Vierundzwanzig

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»Wir haben nur noch wenig Verpflegung«,argumentiere ich murmelnd.
Die letzten beiden Tage sind wir Orte großzügig umgangen und haben nur Straßen überquert, bei denen es sich nicht vermeiden ließ. Nun stehen wir im Dickicht in der Nähe einer Tankstelle. Wir könnten bei Lakeport sein, doch ich bin mir nicht sicher. Kartenlesen ist noch nicht mein Spezialgebiet.
»Aber es hinterlässt Spuren«,gibt Keith ein Gegenargument.
»Wir wären gleich wieder raus. Abgesehen davon ist hier niemand, wir würden nicht auffallen.«
Die Umgebung ist wirklich ein wenig ausgestorben, da wir noch außerhalb der scheinbar kleinen Stadt sind.
Keith scheint die Situation abzuwägen.
»Und wir haben noch genug Geld«,füge ich hinzu und sehe den großen Jungen abwartend an.
Wir haben vorgestern schon festgestellt, dass Alysanne noch eine relativ hohe Summe an Geld in dem Rucksack hatte.
Der Junge seufzt leicht.
»Okay, aber schnell«,murmelt er und läuft auf das Tankstellenhäuschen zu, während er sich die Kapuze seines Pullovers über den Kopf zieht.
Ich tue es ihm gleich und vergrabe die Hände in den Taschen meiner Jacke, während ich ihm folge. Weder an einer Zapfsäule, noch im Inneren des Häuschens sind Menschen zu sehen, ausgenommen des Verkäufers.
Ein kleines Glöckchen über der Tür klingt in einem hellen Ton, als wir den Laden betreten und ein zweites Mal, als die Tür wieder ins Schloss fällt. Der Mann an der Kasse ist noch jung, kaum älter als wir, und lehnt gelangweilt an der Theke, sein Handy in der Hand.
Es überkommt mich ein starkes Bedürfnis Yesko anzurufen.
Als wir hereinkommen sieht er kaum auf und spielt einfach schweigend weiter an dem Gerät herum. Keith und ich werfen uns einen kurzen Blick zu, ehe wir durch die Reihen schlendern.
Ich lade mir ein paar Packungen von haltbareren Lebensmitteln auf die Arme. Die Verlockung Süßigkeiten zu kaufen ist sehr groß und einer Tafel Schokolade kann ich dann doch nicht widersprechen.
Keith wirft mir einen Blick zu der so viel sagt wie: 'Das musste jetzt sein oder?'.
Ich zucke nur mit den Schultern.
Wie soll man in unserer Situation sonst motiviert bleiben?
Während ich mich umsehe fällt mein Blick auf den kleinen Fernseher, der unter der Decke angebracht ist. Es läuft eine stummgeschaltete Nachrichtensendung.
Mein Blick verfolgt kurz die Schriftzeilen am unteren Rand, doch all das kommt mir so banal vor, dass ich meinen Blick gerade abwenden will, als ein vertrautes Gesicht in einer Ecke des Bildschirmes erscheint.
Meins.
Ein Fahndungsbild von mir.
Darunter springen mir die Worte 'gesucht' und 'Mord' ins Gesicht, ehe ich den Blick abwende.
Ich senke meinen Kopf und gehe zu Keith hinüber, um ihm die Dinge in die Hand zu drücken, die ich schon aus den Regalen genommen habe.
»Ich warte draußen«,wispere ich ihm zu und mache dann bereits kehrt, um das Häuschen zu verlassen. Es gefällt mir nicht uns aufzuteilen, doch das Risiko, dass der Verkäufer mich erkennt ist zu groß. Ich weiß nicht wie lange sie schon dieses Bild in den Nachrichten zeigen.
Meinen Kopf halte ich leicht gesenkt, während ich die Tür wieder und nach draußen verschwinde. Das Klingeln des Türglöckchens kommt mir unfassbar laut und alarmierend vor. Meine Füße tragen mich um die Ecke des Häuschens zu der Wand, die zum Wald hinzeigt. Dort lehne ich mich an die kühle Mauer, die Kapuze ins Gesicht gezogen, und warte.
Ich fühle mich wie eine Verbrecherin. Vielleicht bin ich auch eine.
Ich habe die Jungs verletzt. Fahrlässig, aber es war dennoch meine Schuld. Und nicht einmal jetzt kenne ich ihre Namen. Meine Fingerspitzen fahren nervös über die langsam heilenden Wunden der Glassplitter in meiner Hand.
Wäre ich einfach nicht zu der Party gegangen...
Die Türglocke reißt mich aus meinen Gedanken und ich spähe um die Hausecke.
Keith schaut sich nach mir um und ich gebe einen kurzen Pfiff ab, um ihn auf mich aufmerksam zu machen.
Seine Augenbrauen sind zusammengezogen, als er herüber kommt.
»Was war los?«,fragt er verwundert, während er noch ein paar Dosen in seinem Rucksack verstaut und mir eine Wasserflasche hinhält, die ich scheinbar einpacken soll.
Ich beiße mir leicht auf die Lippe.
»Sie haben ein Fahndungsfoto von mir im Fernsehen gezeigt«,erkläre ich dann neutral, während ich abwesend nach der Flasche greife.
Keith sieht mich leicht fragend an, während er noch den Reißverschluss zuzieht und sich dann aufrichtet, um den Rucksack zu schultern.
Ich seufze leicht.
»Lange Geschichte«,murmele ich und gehe los, hinter der Tankstelle entlang zur Straße.
Ich höre Keiths lange Schritte hinter mir.
»Ich denke wir haben genug Zeit«,entgegnet er schmunzelnd.
Mein Blick wandert die Straße auf und ab, ehe ich loslaufe.
Wie fängt man sowas am Besten an?
»Wegen mir lagen drei Jungs im Koma und zwei von ihnen sind jetzt tot.«
Wer braucht schon Einleitungen.
Mein Blick schwenkt zu Keiths Gesicht, um seine Reaktion zu sehen, doch von der zeigt er wie immer nicht viel. Nur seine Brauen sind leicht angehoben. Ob in Ungläubigkeit oder Überraschung weiß ich nicht. Vielleicht Beides.
»Wie?«,fragt er schließlich nur, als wir den Wald auf der anderen Seite der Straße wieder betreten.
»Ich war mit meinem Freund auf einer Party und wir sind auf dem Nachhauseweg in eine Schlägerei geraten. Besser gesagt hat er sich mit einem der drei geprügelt. Der Fremde hat ihn bewusstlos geschlagen und ich war wütend. Den Rest hast du in der Lagerhalle gesehen. Das war das erste Mal, dass es passiert ist.«
Erst als ich geendet habe hinterfrage ich Bills Betitelung als meinen Freund.
»Einer hat es überlebt?«,fragt Keith verwundert.
»Sie hätten es alle überlebt, die Lyceray haben die beiden im Krankenhaus getötet und den dritten aufgenommen. Der, der aus der Lagerhalle geflohen ist«,erkläre ich und schiebe mir die Kapuze wieder vom Kopf. Im Wald muss ich mich nicht darunter verstecken und außerdem ist es ziemlich warm heute.
»Und jetzt denken sie, dass du sie umgebracht hast«,vervollständigt er den Gedanken selbst, woraufhin ich nur nicke.
»Wie oft ist es dir schon passiert?«,fragt er nach ein paar stillen Sekunden.
Ich muss selbst erstmal nachzählen.
»Fünf Mal«,gebe ich dann zurück,»Aber nur die in der Nacht der Party und in der Lagerhalle waren so stark.«
Ich sehe zu ihm nach oben.
»Ist es dir auch passiert? Die unbeabsichtigten Magieausbrüche?«,hake ich dann interessiert nach, doch er schüttelt nur den Kopf.
»Ich wusste schon immer von der Wesenwelt, mein Vater hat es nie geheim gehalten. Es kam nicht unvorbereitet«,erklärt er,»Zauber als Folge von starken Gefühlen wie Wut oder Angst sind typisch für wilde Kräfte. Normale Halbwesen spüren die Veränderung durch wiederkehrende Träume von Magie und Phrasen der alten Sprache, die immer wieder in ihrem Kopf auftauchen. Nur selten zaubern sie bereits, aber selbst dann nie etwas so starkes wie Blutfeuer.«
Blutfeuer.
Ich muss nicht nachfragen, um zu wissen, dass es das ist, was mir wiederholt passiert ist. Es passt einfach zu gut. Vor meinem inneren Auge taucht wieder das Bild der drei Jungs auf, wie ihre Adern geleuchtet haben, so als würde ihr Blut brennen. Ein Schauer läuft über meinen Rücken.
Es könnte also immer wieder passieren. Überall, in jeder Situation.
Und ich muss zugeben, dass mir das Angst vor mir selbst macht.

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichDove le storie prendono vita. Scoprilo ora