Sechsundzwanzig

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Die Wahrsagerin erklärt ihren Stand mitten am Nachmittag für geschlossen und ich glaube die wenigen Besucher die noch vor dem Zelt gewartet haben verfluchen uns innerlich.
Sie führt uns zu dem Wohnanhänger hinter ihrem Zelt und bedeutet uns davor zu warten. Ich weiß nicht was ich erwartet habe, aber der kurze Blick, den ich ins Innere erhasche, zeigt mir, dass der Trailer erstaunlich normal eingerichtet ist.
Es dauert nicht lange, bis sie wieder herauskommt, eine Tasche in der Hand. Sie bedeutet uns nur wieder nebensächlich ihr zu folgen und führt uns zu den am Rand der Lichtung geparkten Fahrzeugen.
Ihr Gang ist geprägt von etlichen gelebten Jahren, aber dennoch stolz und erhoben, was ihre Art widerspiegelt. Sie führt uns zu einem silbernen Volvo und Keith steigt ohne zu zögern hinten ein. Er scheint wirklich keine Lust auf Konversation mit der Frau zu haben.
Ich nehme den Beifahrersitz.
Es ist still im Wagen, während die Bitiate ihn vom unbefestigten Parkplatz auf den Waldweg steuert, um dort staubaufwirbelnd Gas zu geben. Das Radio ist aus, aber sie stellt es nicht an und ich traue es mir nicht.
Ich bin mir nicht mehr sicher, ob mit ihr zu gehen die richtige Entscheidung war, aber ich schätze jetzt ist es für diese Überlegung sowieso zu spät. Ich weiß nicht, ob mich der Gedanke in Panik oder nüchterne Ruhe versetzt.
Die Stille ist spürbar unangenehm und ich habe das starke Bedürfnis irgendetwas zu sagen, da keiner der anderen beiden im Wagen es zu beabsichtigen scheint.
»Wie heißen Sie eigentlich?«,frage ich das Erste was mir in den Sinn kommt.
»Ich hab viele Namen«,entgegnet sie,»Aber ihr könnt mich Oriana nennen.«
»Ich verstehe immer noch nicht warum Sie uns helfen, wenn Sie das nur selbst ins Ziel der Lyceray ziehen könnte«,gebe ich zu und beobachte ihr Gesicht von der Seite.
»Es wäre doch eine Schande würde ich der Tochter von Cassana Perez nicht helfen, oder?«,erwidert sie und fügt mit einem provokanten Grinsen in den Rückspiegel hinzu:»Ihren spießigen Begleiter inbegriffen.«
Keiths Missfallen der Situation ist fast schon physisch spürbar und ich muss kurz schmunzeln.
»Keine Widerworte diesmal?«,grinst sie, als er nicht antwortet und ich weiß wie hart er sich ein Kommentar gerade verkneifen muss.
»Warum wäre es denn eine Schande mir nicht zu helfen? Was hat meine Mutter damit zu tun?«,wechsele ich zurück zum ursprünglichen Thema, bevor Keith auf der Rückbank noch platzt vor Ärger.
»Sie spielte eine sehr wichtige Rolle im Kampf gegen die Lyceray. Sie war eine der Einzigen, die sich wirklich je gegen diese corfaÿr erhoben hat - und das mit riesigem Erfolg.«
Ich komme nicht umher die Bewunderung in ihrer Stimme zu bemerken, so als wäre Cassana für sie wie ein Idol.
»So jung wie sie war, war sie auch mutig.«
»Und leichtsinnig und rücksichtslos«,fügt Keith trocken von der Rückbank hinzu.
Ich erwarte fast, dass Oriana meine Mutter heftig verteidigen würde, doch sie reagiert völlig ruhig.
»Vielleicht ist diese Mischung manchmal genau das, was man braucht.«

Den Rest der Fahrt verbringen wir wieder schweigend, jeder mit seinem Gedanken woanders.
Draußen verdunkelt sich der Himmel bald und die Lichter der Städte und Laternen ziehen mit einer einschläfernden Gleichmäßigkeit an uns vorbei.
An der Digitaluhr am Tacho kann ich ablesen, dass es kurz vor um Acht ist, als wir wieder auf einen Waldweg einbiegen und außer Sichtweite der Straße zum Stehen kommen. Ich glaube ich bin während der Fahrt ein paar mal eingenickt. Im Gegensatz zu den Sitzmöglichkeiten der letzten fünf Tage, ist der gepolsterte Autositz Luxus pur, weswegen ich auch nur widerwillig aussteige.
Es zeigen sich bereits die ersten Sterne und der Weg wird nur noch spärlich beleuchtet. Von Keith und Oriana sehe ich nur Silhouetten, als sie ebenfalls aus dem Wagen steigen.
Kurz frage ich mich, ob die Bitiate durch ihren Schleier, den sie zum Glück wieder vors Gesicht gehängt hat, in dem Dämmerlicht überhaupt etwas sehen kann, doch als sie mehr als zielstrebig den Kofferraum ansteuert, verwerfe ich den Gedanken wieder. Sie öffnet die Kofferraumklappe und offenbart Wasserflaschen, sowie Proviant, der für mehrere Tage reichen sollte. So als hätte sie gewusst, dass wir kommen.
Auffordernd zeigt sie darauf.
Ich werfe einen verblüfften Blick zu Keith, welcher immer noch einen neutralen Gesichtsausdruck wahrt, doch seine Augenbraue hebt sich leicht.
»Nun nehmt es schon«,fordert uns Oriana harsch und ungeduldig auf, fast so, als wäre ihr diese zusätzliche Hilfe unangenehm.
Keiths Augen finden kurz meine, ehe er beginnt die Sachen in seinen Rucksack zu stopfen. Ich tue es ihm gleich. Der Junge schließt den Kofferraum als wir alles verstaut haben, die Frau bereits wieder im Auto sitzt, den Arm über das offene Fenster gelegt.
»Danke für Ihre Hilfe«,verabschiede ich mich, sie neigt nur den Kopf.
»Und Miena?«,hält sie mich zurück, als ich mich bereits abwenden will.
Ich hebe fragend die Augenbrauen.
»Finde einen Weg Yesko anzurufen, der arme Junge ist krank vor Sorge.«
Mein Magen zieht sich leicht zusammen bei dem Namen meines Bruders und ich ziehe geräuschvoll Luft ein. »Können Sie ihm eine Nachricht von mir übermitteln?«,frage ich und trete wieder näher an den Wagen heran. Den Hoffnungsschimmer, den sie gerade gelegt hat, zerstört sie allerdings sogleich wieder.
»Ich bin eine Wahrsagerin auf dem Jahrmarkt, kein Nachrichtendienst«,entgegnet sie, und legt den Rückwärtsgang ein, um mit quietschenden Reifen zu wenden.
Zurück bleiben wieder allein Keith und ich.

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now