Vierzehn

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Mein Schlaf ist unruhig, aber tief und gefüllt mit vielen wirren Träumen.
Als ich die Augen aufschlage, dröhnt mein Kopf und mein ganzer Körper sträubt sich dagegen. Dennoch blicke ich mich blinzelnd im Zimmer um. Meine Decke muss ich im Schlaf weggestrampelt haben, denn sie baumelt am Fußende halb von meiner Matratze herunter.
Als ich Yesko am Fenster auf meinem Schreibtischstuhl entdecke, richte ich mich stirnrunzelnd auf und stütze mich mit den Unterarmen hinter mir ab.
»Yesko?«,hebe ich meine Stimme, woraufhin mein Bruder den Kopf zu mir wendet. Fast etwas erschrocken stelle ich fest, dass seine Augen rot gerändert sind, so als hätte er geweint und unter ihnen liegen die tiefen Schatten einer schlaflosen Nacht.
»Du hast lange geschlafen«,entgegnet er trocken.
»Wie l-«,setze ich an, breche aber ab, als ich auf meinem Wecker die Uhrzeit selbst ablese.
»Halb Drei?«,stelle ich entsetzt fest und sehe wieder zu ihm,»Warum hast du mich nicht geweckt?«
»Ich dachte du könntest den Schlaf gebrauchen.«
Seine so veränderte Stimme macht mir Angst.
Als ich mich langsam aufsetze, fällt mir auf, dass ich immer noch meine Straßenkleidung von gestern trage.
»Warum trage ich noch meine Sachen?«,frage ich immer noch total verwirrt und versuche mich zu entsinnen, wie ich ins Bett gegangen bin, doch ich habe keinen blassen Schimmer.
»Wir dachten uns schon, dass du dich nicht erinnern würdest«,murmelt Yesko und ich werfe hilflos die Arme in die Luft.
»An was erinnern, rede mit mir!«,meine ich lauter und sehe ihn fordernd an. Seine verwirrenden Sätze sind zu viel für meinen vernebelten Kopf.
»Mum ist tot«,sagt er nach ein paar stummen Sekunden, in denen er mich mustert.
Die Worte sind fast wie ein Schlüssel und auf einmal stürzen die Erinnerungen wieder auf mich ein wie eine Flutwelle. Mit geöffneter Kinnlade lasse ich mich zurück ins Kissen fallen, während eine meiner Hände sich in meine Haare gräbt und sich in die braunen Strähnen krallt, während ich versuche, die vielen Bilder zu ordnen.
Und es wird fließen, fließen, bis der große Felsbrocken in Sicht kommt.
War es das was Großtante Edna meinte? Der Tod unserer Mutter?
»Ich glaube das immer noch nicht«,murmelt Yesko, so verletzt wie ich es schon lange nicht mehr, vielleicht auch noch nie gehört habe.
»Aber ich hab sie gesehen.«
Seine Stimme zittert nicht, weist aber dennoch einen tiefen Schmerz auf.
»Wo ist sie?«,frage ich leise und sehe zu meinem Bruder.
»Unten, Dad hat sich geweigert einen Krankenwagen zu rufen oder auch nur die Polizei zu verständigen«,erwidert er, nun leicht aufgebracht und ich sehe wie er die Hände zu Fäusten ballt.
»Aber warum?«,hake ich entsetzt nach und setze mich wieder langsam auf.
»Ich weiß es nicht, er sagte nur wir würden das nicht verstehen und wir wüssten nicht, um was es hier geht«,knurrt er und sieht zu mir. Ich senke beschämt den Blick auf meine Hände.
»Ich glaube ich ... weiß es«,murmele ich. Sofort wird Yesko hellhörig.
»Und was, was ist es Miena? Wer war es?«,drängt er. Tränen benetzen wieder meine Augen und ich muss mich zusammenreißen, um das auszusprechen, was ich glaube.
»Es geht um mich«,meine ich leise und sehe zögerlich zu Yesko,»Sie wollten mich.«
Einen Moment schweigt er mit einer ungläubigen Miene.
»Wer wollte dich?«,hakt er dann nach.
»Ich weiß es nicht, ich weiß nicht wer sie waren, es waren Drei, drei Männer«,antworte ich und kann nun doch nicht verhindern, dass meine Stimme nervös zittert,»Es ist meine Schuld, sie haben sie meinetwegen umgebracht.«
Ich vergrabe das Gesicht in meinen Händen. Die Erkenntnis auszusprechen ist schwer, auch wenn es mir gestern schon klar war. Ich erwarte, dass Yesko wütend wird, dass er mich anschreit, dass er einfach geht, doch nichts davon geschieht. Ich höre wie er aufsteht und spüre wie er sich neben mich setzt, ehe sich vertraute Arme um meinen Körper legen und mich zu ihm heran ziehen. Das Ganze entlockt mir ein Schluchzen und ich lege die Arme um seinen Hals, um mein Gesicht an seiner Schulter zu verbergen. Ich merke, wie auch er sein Gesicht in meinen Haaren vergräbt, während mein Rücken leicht unter meinen Schluchzern zittert. Seelenruhig fährt Yeskos Hand in beruhigenden Bahnen meinen Rückgrat auf und ab, während er mich an sich gezogen hält. Ich kann allerdings weder seine vertraute Nähe, noch seine tröstenden Gesten genießen, denn ich trage das starke Gefühl in mir, dass ich das nicht verdient habe.
»Warum tust du das?«,frage ich schließlich leise,»Warum hasst du mich nicht?«
»Was meinst du?«,entgegnet Yesko ruhig. Ich winde mich aus seinem engen Griff, um ihn anzusehen, während ich mir nebensächlich die Tränen wegwische.
»Du weißt was ich meine, ich bin Schuld das Mum tot ist, warum bist du nicht wütend?«
Ich verstehe es nicht, da ich für meinen Teil mehr als wütend auf mich bin. Yesko sieht mich sanft an. »Vielleicht waren sie hier für dich, aber ich würde nicht sagen, dass du Schuld bist, denn du kannst nichts dafür. Und du bist trotzdem meine Schwester«,erklärt er und ich schmunzele traurig, ehe ich die Arme wieder um seinen Hals lege und ihn an mich ziehe. Ein leichtes Seufzen verlässt meine Kehle als er die feste Umarmung erwidert. Ich vergrabe eine Hand sanft in seinen Locken und atme tief durch, bevor ich mich von ihm löse, um aufzustehen und ihm eine Hand hinzuhalten.
»Gehen wir runter? Ich will sie sehen.«

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now