Achtzehn

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Ich hatte nicht gemerkt, wie ich eingeschlafen war.
Das Nächste was ich mitbekomme ist ein lautes Klopfen, was mich sofort alarmiert aus meinem Bett schrecken lässt.
Dämmriges Tageslicht scheint durch die Ritzen der Vorhänge und verrät mir, dass es bereits morgens sein muss.
Als es erneut klopft sehe ich zu Keith hinüber, der sich ebenfalls in seinem Bett aufgesetzt hat und mit zerzausten Haaren zu mir herübersieht, ehe er ratlos mit den Schultern zuckt.
Ich schlage die Bettdecke zurück und schiebe mich aus dem Bett, um den Schlüssel von der Kommode neben der Tür zu nehmen, doch Keith hält mich zurück.
»Warte«,meint er und ruft dann etwas in der seltsamen Sprache, die er zuvor schon mit Alysanne gesprochen hatte, als wir ihn abgeholt haben.
»Alysanne, kejnÿ nav«,kommt von draußen und ich sehe noch einmal kurz zu Keith, der mir bestätigend zu nickt, ehe ich die Tür aufschließe.
Alysannes rote Locken sind das Erste, was mir ins Auge sticht.
»Misstrauen ist gut in dieser Zeit«,meint sie, was anscheinend ein Lob an Keith sein soll, der sich nun auch aus seinem Bett geschoben hat und ebenfalls zur Tür kommt.
»Ich hab euch Essen mitgebracht, trinkt jemand von euch Kaffee?«,fragt sie und streckt mir eine Brötchentüte entgegen, die ich etwas verschlafen entgegen nehme.
»Ich«,kommt es hinter mir rau von Keith auf ihre Frage, woraufhin sie ihm noch dazu einen Becher Kaffee hinhält.
»In einer Stunde fahren wir, macht euch fertig. Ich hole euch dann hier ab«,erklärt sie und macht sich damit schon wieder auf den Weg. Ich blinzele kurz und schließe dann die Tür einfach wieder. Ihr plötzliches Auftauchen und ebenso plötzliches Verschwinden verwirrt mich so früh am Morgen.
Ich seufze ehe ich die Tüte, die sie mir in die Hand gedrückt hat auf der Kommode abstelle und zum Fenster gehe, um die Vorhänge beiseite zu schieben. Leichte Wolken hängen vor der schon über den Horizont gestiegenen Sonne und hinter mir höre ich Keith sicherheitshalber die Tür wieder abschließen.
»Käse oder Salami?«,fragt er und ich sehe über meine Schulter zu dem Jungen, der zwei belegte Brötchen in den Händen hält.
»Käse, außer du willst es«,erwidere ich und zucke mit den Schultern.
Er schüttelt nur leicht mit dem Kopf, was anscheinend heißt, dass ich es ruhig haben kann.
Er streckt den Arm aus, um mir eines der Brötchen hinzuhalten und ich nehme es mit einem knurrenden Magen an. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich seit mehr als 24 Stunden nichts mehr gegessen habe. Aber gestern war an Essen nicht zu denken.
Jetzt allerdings macht sich mein Magen mit einem lauten, unmissverständlichen Knurren bemerkbar, als ich mich mit dem belegten Brötchen im Schneidersitz auf meinem Bett wieder niederlasse.
Es schmeckt ein wenig fad, doch es interessiert mich recht wenig.
Auch Keith lässt sich auf seinem Bett nieder und beginnt zu essen.
Gestern war die Stille zwischen uns angenehm, doch nun ist sie etwas bedrückend.
»Warum warst du ganz allein in diesem Haus?«,frage ich also das erste was mir in den Sinn kommt, ohne daran zu denken, dass es privat sein könnte und sehe ihn interessiert an.
Er blickt kaum von seinem Brötchen auf als er mir antwortete.
»Sie haben meinen Vater vor einigen Wochen umgebracht«,erklärt er, relativ monoton für das was er da sagt.
»Oh«,stoße ich leicht überrascht aus. Damit hätte ich nicht gerechnet. »...tut mir Leid.«
Er zuckt nur mit den Schultern und trotzdessen, dass es eigentlich eine gleichgültige Geste ist, bilde ich mir ein dennoch eine tiefe Trauer in ihr erkennen zu können.
»Es war klar, dass es früher oder später geschehen würde«,gibt er zurück.
Ich lege leicht den Kopf schief. »Wenn ihr es wusstet, warum seid ihr nicht fortgegangen?«,frage ich weiter und rechne jeden Moment damit, dass er eine Antwort verweigert, was ich akzeptieren würde, schließlich kennen wir uns nicht. Doch zu meiner Überraschung beantwortet er auch diese Frage.
»Es hätte nichts geändert. Der einzige Ort wo wir sicher gewesen wären, wäre Dysia gewesen, doch dort wollte er nicht hin. Mein Vater wollte, dass wir in der normalen Welt aufwachsen. Er meinte die Wesenwelt sei zu gefährlich in diesen Tagen."
Warum sprechen immer alle von diesen Tagen?
Ich bin kurz davor nachzufragen was damit gemeint ist, doch er kommt mir zuvor, weswegen ich mir die Frage erstmal in den Hinterkopf schiebe zu den anderen gefühlt zehntausend, auf die ich noch keine Antwort habe.
»Und du? Wie kommst du hier her?«
Eigentlich hätte ich nicht erwartet, dass er die Konversation von sich aus fortsetzt, doch anscheinend behagt ihm die Stille heute auch nicht. Oder er will einfach das Gespräch von sich weglenken, was von seinem bisherigen Auftreten für mich plausibler klingt.
Seine blau-grauen Augen blicken mich abwartend an, was mich wieder zu seiner Frage zurückbringt.
Ich kaue nachdenklich auf meinem Brot herum. Wie soll ich die Geschehnisse der letzten Tage zusammenfassen, wenn ich es selbst weder gänzlich verstanden, noch begriffen habe.
Ich schlucke und antworte dann nur :»Es ist ziemlich kompliziert.«
Keith sieht mich etwas forschend an und verdammt, diesen eindringlichen Blick hat er gut drauf.
»Ich bin mir sicher, dass ich folgen kann«,entgegnet er selbstsicher, mir damit keine Luft mehr lassend, ob ich es nun erklären will oder nicht. Und ich muss mir eingestehen - ich bin es ihm schuldig, schließlich hat er mir meine Frage auch beantwortet.
Ich positioniere mich leicht unbehaglich um, bedacht darauf keine Tomate auf dem Bettlaken zu verlieren, während ich kurz überlege.
»Okay, also meine Mutter wurde gestern,... nein vorgestern, umgebracht, aber irgendwie ist es nicht meine leibliche Mutter gewesen, da ich nicht bei meiner richtigen Familie aufgewachsen bin, was ich aber bis gestern, als Alysanne kam, nicht wusste«,erkläre ich, feststellend, dass es allgemein doch nicht ganz so kompliziert ist, wie es in meinen Gedanken klang.
»Wow«,erwidert Keith zwischen zwei Bissen,»Wusstest du wenigstens was du bist?«
»Nein«,entgegne ich nur und esse mein Brötchen auf.
»Du weißt also gar nichts über Bluthexen?«,hakt er nicht einmal wirklich verwundert nach.
Ich schüttle nur den Kopf, während ich um das Bett herum zu meinem Rucksack gehe und mein Waschzeug wieder herausnehme. Ich wollte ja noch einmal duschen gehen.
»Ich wusste bis gestern nicht einmal, dass es sowas wie Magie gibt«,gebe ich nur erneut trocken zurück, während ich in Richtung Bad gehe.
»Deswegen kennst du also auch die alte Sprache nicht«,stellt Keith laut fest und bringt mich dazu auf dem halben Weg anzuhalten, um mich wieder umzudrehen und ihn anzusehen. Sein Blick liegt ruhig auf mir. Nicht mehr forschend wie zuvor, sondern wissend.
»Du konntest gestern an der Tür nicht antworten, als ich gefragt habe, wer da ist«,fügt er auf meinen teils verwunderten Ausdruck hinzu.
»Was ist das für eine Sprache? Alysanne hat sie auch mit meinem...Adoptivvater gesprochen«,meine ich nun interessiert und lasse mich wieder auf dem Fußende seines Bettes nieder.
»Die alte Sprache hat viele Namen und war die allererste Sprache, die sich entwickelte, wie eine Art Ursprache. Es gab sie schon lange vor den Menschen und sie existierte nur in gesprochener Form unter den Tierwesen, bis ihr von Menschenwesen eine Schrift gegeben wurde. Heute wird sie hauptsächlich von sehr traditionellen Wesenarten, hauptsächlich Tierwesen gesprochen. Aber eigentlich jeder Magiekundige kann sie lesen und sprechen.«
Alles was er sagt klingt, als würde er es aus einem Lexikon zitieren und mir wird klar, dass er unheimlich schlau sein muss. Zumindest viel schlauer als ich in diesem Gebiet. Was zugegebenermaßen ja nicht schwer ist. Ich höre ihm gebannt zu, allerdings verstehe ich wieder nicht allzu viel.
Anhand meines, sich während seiner Erklärung in noch größere Verwirrung verwandelnden Blickes, merkt er, dass ich die Hälfte davon auch wieder nicht verstanden habe und seufzt.
»Tier- und Menschenwesen?«,fragt er nach der Ursache meiner Verwirrung und ich nicke.
»Also gut, die Wesenwelt wird in drei Untergruppen unterteilt. Tierwesen, Menschenwesen, und seelenlose Wesen.
Tierwesen sind Wesen die in keinster Weise mit Menschen verwandt oder aus ihnen entstanden sind. Hydeiren, Monoen und Cerfone zum Beispiel.«
Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen.
»Ich schätze du wirst sie während der Ausbildung alle noch kennenlernen«,wirft er nur ein und fährt fort. »Seelenlose Wesen erklären sich ziemlich von selbst denke ich. Geister, Dämonengestalten...«
»Natürlich, warum auch nicht«,seufze ich sarkastisch. Keith spricht allerdings einfach weiter, so als wäre er gerade erst richtig in Fahrt gekommen.
»Um die musst du dich nicht sorgen, sie belästigen hauptsächlich Menschen.
Und Menschenwesen sind Wesen die aus Kreuzungen mit Menschen entstanden sind. Hexen, Sirenen-«
»Werwölfe, Vampire...«,fahre ich fort, doch Keith wirft mir nur einen fast befremdeten Blick zu.
Ich ziehe leicht die Augenbrauen hoch.
»Keine Werwölfe und Vampire also?«,frage ich trocken und der Junge schüttelt entschieden den Kopf.
»Nein«,fügt er hinzu.
»Natürlich«,murmele ich leise und erneut etwas ironisch, ehe ich mich vom Bett erhebe. Mein Kopf läuft schon wieder über von den ganzen neuen Informationen.
»Ich geh duschen«,teile ich Keith nur mit und verschwinde im Badezimmer.

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now