Neunundzwanzig

243 26 6
                                    

»Full House«
Keith lehnt sich sichtlich zufrieden zurück und sieht abwartend zu Nettles, die ihm gegenüber sitzt. Ihr stetiges Pokerface wird nun von einem Zucken ihres Mundwinkels durchbrochen. Ihr Blick legt sich auf ihren dunkelblonden Gegenspieler, während ihre schlanken Finger ihre eigenen Karten offen auf dem Tisch ausbreiten.
»Straight Flush«,entgegnet sie, nun ein breites Grinsen auf den Lippen, während sie im Sitzen eine Verbeugung andeutet. Keith blickt sie nur völlig baff an.
Ich schüttle leicht grinsend den Kopf und wende meinen Blick wieder Willas zu, der neben mir in einem Sessel vor dem Kamin sitzt und den beiden ebenfalls amüsiert zugesehen hatte.
Wir sind schon vor einigen Runden ausgestiegen. Ich, da ich einfach nicht schlau aus dem Spiel wurde und Willas, weil er scheinbar oft genug von seiner jüngeren Schwester besiegt worden war. Keith versucht sein Glück noch immer, bis jetzt allerdings weniger erfolgreich.
Ich teile ein Schmunzeln mit dem Jungen neben mir, ehe ich die Tasse heiße Schokolade in meinen Händen zu den Lippen hebe und den Blick kurz zum Kaminfeuer wende. Es erinnert mich an die Lagerfeuer und doch ist es drinnen mit einer heißen Schokolade und einem bequemen Sofa schon wieder ein ganz anderes Gefühl.
Am Tisch diskutiert Keith derweile mit Nettles, die grinsend die Karten mischt, über das Spiel. »Wie ist sie so gut geworden?«,frage ich Willas schmunzelnd, welcher einen kurzen Blick zu dem Mädchen hinüberwirft, ehe sich seine dunkelbraunen Augen wieder auf mich richten.
»Ich habe es früher immer mit einem Freund gespielt und irgendwann wollte sie mitspielen«,erklärt er,»Sie ist scheinbar ein Naturtalent, sobald sie es verstanden hatte, hat sie uns nur noch abgezogen.«
Ein Schmunzeln huscht über seine schmalen Lippen.
Seine Haut leuchtet in einem warmen Braun im flackernden Schein des Lagerfeuers.
»Ich hab das Gefühl es geht um mich«,kommt von Nettles, ehe sie auch schon mit einem Grinsen neben mir auf die Couch plumpst. Ich schiebe schmunzelnd etwas Decke von meinen Beinen zu ihr hinüber, sodass sie mit darunter schlüpfen kann, was sie auch tut. Keith lässt sich in dem zweiten Sessel nieder, offensichtlich nicht zufrieden mit seinen zahlreichen Niederlagen heute. Der Regen hat auch heute den ganzen Tag nicht nachgelassen, sodass wir wieder unsere Zeit drinnen verbracht haben, beinahe mit dem gleichen Ablauf wie gestern. Frühstück, Karten- und Brettspiele, Abendessen, wieder Spiele.
Prinzipiell langweilig und doch genieße ich die Zeit, zumal Willas und Nettles nicht die miesesten Menschen sind mit denen man Zeit verbringen kann. Nettles scheint immer gut drauf zu sein und strahlt den ganzen Tag, so als wäre sie eine kleine Sonne für sich allein.
Eigentlich hätte mich eine solch überoptimistische Persönlichkeit vermutlich genervt, doch irgendwas an ihr bringt einen immer zum Lächeln.
Diese Wirkung hab ich auch bei Willas erkennen können. Er scheint im Gegensatz zu seiner Schwester ruhig und realistisch veranlagt, doch auch er lässt sich oftmals von ihrem Lächeln anstecken. Die Beiden scheinen eine enge Beziehung zu haben, was mich immer wieder an Yesko erinnert und es bringt mich um nicht zu wissen wann ich ihn wieder sehen werde.
Oder ob ich ihn wieder sehen werde.

»Keith, runter«
Schmerzhaft graben sich Finger in meinen Arm, doch der Schmerz rückt in den Hintergrund, als ich die Hitze durch meinen Körper rauschen spüre. Ein ohrenbetäubender Schrei, der Druck an meinem Hals durch die Klinge verschwindet. Ich sehe in die erschrockenen Gesichter der Lyceray, dann explodiert mein Blickfeld mit roten Blitzen.
Andere Schreie lösen meinen ab, schmerzerfüllte Schreie.
Vor meinen Augen wird alles schwarz, das Kreischen hingegen schwillt an, dröhnt und hallt in meinen Ohren. Ich will sie mir zuhalten, doch ich spüre meinen Körper nicht mehr, höre nur noch die verzweifelten Hilferufe, während der Geruch von Blut meine Kehle zuschnürt.
Abrupt bricht der Lärm ab, die Schwärze bleibt.
Heißer Atem streift meinen Nacken.
»Denkst du, du kommst damit einfach so durch?«

Keuchend fahre ich von der Matratze hoch und drehe mich automatisch herum.
Hinter mir befindet sich allerdings nur das kunstvoll geschnitzte Kopfteil des hölzernen Bettgestells. Durch die mit Regentropfen benetzte Glasscheibe des Fensters darüber dringt spärliches Mondlicht. Die dichte Wolkendecke ist aufgerissen und zeigt Teile des Himmels, von dem nur noch vereinzelte Tropfen fallen.
Conners Worte hallen noch immer in meinen Ohren. Meine Hand fährt zu meinem Nacken und ich reibe über meine Haut, um das unangenehme Gefühl des Atems loszuwerden, während ich gleichzeitig versuche meine eigene Atmung zu beruhigen. Ich ziehe die Knie an den Körper und lege die Arme darauf ab, um den Kopf darauf sinken zu lassen.
Nur ein Traum.
Das ist nicht ganz die Wahrheit, doch es hilft ein wenig mich zu beruhigen.
Ich spüre wie Keith neben mir sich regt, doch scheinbar nicht wach wird. Ich drehe den Kopf und betrachte wie sein Brustkorb sich unter der Decke sanft hebt und senkt.
Ob er auch so etwas träumt?
Ich blicke hinüber zu der Uhr auf der Kommode und erkenne mit Mühe, dass es kurz vor um Eins ist. Ich weiß ganz genau, dass ich nicht gleich wieder einschlafen kann, dafür ist das Gefühl des Traumes noch zu präsent und würde im Schlaf wiederkehren. Deswegen schiebe ich mich aus dem Bett, vorsichtig, um Keith nicht zu wecken und tappe in Richtung Tür. Auf dem Weg schnappe ich mir noch einen Pullover, den ich über das dünne Shirt, das ich trage, ziehen kann und schlüpfe dann leise aus dem Zimmer.
In der nächtlichen Stille des Hauses kommt es mir vor wie ein Hammerschlag, als ich die Tür ins Schloss ziehe. Im Flur hier oben befindet sich kein Fenster, weshalb ich durch die Dunkelheit tappe und mich dabei auf meine Erinnerung verlasse. Der Holzboden ist kühl unter meinen Füßen, aber irgendwie tut es gut.
Bei der Treppe angekommen kann ich langsam leichte Silhouetten ausmachen durch das Licht das durch die verglaste Haustür unten fällt.
Vorsichtig steige ich die Treppen hinunter in den Hausflur.
Das Wohnzimmer ist völlig dunkel, so wie der Rest des Hauses scheinbar. Ich löse den festen Griff um meine Taille, um den Telefonhörer aus der Gabel zu nehmen und zu wählen, ehe ich ihn mir gegens Ohr drücke. Das Tuten ist ein unangenehmes Geräusch und es hört nicht auf.
Wahrscheinlich schläft er, es ist mitten in der Nacht, warum probiere ich es überhaupt?
Als ich gerade aufhängen will ertönt ein Knacken und ich drücke ihn mir schnell wieder gegen mein Ohr.
»Yesko?«,frage ich hoffnungsvoll und wickle mir nervös das Telefonkabel um den Finger.
Auf der anderen Seite raschelt es, ehe seine vertraute Stimme zu mir durchdringt.
»Miena?«
Meine Mundwinkel zucken leicht. »Ja«,antworte ich, schwach lächelnd.
»Hey«,erwidert Yesko und höre das leichte Grinsen aus seiner Stimme heraus. Mir entweicht ein ersticktes Lachen, aber gleichzeitig spüre ich wie mir Tränen aufsteigen. Ich weiß nicht mal warum. »Hey«
Meine Stimme klingt schwach, doch ich lächele in die Dunkelheit.
»Bist du allein?«,fragt er.
»Ja, alle sind oben und schlafen«,entgegne ich leise und lasse mich dann auf das Parkett sinken, den Rücken an die Wand gelehnt,»Warst du noch wach oder hab ich dich geweckt?«
»Ich war noch wach, ich bin noch nicht lang zuhause«,antwortet er und ich hebe die Augenbrauen. »Wo warst du so spät denn noch?«,hake ich nach. Er ist eigentlich nicht der Typ für Partys.
Die Leitung knistert, als wäre die Verbindung schlecht. Ich hoffe sie hält durch.
»Mit Ella aus«,entgegnet er und meine Augenbrauen schieben sich noch weiter in die Höhe.
»Sag bloß«,grinse ich breit, deutliche Freude darüber in der Stimme.
»Ich wusste, dass du so reagieren würdest«,höre ich nur amüsiert von Yesko, übergehe es aber völlig. »Ist es schon offiziell?«,quetsche ich ihn stattdessen ungeduldig aus, das Thema eine willkommene Ablenkung.
Ich kann förmlich spüren wie er mit den Augen rollt. »Noch lange nicht«,erwidert er aber nur schmunzelnd.
Ich lächele weiter in die Dunkelheit hinein.
»Wie sehen die Dinge sonst zuhause so aus?«,frage ich dann, während mein Lächeln nachlässt. Yesko seufzt.
»Zu ruhig und zu leer. Es ist bei weitem nicht das gleiche. Wie auch.«
Ich beiße mir leicht auf die Unterlippe.
»Was war denn nun die ganze Woche los?«,fragt er dann nach und ich fasse die Ereignisse seit unserem ersten Telefonat grob zusammen. Auf die Geschehnisse in der Lagerhalle gehe ich nicht genauer ein. Zu frisch sind noch die Erinnerungen an den Traum, welcher leider einer zu sein scheint den man nicht zehn Minuten nach dem Aufwachen vergessen hat.
»Ihr seid jetzt also ganz auf euch allein gestellt?«,wiederholt Yesko am Ende die Hauptwendung unserer Situation. »Wir sind immer noch zu zweit«,widerspreche ich, obwohl ich genau weiß, was er meint. Er seufzt nur.
»Was ist mit Amber? Hast du ihr die Wahrheit erzählt?«,hake ich dann nach.
Nach kurzem Zögern füge ich noch leiser hinzu: »Und Bill?«
»Amber hatte es sich schon zur Hälfte selbst zusammen gereimt, den Rest hab ich ihr erzählt. Bill hat einige Tage stündlich angerufen - mich und dich - nachdem er gehört hat, dass du verschwunden bist, aber ich hab ihm nichts erzählt. Als er dann vor unserer Haustür aufgetaucht ist und angefangen hat Sturm zu klingeln hat Dad ihn weggejagt, obwohl er überraschend hartnäckig war. Seitdem hab ich von ihm nichts gehört«,erklärt er und ich nehme das ganze stumm in mich auf. Es tut weh das zu hören.
Meine Stimme klingt erschöpft, als ich antworte. »Sag Amber, dass es mir gut geht. Und, dass das ganze nicht halb so cool ist wie sie wahrscheinlich denkt«,meine ich dann leise und am Ende huscht kurz ein schwaches Lächeln über meine Lippen.
»Geht es dir wirklich gut?«,kommt von Yesko zurück, fast ein wenig fordernd, so als wolle er darauf nun eine klare Antwort.
Mein Magen dreht sich um.
Denkst du wirklich du kommst damit einfach durch?
In meinem Hals bildet sich ein Knoten und meine Finger spielen nervös am Saum des Pulloverärmels.
»Miena?«
Seine sanfte Stimme entlockt mir ein ersticktes Geräusch, eine Mischung von Schluchzen und Schnauben. Ich ziehe die nackten Beine eng an meinen Körper.
»Nein«,erwidere ich und es klingt noch so viel schwächer als in meinem Kopf.
»Nein«,wiederhole ich leiser, während ich den Kopf in den Nacken lege, um die Tränen zurückzuhalten, die sich wieder in meine Augen gedrängt haben.
Ich will es ihm erzählen, aber ich kann nicht. Er ist zu gut, ich will nicht, dass er so ein Bild von mir hat. Ich will dieses Bild selbst nicht haben.
»Was ist noch passiert?«,fragt Yesko ruhig, so als könnte er den Kampf in mir so deutlich sehen, wie Tinte auf Papier.
Ein Schluchzen bahnt sich den Weg durch meine zusammengepressten Lippen.
»Miena«
»Ich hab sie umgebracht«,flüstere ich fast tonlos, so als würde es laut aussprechen noch schlimmer machen, als ohnehin schon. Die sich aufdrängenden Schluchzer versuche ich so gut es geht herunterzuschlucken, doch das bewirkt eher das Gegenteil.
»Wen?«,gibt Yesko zurück. Meine Kehle ist so eng.
»Die Lyceray in der Lagerhalle. Drei...auch den der Mum getötet hat. Dadurch sind wir entkommen«,erkläre ich und meine zitternde Stimme bricht mehrmals wegen aufkommender Schluchzer.
»Miena, atme«,weist mich Yesko an. Ein Schluchzer entflieht mir, doch ich reiße mich zusammen und zwinge mich dann tief durchzuatmen. Es tut gut, aber es hilft nicht für lange, da es die Gedanken nicht vertreiben kann.
»Es tut mir leid, dass du das tun musstest«,meint Yesko leise, aber so sanft wie immer. Ich schweige, da ich nicht weiß was ich dazu sagen soll. Ja, mir auch?
Meine Brust bebt angestrengt und mein Atem ist immer noch unregelmäßig durch den plötzlichen Heulkrampf, mit dem ich noch immer kämpfe.
»Du weißt, dass es nicht deine Schuld ist oder?«,fügt er in mein Schweigen hinzu.
Weiß ich das?
»Conner war da«,murmele ich statt zu antworten,»Der, der sich mit Bill geprügelt hat.«
»Aber wie?«,erwidert Yesko. Ich weiß, dass es ihm missfällt wie ich seine Frage übergehe, doch er sagt auch nichts dazu.
»Sie haben ihn rekrutiert schätze ich, im Krankenhaus. Aus der Lagerhalle ist er entkommen.«
»Ich wünschte ich könnte bei dir sein«,sagt er nach einigen stummen Sekunden. Ich schüttele leicht den Kopf. »Sei froh, dass du es nicht bist«,murmele ich und stütze den Kopf in die Hand. Tatsächlich wünsche ich mir Yesko nicht hier. Er sollte das nicht auch noch durchmachen. Mein Atem hat sich etwas beruhigt, doch meine Brust bebt noch immer unkontrolliert. Doch ich spüre bereits das stumpfe Gefühl zurückkommen, dass ich mir in den letzten Tagen angeeignet zu haben scheine. Ich sollte vermutlich langsam das Gespräch beenden, doch ich bringe es nicht über mich mit dem Wissen, dass es wahrscheinlich wieder der letzte Kontakt mit ihm für eine Weile sein wird.
»Erzähl mir irgendwas«,murmele ich ins Telefon und fahre mir mit dem Pulloverärmel übers Gesicht, ehe ich meine Gliedmaßen nah an meinen Körper ziehe.
Ich höre wie Yesko am anderen Ende seine Position verändert.
»Was willst du hören?«,fragt er dann sanft.
»Irgendwas«,entgegne ich allerdings nur,»Was hast du mit Ella gemacht?«
Und Yesko erzählt, ohne weiter nachzuhaken.
Ich lausche seinen Worten stumm, hin und wieder ein leichtes Lächeln auf den Lippen, ab und zu muss ich sogar leicht auflachen. Auch als er alles von seinem Date mit Ella erzählt hat spricht er einfach weiter und ich werfe ab und zu ein Kommentar ein. Die Themen sind zufällig, banal, doch sie lassen mich den Rest wirklich für ein paar Minuten vergessen.
Irgendwann wird Yeskos Stimme müde und ich spüre die Erschöpfung auch in meinen Körper zurückkriechen. Außerdem wird es nach einer halben Stunde auf dem Holzboden auch ziemlich kalt.
»Ich versuche dich so bald wie möglich wieder anzurufen«,meine ich, den Blick auf meine Knie gerichtet. Die Wunden von den Glasscherben sind mittlerweile wieder zugewachsen, doch das Gewebe ist noch geziert von frischen, blass rosafarbenen Narben.
»Wann wird so bald wie möglich sein?«,hakt Yesko nach. Ich beiße mir leicht auf die Unterlippe.
»Der Regen hat aufgehört, vielleicht werden wir morgen schon hier losmachen. Ich weiß nicht wann ich wieder ein Telefon finden kann«,erwidere ich ehrlich und vom anderen Ende kommt ein leichtes Seufzen. »Pass auf dich auf«,murmelt Yesko schlicht, aber ernst.
»Ich versuchs«,entgegne ich nur.
»Ich hab dich lieb«
»Ich dich auch, bis dann«
»Bis dann«,murmelt er, dann ertönt das Freizeichen.
Seufzend erhebe ich mich und hänge den Telefonhörer in die Gabel.
Ich wende mich gerade zum Gehen, als ich aus dem Augenwinkel eine Gestalt wahrnehme.
Mein Kopf zuckt in die Richtung und mein Herz bleibt einen Moment stehen.
Im Türrahmen der halbgeöffneten Haustür steht Willas und blickt mich an.
Ich bilde mir ein meinen Herzschlag zu hören und meine Beine werden schwach unter mir. Ein schlechtes Gefühl erfüllt mich und schnürt mir die Kehle erneut zu.
»Ich denke wir sollten reden.«

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt