Kapitel 4

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Mit schnellen Schritten liefen wir die Straße entlang. Mittlerweile war mir wieder etwas wärmer geworden, was natürlich auch an Phil liegen könnte, der mit ein paar Zentimeter Entfernung neben mir her lief.
„Soll ich dich nach Hause bringen?“, fragte er mich und unterbrach so die peinliche Stille die zwischen uns herrschte.
Ich schaute ihn an, dann nickte ich und sah direkt danach wieder weg. Ich spürte dass sein Blick auf mir hängen blieb.
Im Augenwinkel beobachtete ich, wie er mit der Hand durch seine Haare fuhr und sie danach wieder in seine Jackentasche zurück steckte.
Ich war traurig, als wir in meine Straße einbogen. Gerne wäre ich noch Stunden so neben ihm hergelaufen. Auch wenn wir nichts redeten, seine Nähe genügte mir vollkommend um glücklich zu sein.
Fünf Minuten später standen wir vor meinem Haus. Es war schon fast dunkel und der Schnee der vorhin aus kleinen, fast schon unerkennbaren Flocken bestand, segelte jetzt in großen Wattebäuschen vom Himmel. Es war so kalt geworden, dass ich zitterte, obwohl ich es zu unterdrücken versuchte.
„Na dann“, er streifte mir eine Schneeflocke aus den Haaren, „schlaf gut und vielleicht sieht man sich ja mal wieder auf dem Weihnachtsmarkt.“
Bevor ich etwas sagen konnte, war er auch schon weitergelaufen. Ein paar Meter weiter drehte er sich noch einmal um, grinste frech. Dann bog er auch schon um die Nächste Ecke.
Freudestrahlend öffnete ich die Tür. Erst als ich sie wieder hinter mir schloss, begriff ich was da eben passiert war.
Ich, gerade ich, redete mit dem tollsten Jungen über meine Probleme und er verstand mich sogar.
Vor ein paar Tagen, hätte ich mir dass nie zu träumen gewagt. Er konnte sich sogar noch an mich erinnern, er wusste, dass ich diejenige vom Weihnachtsmarkt war. Schon allein dass lies mich vor Freude platzen.
Oben in meinem Zimmer, schmiss ich mich Rückwärts auf mein Bett und atmete einmal tief durch.
Ich streifte meine Stiefel ab und zog meine Jacke aus. Dann kuschelte ich mich mit meinen ohne mich umzuziehen in meine warme Decke.
‚Es ist schon lange her, dass ich so glücklich war‘, dachte ich mir und schloss müde meine Augen.
Dieser Tag bestätigte mir noch stärker, dass Phil der tollste Junge auf der ganzen Welt war.

„Dass ist aber auch schon lange her, dass ich dich wecken musste.“ Ich öffnete meine Augen.
Toni stand mit vor der Brust verschränkten Armen vor mir. Ich lächelte ihn an.
Ruckartig zog er mir meine Decke weg. Ich konnte nur ein leises Stöhnen von mir geben.
„Wo warst du gestern Abend so lange und warum hast du deine Straßenkleider an?“, fragte er mich misstrauisch.
„Ich war bei Moritz und war danach so müde, dass ich mich nicht mehr umziehen konnte.“ Langsam richtete ich mich auf, gähnte lautstark vor mich hin und rieb mir in den Augen. So gut wie diese Nacht hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen.
Es stimmt, früher musste mich Toni oft wecken, weil ich jeden Abend aus Müdigkeit vergessen hatte, meinen Wecker zu stellen und die ganze Nacht seelenruhig ohne irgendwelche Gedanken schlafen konnte.
„Mama und Papa haben sich Sorgen gemacht.“ Er trottete langsam aus meinem Zimmer uns knallte die Tür hinter sich zu. Ich wusste was jetzt gleich von meinen Eltern kommen würde, Fragen über Fragen über Fragen. Ich hasste das.

Pünktlich wie immer kam ich mit dem Bus vor dem Schulgebäude an.
Ich hatte so gut wie keine Lust, sechs Schulstunden in dem muffigen Klassenzimmer rumzusitzen und das Geschwätz von irgendwelchen Lehrern, die ich nicht mochte, anzuhören.
Kurz bevor ich den Haupteingang betrat, sah ich Moritz der links von der Tür mit ein paar seiner Kumpels stand. Eine viertel Stunde hatte ich jetzt noch Zeit bevor der Unterricht begann, genau der richtige Zeitpunkt um Moritz von meinem Entschluss zu erzählen.
Ich lief einen Schritt auf die Clique zu, packte Moritz am Handgelenk und zog ihn beiseite.
„Kann ich kurz mit dir reden“, sagte ich und zog ihn als er zaghaft nickte zu dem kahlen Baum Mitten auf dem Pausenhof.
„Hör zu, ich kann verstehen dass dir das alles zu viel wird, mit der Kiste und den ganzen Erinnerungen an sie, aber…“, fing er an als ich stehen blieb, doch ich unterbrach in.
„Nein, ich will sie öffnen, vielleicht hilft es mir doch und ich kann so mit der ganzen Geschichte endlich abschließen.“ Ich lächelte.
Mit zusammengekniffenen Augenbrauen musterte er mich.
„Wie kommt es, dass du deine Meinung so schnell änderst, ich meine ich finde es ja gut, dass du diesen Schritt wagen willst, aber...“ Moritz schaute mich immer noch skeptisch an.
Ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen, er wusste nicht, dass ich Phil gern habe und um genau zu sein würde es ihn sowieso nicht interessieren.
„Mh…“, fing ich zögerlich an, „eine kleiner Elf hat es mir zu geflüstert.“ Ich musste schmunzeln. Für diese Antwort hätte ich glatt ein Oskar verdient.

Hundert WünscheWhere stories live. Discover now