Sechsunddreißig

204 25 5
                                    

Stumpf lasse ich mich zurück auf den Hintern sinken und starre auf den dunklen Fleck.
Keith hat die Augen geschlossen. Auf seinem Gesicht zeichnet sich eine angespannte Miene ab und seine Brust hebt sich unregelmäßig. Seine blutverschmierte Hand liegt zwischen uns in seinem Schoß.
Als ich schließlich den Mut aufbringe, rutsche ich um ihn herum und schiebe ihm vorsichtig das Hemd von der verletzten Schulter. Seine Atmung stockt und er brummt, als ich auch das weiße Shirt anhebe und zur Seite schiebe.
Darunter ist nicht viel mehr zu sehen als Blut. Ich spüre das altbekannte Rumoren meines Magens, aber ich sehe nicht weg. Stattdessen entdecke ich die Schusswunde nah bei seinem Nacken über dem Ende des Schlüsselbeins.
Nur wenige Zentimeter und die Kugel hätte seine Wirbelsäule verletzen können, von einem möglichen Kopfschuss ganz zu schweigen.
Dunkles Blut quillt aus der Wunde und vergrößert den Fleck, der sich langsam einen Weg seinen Rücken hinunter bahnt.
»Wie sieht es aus?«,fragt Keith. Er hält komplett still unter meiner Hand.
»Scheiße«,entgegne ich trocken und er lacht schwach auf. Ich hingegen kann mich nicht einmal zu einem Schmunzeln durchringen.
»Was soll ich machen?«,frage ich stattdessen leise nach Anweisungen.
Keith versucht den Kopf zu drehen, um die Wunde zu sehen, zuckt allerdings vor Schmerz zurück. »Streifschuss oder Steckschuss?«,presst er stattdessen hervor.
Ich versuche eine bessere Sicht darauf zu bekommen, aber eindeutig erkennen kann ich es dennoch nicht.
»Ich bin mir nicht sicher«,entgegne ich,»Streifschuss vermutlich, aber es ist tief.«
Der Junge stöhnt leise, als ich das Shirt ein wenig weiter wegziehe.
»Blutung stoppen«,antwortet er auf meine ursprüngliche Frage.
Wir haben nichts, um die Blutung zu stoppen.
Ich beginne bereits meine Jacke auszuziehen, um mein Shirt zu benutzen, aber er hält mich zurück.
»Benutz das«,entgegnet er und streift sich mit verzerrtem Gesicht das Hemd von den Armen. Ich betrachte ihn einen Moment skeptisch, nehme dann allerdings das Kleidungsstück. »Das wird nicht reichen«,murmele ich und benutze das Messer, das ich zum Glück in meinem Hosenbund hatte, als wir aus dem Auto gestiegen sind, um den Stoff am Saum unter den Ärmeln anzuschneiden und die untere Hälfte abzureißen. Diese reiße ich wiederum in die Hälfte und lege den gefalteten Stoff vorsichtig auf die Wunde. Keith zieht scharf die Luft ein.
Ich merke, wie er den Arm der verletzten Seite hängen lässt. Den verbleibenden Streifen der Ärmel lege ich beiseite - vielleicht kann man daraus eine Armschlinge improvisieren. Auf die Wunde übe ich unterdessen leichten Druck aus.
Während ich die Blutung versuche zu stillen schweigen wir. Über das vorgefallene gibt es nicht viel zu sagen, wir wissen beide in was für eine Lage uns das alles bringt. Ich versuche den Gedanken daran allerdings zu vermeiden.
Der Stofffetzen in meiner Hand ist beinahe völlig durchnässt, als die Blutung endlich schwächer zu werden scheint. Ich benutze eine halbwegs trockene Ecke, um die Haut außen herum vorsichtig zu säubern, dann werfe ich den Stoff beiseite. Meine Hände sind voll von Keiths Blut. Der verbleibende Stoff seines Hemds würde nicht mehr für einen Verband reichen, weshalb ich schließlich doch noch den Saum meines Shirts abschneide, um ein langes Band herauszureißen. Die Überbleibsel des karierten Stoffs benutze ich als Kompresse und wickle den langen Streifen so um seinen Oberkörper, dass er das ganze an Ort und Stelle und die Wunde verdeckt hält. Die ganze Prozedur ist aufwendig und umständlich. Wir sitzen so lange auf dem Waldboden, dass ich mir zwischendurch Sorgen mache, dass wir gleich hier entdeckt werden würden. Ich bezweifle nicht, dass der Tankstellenwärter zu den Lyceray gehörte und sogleich Verstärkung angefordert hat. Deswegen helfe ich Keith auch direkt auf die Beine, nachdem ich den improvisierten Verband befestigt habe. Er stöhnt leicht beim aufstehen und presst den Arm der verletzten Seite an seine Mitte. Ich schnappe mir die Ärmel, die ich zuvor beiseite gelegt habe und verknote sie wie zuvor beabsichtigt. Die Länge funktioniert gut, sodass er den Arm entspannt in der Schlaufe ablegen kann.
»Denkst du du schaffst das?«,frage ich gedämpft, bevor wir uns wieder auf den Weg machen.
»Muss ich doch, oder?«,zitiert er mich indirekt und schmunzelt schwach, ehe er sich abwendet um weiterzugehen.

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now