Zwei

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Eigentlich bin ich kein Party-Mensch. Absolut nicht. Ganz im Gegensatz zu Amber, die deshalb auch sonst diejenige ist, die mich zu Partys schleppt. Kein Wunder also, dass der Abend für mich mehr als langweilig wurde. Nach etwa zwei Stunden habe ich den Gastgeber nur einmal zu Gesicht bekommen habe - und zwar als er sturzbesoffen bei dem improvisierten Wet-T-Shirt Contest eingestieg. Außerdem bin ich fast in Erbrochenes getreten, wurde von einem fremden Typen blöd angemacht - der sich anschließend vor Bill in Sicherheit bringen musste - und ich musste zusehen wie der Alkoholpegel meines Freundes in beängstigender Schnelligkeit stieg. Offensichtlich war meine Laune im Keller. Selbst nur mit einem einzigen Bier intus zwischen stockbesoffenen Jugendlichen zu sitzen war keine angenehme Angelegenheit, weshalb ich auch froh war, als ich Bill endlich von der feiernden Masse separieren und ihm beibringen konnte, dass wir nach Hause gehen sollten. Nur mit dem Spruch 'Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist' habe ich ihn dazu bekommen, dass er lallend einwilligte zu Gehen. Natürlich konnten wir nicht das Auto nehmen - wovon ich Bill auch erst überzeugen musste - denn er hat mindestens zwei Promille Alkohol im Blut und ich noch keinen Führerschein. Das ist auch der Grund, weshalb wir schließlich zu Fuß auf dem Weg zur nächsten Bushaltestelle sind. Ich habe mich bei meinem Freund untergehakt, damit dieser nicht zu sehr torkelt und am Ende vielleicht noch auf die Straße neben uns stürzt, meine hohen Schuhe habe ich mittlerweile in die Hand genommen und laufe barfuß über den steinigen Asphalt.
»Miena?«,lallt Bill an meiner Seite und sieht zu mir runter. Ich brumme nur fragend und erwidere den Blick, abwartend, was er jetzt schon wieder wollte. Zuletzt hatte er gemault, dass er Hunger hätte und pinkeln müsste.
»Sex?«,fragt er und ich kneife die Augen zusammen, während ich ihn mustere und versuche herauszufinden, ob er jetzt trotz des Alkohols einen Scherz macht oder ob er tatsächlich gerade danach gefragt hat.
Drei Sekunden vergehen, bevor Bills Lippen sich langsam zu einem dümmliches Grinsen verziehen und er zu lachen beginnt.
»Schau nich so belämmert, das war nur 'n Witz!«,nuschelt er lachend.
Ich rolle mit den Augen, erleichtert, dass es so weit zum Glück noch nicht ist.
Einige Minuten später, kommt zu meiner weiteren Erleichterung schon die Bushaltestelle in Sicht, die als Einziges beleuchtet ist in der Straße - die Laternen sind gerade schon ausgegangen.
Flimmernd sendet sie ihr bläuliches Licht zu uns herüber und genervt muss ich feststellen, dass sie nicht leer ist.
Drei andere Jungs sitzen auf der Bank in dem kleinen Wartehäuschen. Schon von Weitem kann ich ein paar Glasflaschen zu ihren Füßen entdecken.
Na super - noch mehr betrunkene Typen.
Seufzend schiebe ich Bill zur Haltestelle und bleibe mit ihm in gesundem Abstand zu den Anderen stehen, in der Hoffnung sie würden uns nicht einmal bemerken.
Jedoch hab ich da falsch gehofft.
Aus dem Augenwinkel merke ich wie einer der Jungs den Kopf in unsere Richtung dreht. Ich spüre seinen Blick auf meinem Körper und kralle meine Finger leicht in Bills Arm, da es mir unheimlich ist.
Dann blinzele ich an Bill vorbei zu den Jugendlichen, doch selbst als ich ihn sozusagen auf frischer Tat ertappe, wie er mich eingehend anstarrt, bringt ihn das nicht dazu aufzuhören. Ganz im Gegenteil. Nun schenkt er mir auch noch ein anzügliches Lächeln. Dabei erscheinen an seinen Wangen Grübchen, von denen ich weiß, dass Amber sie mehr als hinreißend gefunden hätte, genau wie seine schwarzen, etwas längeren Haare.
Doch mich ekelt er in diesem Moment einfach nur an, wie seine Augen meinen Körper abfahren, so als ob er sich jedes Detail einprägen wollen würde, von meinen nackten Füßen, über den Saum meines Kleides, bis hin zu meinen unordentlichen Haaren.
Deswegen dränge ich mich leicht gegen Bill, dessen Körper mich grad als Einziges noch von den Blicken des schwarzhaarigen Jungen abschirmt.
Bill scheint überrascht und legt einen Arm um meine Schultern. Die intensiven Musterungen der Anderen hat er bis jetzt noch nicht mitbekommen.
Dann schweifen seine Augen allerdings über den kleinen erleuchteten Fleck, bis er bei den Jugendlichen angelangt. Als er sieht, wohin ihre Blicke führen verfinstert sich sein Blick.
»Bill nic-«,will ich noch raunen, aber es ist schon zu spät.
»Was glaubst du wo du hinglotzt?«,lallt er dem Fremden entgegen, sichtlich verärgert.
Dieser lässt sich allerdings kein Stück einschüchtern, grinst stattdessen sogar und erwidert:»Auf den Arsch deiner kleinen Freundin.«
Mein Mund klappt auf, entsetzt über diese pure Grobschlächtigkeit und Respektlosigkeit.
Meine Finger krallen sich in Bills Shirt, von wo er sie aber mit Leichtigkeit löst und ein paar wackelige Schritte auf den Anderen zu macht, der daraufhin ebenfalls aufsteht. Zwar ist der Schwarzhaarige kleiner und ein wenig schmächtiger als Bill, aber offensichtlich nüchterner und damit wesentlich trittfester.
»Willst du Stress mit mir?«,knurrt Bill und ich beiße mir nervös auf die Unterlippe. Wenn die Beiden jetzt hier anfangen sich zu prügeln, weiß ich nicht was ich machen sollte. Die anderen Jungs, die noch auf der Bank sitzen, verfolgen das anrollende Spektakel nämlich sichtlich amüsiert und ich glaube kaum, dass sie eingreifen würden, würde es zu einer Schlägerei kommen.
»Was wenn ja?«,entgegnet der Fremde gelassen und breitet grinsend die Arme aus.
Bill zögert nicht, ehe er schon ausholt, um seinem Gegenüber einen Faustschlag zu erteilen.
Wäre er nicht betrunken, hätte der Schlag sicher gesessen, doch nun tritt der Andere gemächlich einen Schritt beiseite und weicht seinem Angreifer aus, der deswegen ein paar Meter nach vorn stolpert, bevor er sich wieder fängt.
»Du willst dich also schlagen?«,grinst er herausfordernd und hebt eine Augenbraue.
Bill richtet sich langsam wieder auf und schnaubt. »Zu gern.«
Beim nächsten Schlag kann er nur ganz knapp ausweichen.
»Tu dir nicht weh, Conner«,ruft einer der anderen Jungs lachend.
»Ich? Nie!«,lacht Conner zurück und weicht der nächsten Attacke von Bill aus.
»Bill hör auf, lass es gut sein!«,hebe ich endlich meine Stimme, kassiere dafür aber nur ein paar Blicke von den auf der Bank Verbliebenen.
Als Conner das nächste Mal ausweicht, packt er dabei Bills Schultern, als dieser taumelt und stößt ihn mit einer Wucht, die ich seinen schmächtigen Armen gar nicht zugetraut hätte, nach unten, sodass er ihm das Knie in den Magen rammen kann.
Meinem Freund entweicht ein Keuchen und er wird kurz von dem Schmerz in die Knie gezwungen.
»War das schon alles?«,spottet der Schwarzhaarige und verpasst Bill einen kurzen Tritt in die Rippen, der auch mich zusammenzucken lässt.
Ich weiß, dass ihn das noch mehr anspornt, aber ich kann nichts dagegen tun, ich fühle mich so unendlich hilflos.
»Bill!«,versuche ich es noch einmal flehend, doch er scheint mich gar nicht zu hören. Mit einem kurzen Aufschrei, stürzt er sich auf Conner, woraufhin die Beiden zu Boden gehen.
Statt sie davon abzuhalten sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, spornen die zwei Anderen die Kämpfenden nur an. Ich wippe von einem auf das andere Bein, die Hände zu Fäusten geballt. Ein schmerzhafter Knoten bildet sich in meiner Kehleund meine Gedanken rasen, doch ich kann mich nicht rühren.
Das ekelerregende Geräusch von knackenden Knöcheln und aufplatzender Haut begleitet die Prügelei der Beiden, während auch immer wieder ein schmerzverzerrtes Aufstöhnen zu vernehmen ist.
Conner, der sich mittlerweile auf Bill hat setzen können und ihn so am Boden hält, setzt zu einem letzten Schlag an. Dann steht er ohne ein Wort auf, putzt sich die Handflächen aneinander ab und kehrt zu seinen Freunden zurück.
Bill jedoch bleibt liegen.
»Bill«,kommt sein Name gehaucht über meine Lippen und als ich die Hand über den Mund lege muss ich feststellen, dass meine Wangen nass sind und meine Sicht beginnt zu verschwimmen.
Wie als hätte man einen Schalter umgelegt löse ich mich aus meiner Versteinerung und stürze zu Bill hinunter.
»Bill«,hauche ich erneut, diesmal wimmere ich ihn beinahe, als ich seinen Kopf auf meinen Schoß ziehe und ihm sorgsam die Haarsträhnen aus der Stirn streiche. Aus mehreren Stellen in seinem Gesicht quillt dunkles Blut und sucht sich seinen Weg hinunter auf den grauen Stein des Bürgersteigs.
Ein Schluchzen erfasst meine Schultern und meine Sicht verschwimmt, während sich in meinem Bauch Übelkeit zusammenbraut. Nicht nur wegen meiner Angst und dem Schock, sondern auch wegen des glänzenden tiefroten Blutes, welches nun auch an meinen Fingern klebt.
Das Einzige was mir gerade noch Sicherheit darüber verschafft, dass Bill noch am Leben ist, ist seine Brust, die sich unter seinem schwarzen Shirt ganz sachte hebt und senkt.
»Lass uns verschwinden«,höre ich einen der Jungs eingeschüchtert sagen.
»Nein, erst will ich noch meinen Gewinn«,widerspricht Conner.
»Deinen was?«,zischt ein Anderer verwirrt.
»Sie«
Bis jetzt sind die Stimmen nur wie durch Watte zu mir durchgedrungen, doch als Conner die Gewinn-Beschlagnahmung ankündigt, die anscheinend aus mir besteht, fährt mein Kopf herum und meine blauen Augen fixieren den Jungen kalt.
»Wag es dir nicht näher zu kommen«,knurre ich ihm mit tränenbelegter Stimme entgegen.
»Was wenn doch?«,fragt Conner provozierend wie eh und je und grinst mich breit an.
»Du wirst es bereuen.«
Ich denke nicht nach, als ich diese Worte spreche, sie kommen einfach von irgendwo her, direkt über meine Lippen - hart, kalt und drohend.
Einen Moment sieht mich der Junge ausdruckslos an, dann beginnt er zu lachen. Ein spottendes Lachen: Er nimmt mich nicht ernst.
»Dass ich nicht lache!«,gibt er fies grinsend von sich und kommt die letzten paar Schritte zu mir und Bill, der immer noch ohnmächtig ist, herüber.
Meine Wut steigt ins Unermessliche.
»Ich hab gesagt, komm nicht näher
Die letzten Worte kreische ich. Ein hohes Kreischen, tief aus meiner Kehle, was mir selbst durch Mark und Bein geht. Meine Hände strecken sich instinktiv in die Richtung der Jungs - normalerweise eine verteidigende Geste, doch nun liegt in ihr die Energie eines Angriffs.
Diese automatische, instinktive Reaktion verblüfft mich genug, um mich kurz aus der Trance zu reißen und mich die folgenden Sekunden wie in Zeitlupe erleben zu lassen.
Wie Conners Gesicht sich erst zu einer verwirrten und schließlich verängstigten Miene wendet. Wie die tiefroten Blitze von meinen Fingern aus durch die Luft flimmern direkt zu den fremden Jungs. Wie sie sie berühren und in sie eindringen, um ihre Adern wie leuchtendes Lauffeuer zu durchfahren. Wie diese gleichzeitig zu Boden gehen, zuckend, mit schreckenserfüllten Gesichtern und sich auf dem Boden winden.
Die Leuchtstoffröhren am Wartehäuschen explodieren.
Der Knall reißt mich aus meiner Starre und ich lasse augenblicklich die Hände fallen, die Kontrolle über meinen Körper zurückerlangt.
Ohne das Licht der Haltestelle ist es nun stockduster auf der Straße.
Nur die Adern der drei am Boden liegenden Jungen leuchten noch pulsierend unter deren transparenter Haut, während das Feuer in ihnen langsam erlischt.

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now