehn Tagen hatte sie ihre Geburtstermin. Genau an Silvester.
Ich freute mich darauf, doch ich wusste gleichzeitig, wie stressig die Zeit werden würde.
Mama stöhnte vor sich hin, als Papa zum dritten Mal das Messer auf den Boden schmiss. Er war im Stress, das merkte man ihm an.
„Bist du gut vorbereitet?“, fragte mich Mama. Sie wusste nicht dass ich Nachhilfe genommen hatte und somit mein ganzes Erspartes opfern musste.
„Ja“, ich nickte und stopfte mir den nächsten Löffel Müsli in den Mund, damit sie nicht noch mehr fragen konnte.
Sie lächelte und lief dann hoch um Toni noch einmal zu wecken, der die letzten Tage immer später aufstand.

Pünktlich verließ ich das Haus, ging zum Bus, stieg an der Schule aus.
Bevor ich das Gebäude betrat, holte ich den kleinen Stein aus meiner Tasche und betrachtete ihn. Durch ihn fühlte ich mich irgendwie noch gestärkter und sicherer.
Wir schrieben die Arbeit in den letzten beiden Stunden. Ich war komischerweise noch nervöser als vor einer Arbeit in der ich nicht einmal den Namen des Themas wusste.
Ein rauchender Kopf und eine schmerzende Hand später gab ich die Arbeit, gleichzeitig mit Moritz ab.
Wir liefen raus.
„Und wie lief es“, fragte er ernst.
Ich schüttelte den Kopf und schaute auf den Boden. Es war still und keiner sonst stand im Gang der Schule.
„Was wirklich?“ Ich spürte sein Blick auf mir kleben.
„Nein!“, schrie ich und musste lachen. Ich hatte ein wirklich gutes Gefühl. Ich wusste alle Aufgaben und hoffte dass sie auch alle richtig gelöst waren.
Er lachte und warf mich in die Luft.
„Könnt ihr etwas leiser sein, bitte“, sagte unsere Mathelehrerin während sie umständlich ihren Kopf aus der Tür raus streckte.
Wir verließen immer noch glücklich das Schulgebäude.
Morgen würden wir die Arbeit zurückbekommen und ich hoffte, als der Bus angefahren kam, dass ich mich nicht zu früh gefreut hatte.  

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Sorry das ich so lange kein Kapitel mehr hochgeladen hab. Hatte nicht so viel Zeit. :-)
Wer noch ne Ideen für einen Wunsch hat, kann sie gerne in die Kommentare schreiben. :)
Votet und Folgt mir. :) <3
Nächstes Kapitel kommt bald.

Lysell <33

Hundert WünscheWhere stories live. Discover now