Siebenunddreißig

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Als ich meine Augen wieder öffne, bin ich nicht mehr im Wald.
Ich brauche keine Sekunde, um zu realisieren, wo ich bin. Das Wohnzimmer ist in ein warmes Licht getaucht und auf dem Fernseher läuft ein klischeehafter Liebesfilm. Ich erinnere mich genau an diesen Abend.
»Ich hoffe, sie geht nicht zu ihm zurück«,ertönt eine vertraute Stimme neben mir.
Es fühlt sich an wie ein Deja-Vue.
Das bekannte Gefühl verstärkt sich, als mich der Geruch von Popcorn erreicht. Ich werfe einen Blick zu Yesko hinüber und es gelingt mir nicht das starke Stechen in meiner Brust zu verdrängen. Er lümmelt neben mir auf der Couch, den Oberkörper leicht mir zugedreht, da er den Rücken in die Ecke der Couch gelehnt hat - eine beinahe identische Position zu meiner. Seine langen Locken hat er sich hinter die Ohren geschoben, während er sich Popcorn in den Mund schiebt.
Als er bemerkt, dass mein Blick auf ihn statt auf den Bildschirm fixiert ist, legen sich seine braunen Augen auf mich.
»Was? Willst du wirklich, dass sie bei Matty endet?«
Ich muss leicht lachen und sehe auf meine Hände hinunter.
»Nein, George ist so viel besser«,entgegne ich dann und blicke wieder auf, doch er wird stutzig, als er die Tränen sieht, die sich in meinen Augen sammeln.
»Was ist los?«,fragt er verwirrt.
Ich blicke auf meine gefalteten Hände und erinnere mich an die roten Blitze, die ich damit schon hervorgerufen habe.
»Ich will das alles nicht mehr, Yesko«,murmele ich beinahe tonlos,»Ich wünschte ich wäre nie gegangen.« Ich erwarte weitere Verwirrung, doch seine Stimme klingt ernst und wissend, als er mir antwortet.
»Du bist nicht schon so weit gekommen, um aufzugeben.«
Ich schmunzele schwach und wische meine Tränen weg.
»Ich vermisse dich«,erwidere ich dann murmelnd und blicke wieder auf, um ein schwaches, niedergeschlagenes Lächeln auf seinen Lippen zu sehen.
»Ich vermisse dich auch«,murmelt er, den Blick erwidernd. Sein Gesicht sieht sofort um einiges müder und erschöpfter aus.
Es schmerzt und ich kann nicht anders als mich aufzuraffen und zu ihm hinüberzukrabbeln.
Er rutscht ungefragt zur Seite, damit ich mich in seine Arme legen kann, doch es scheint mir versagt, denn sobald ich ihn berühre, verschwindet das Bild. Ich werde zurück in die Realität gezogen, noch bevor mich seine Wärme erreichen kann.

Ich schlage blinzelnd die Augen auf, kneife sie aber wieder zusammen, als grelles aber kaltes Sonnenlicht meine Kopfschmerzen von neuem ankurbelt. Zeitgleich kehrt das hoffnungslose Gefühl zurück. Ich stöhne leicht und rutsche auf dem unbequemen Platz herum beim Versuch eine bequemere Position zu finden und vielleicht eine Möglichkeit in den Traum zurückzukehren. Dieses Vorhaben muss ich schließlich aufgeben und öffne wieder vorsichtig die Augen. Diesmal stoße ich mir beinahe den Kopf, als ich zurückzucke. Spitze Rindenteile stechen mir in den Rücken, als ich mich gegen den Stamm presse.
Wir sind nicht allein.
Mir gegenüber sitzt Conner, in aller Ruhe an einen Baumstamm gelehnt und schnitzt an einem Holzstück. Das Messer kommt mir bekannt vor und als ich schnell neben mir im Laub nach meinem taste, kann ich es nicht finden.
»Es wundert mich, dass du so panisch bist«,erhebt er die Stimme ohne aufzusehen,»Wo wir doch schon gesehen haben, was du tun kannst.«
Es ist reiner Spott. Er weiß, dass ich in meiner jetzigen Verfassung keine Gefahr wäre, selbst wenn ich meine Kräfte kontrollieren könnte.
Ich versuche unbemerkt Keiths Hosentaschen abzufahren, doch von Conner kommt ein Schnauben. Er holt die gesuchte Klinge hervor und wirft sie neben sich in den Dreck.
»Hältst du mich für so dämlich?«,fragt er beinahe enttäuscht und ich kann darüber nicht schmunzeln, als ich entgegne:»Gelegentlich«.
Er hingegen stößt ein trockenes Lachen aus und blickt nun auf.
»Scheinbar nicht dämlich genug«,erwidert er und deutet mit einer Geste auf die ganze Situation.
Mein Magen krampft sich zusammen. Nicht vor Angst, sondern vor Wut.
Ich starre mit funkelnden Augen in seine Richtung als Keith ein geschwächtes Brummen ausstößt und sich regt. Ich bezweifle, dass er ganz aufwachen wird.
»Schade, dass es so mit ihm zu Ende gehen muss«,meint Conner, gespielt mitleidig und blickt zu dem Jungen neben mir.
Es verstärkt den Hass in meiner Mitte umso mehr. Ich muss wieder an Yeskos Worte denken.
»Warum bist du dir so sicher, dass das das Ende ist?«,entgegne ich, auch wenn ich meiner zwar harten aber dennoch schwachen Stimme selbst nicht wirklich Glauben schenke.
Erneut lacht der blonde Junge auf.
»Sieh dich an, Hexe, es ist vorbei. Mein Begleiter wird gleich mit Verstärkung zurück sein. Vielleicht erwartet dich ja ein gnädiger Tod.«
Jeder Plan, der mir in den Kopf schießt, involviert weglaufen, was mit Keith und meiner fehlenden Stärke unmöglich ist.
Ich fahre mir mit einer Hand in die langen verworrenen Haare.
Sofort habe ich das Gefühl, dass irgendetwas seltsam ist. Irgendetwas fühlt sich nicht richtig an.
Der Mund bleibt mir offen stehen, als mich die Erkenntnis trifft.
»Es ist nicht real«,murmele ich wissend, eine zu lange Haarsträhne zwischen den Fingern.
Conners Miene verwandelt sich in eine hasserfüllte, doch der Traum beginnt bereits zu zerfallen.
»Miena, es ist vorbei, gib auf«,ist das letzte was ich höre, bevor mich eine Welle von blutrotem Feuer überrollt und mich in Finsternis stürzt.

Ein Knacken.
Ich weiß nicht wie lang mich die Alpträume gefangen hielten. Es könnten Minuten, aber auch Stunden gewesen sein. Ich sah zähnefletschende Wölfe, Alysanne, wie sie ihre blutige Seite hält und wie ihre Augen ins Leere starren, ehe sie sich in Mum verwandelte. Ich sah den tiefschwarzen Wald mit glühenden Augenpaaren, die mich aus dem Dickicht beobachteten. Es erinnerte mich an die Worte meiner Großtante. Pass auf die Bäume auf, sie haben Augen und viele spitze Zähne.
Erneut ein Knacken im Unterholz.
Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, wenn auch schwach. Ein Flattern meiner Augenlider zeigt mir den verdunkelten Himmel mit Silhouetten der entfernten Baumkronen. Ich habe keine Kraft sie lange offen zu halten und fühle bereits, wie ein neuer Traumfetzen sich versucht in den Vordergrund zu drängen. Doch Rascheln in meiner Nähe beansprucht meine Aufmerksamkeit und ich zwinge mich die Augen zu öffnen. Geflüsterte Stimmen mischen sich mit den Geräuschen, doch ich kann nicht ausmachen von wo sie kommen.
Nur einen Moment später erscheint eine dunkle Gestalt über mir.
Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen, doch das Gemurmel setzt wieder ein.
Ein altbekanntes, uraltes Gefühl flutet meinen Körper.
Unwillkürlich legt sich ein Lächeln auf meine Lippen, ehe ich mich dem Verlangen meine Augen zu schließen nicht mehr widersetzen kann. Das letzte, was ich sehe, sind die feinen, blutroten Linien, die sich langsam um den Mund der Silhouette ausbreiten wie ein lebendiges Netz von Adern.




Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now