Siebenundzwanzig

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Das gleißend helle Licht verursacht einen stechenden Schmerz hinter meinen Augen, als ich direkt hineinblicke. Im nächsten Moment reißen Keith und ich gleichzeitig die Hand nach oben, um unsere Augen von dem Licht abzuschirmen. Doch auch, als ich nicht mehr in das Licht blicke sehe ich vor meinem inneren Auge ein helles Band mit dunklen Silhouetten.
»Was macht ihr hier?«
Die Stimme, die durch den immer noch andauernden Regen herübergetragen wird, ist männlich und misstrauisch. Ich bin noch viel zu perplex, um zu antworten. Keith übernimmt dies zum Glück allerdings wieder.
»Wir haben nur Zuflucht vor dem Gewitter gesucht, wir waren in der Nähe zelten«,erklärt er, während ich meine Augen immer noch vom grellen Taschenlampenlicht abschirme. Zum Glück ist der Fremde umsichtig genug den Lichtschein von uns zu nehmen. Ich blinzele gegen die Dunkelheit, in der ich versuche ihn auszumachen.
»Vielleicht kommt ihr besser mit rein, hier draußen holt ihr euch noch den Tod«,erwidert die Stimme nach einigen Sekunden in der der Fremde darüber nachgedacht zu haben scheint. Den Unterton in seiner Stimme kann ich dabei nicht wirklich identifizieren.
Ohne auch nur einen Blick mit mir auszutauschen oder es in Betracht zu ziehen, schüttelt Keith den Kopf. »Wir wollen keine Umstände machen, sobald das Gewitter vorbei ist werden wir wieder verschwinden«,lehnt er ab. Mein durchnässter Körper will schreiend widersprechen, doch ich weiß dass es besser so ist. Vielleicht hat er die Fahndungsbilder gesehen. Wer weiß in welchem Umkreis sie verbreitet wurden.
»Das Gewitter soll die nächsten zwei Tage nicht mehr aufhören, seid ihr euch sicher, dass ihr hier bleiben wollt?«,entgegnet der Fremde. Ich kann seine Laune aus seiner Stimme immer noch nicht so recht einschätzen und sein Gesicht liegt immer noch im Schatten hinter der Taschenlampe, sodass mir nicht mal seine Mimik einen Hinweis geben kann, ob wir es riskieren können. Keith scheint genauso unentschieden, wie ich zu sein.
Vor zwei Wochen noch hätte ich keine drei Sekunden überlegt.
Keiths Augen finden meine im Halbdunkel und wir schauen uns einen Moment still an, abwägend.
Ich hab das Gefühl, dass wir diese Diskussion in den letzten Tagen schon so oft hatten, dass wir sie nun ohne Worte führen können.
Es könnte gefährlich sein, aber es könnte auch nützlich sein.
Aber der Fremde hat recht, hier bleiben ist eigentlich keine Alternative, wenn es die nächsten zwei Tage so weiterregnet. Krank zu werden können wir uns genauso wenig erlauben, wie Zeit zu verlieren. Schließlich nicke ich, eine kurze, wahrscheinlich kaum merkliche Bewegung, die Keith als Antwort auf die stumme Frage reicht.
Er sieht wieder zu der Silhouette hinter dem Lichtkegel und gibt das Nicken an sie weiter, deutlicher und entschlossener.
»Okay«

Mein Rücken schmerzt, als ich aufstehe und ich ächze leicht. Ich spüre Keiths Hand schwach an meinem Unterarm und erneut weiß ich nicht, ob er mich oder sich selbst stützt. Der Fremde hat derweile den Lichtkegel, an dessen Helligkeit sich meine Augen mittlerweile gewöhnt haben, auf einen der Schränke an der rechten Wand des Schuppens gerichtet und nimmt aus diesem einen weißen Kanister. Erschöpft hebe ich meinen durchnässten Rucksack auf und schiebe mir den Riemen über die Schulter. Keiths Hand hat meinen Unterarm wieder losgelassen, um auch seinen Rucksack aufzuheben.
»Kommt«,meint der Unbekannte, dessen Alter weder aus seiner Stimme, noch seiner Wortwahl gedeutet werden kann.
Es ist eine Überwindung wieder hinaus in den starken Regen zu gehen, auch wenn ich noch keinen Deut trockener bin, wie als wir den Schuppen erreicht haben. Ich mache mir nicht noch einmal die Mühe meine ohnehin durchnässte Kapuze aufzusetzen. Der Fremde geht mit schnellen Schritten voraus und leuchtet den Weg, während Keith und ich ihm dicht nebeneinander folgen.
»Ich weiß nicht, ob es sicher ist«,gibt Keith leise zu bedenken, wohl wissend, dass es über den Regen von vorn nicht belauscht werden könnte. »Wissen wir das jemals?«,murmele ich nur zurück und wir sind schon an der Haustür angekommen, bevor Keith etwas erwidern kann.
Die Tür ist nicht ganz zugezogen, sodass der Hausbewohner sie einfach aufschiebt und vor uns hinein tritt.
Aus dem Inneren des Hauses dringt warmes Licht und verringert das unwohle Gefühl von potenzieller Gefahr um Einiges. Selbst als Keith die Tür hinter uns schließt kommt keine Angst bei mir auf. Ich will einfach nur in trockene Klamotten. Alles andere scheint nebensächlich zu sein.
»Nettles«,ruft der Fremde, während er sich die Kapuze vom Kopf schiebt unter denen ein schwarzer Afro zum Vorschein kommt. In den dunklen Locken haben sich trotz der Kapuze viele glitzernde Wassertröpfchen verfangen. Im Flur selbst brennt kein Licht, nur aus dem angrenzenden Raum dringen flackernde, warme Lichtstrahlen, wahrscheinlich von einem Kaminfeuer.
Das schummrige Licht reicht allerdings aus, um zu sehen, dass auch die inneren Wände des Hauses mit Holz verkleidet sind. Ich streife mir die Schuhe von den Füßen, doch meine Socken sind genauso nass. »Lasst die Schuhe einfach da stehen«,meint der Fremde und wendet sich uns das erste Mal zu. Es ist ein Junge, vermutlich ein paar wenige Jahre älter als wir. Drei, höchstens. Seine karamellfarbene Haut leuchtet warm in dem fahlen Licht, wohingegen seine dunklen, fast schwarzen Augen aus seinem schmalen Gesicht hervorstechen.
»Hast du den Kan-«,kommt es aus dem Wohnzimmer, begleitet von sanften Schritten auf den dunklen Holzdielen, doch die Stimme verstummt, als die dazugehörige Person im Türrahmen stehen bleibt. Es ist ein Mädchen, kaum jünger als ich, vielleicht genauso alt. Sie sieht dem Jungen sehr ähnlich mit ihren dunklen Locken, die ihr in die Stirn hängen und den schmalen, filigranen Gesichtszügen.
»Oh«,stößt sie überrascht aus.
»Camper, sie haben im Schuppen Unterschlupf gesucht«,erklärt der Junge dem Mädchen unser plötzliches Auftauchen knapp,»Ich hab ihnen angeboten, das Ende des Gewitters bei uns abzuwarten.«
Die Überraschung im Gesicht des Mädchens wird von einem freundlichen Lächeln abgelöst.
»Nettles Felten, freut mich«,grinst sie und ihre Freude wirkt ehrlich.
»Keith und das ist meine beste Freundin Cora«,erklärt Keith und ich überwinde mich ebenfalls zu einem leichten Lächeln, was mir bei Nettles nicht wirklich schwer fällt. Ich werde auf den falschen Namen achten müssen.
»Mein Bruder Willas«,stellt sie noch die letzte Person im Raum vor.
»Mamas Zimmer?«,wendet sie sich dann an besagten Jungen und legt leicht fragend den Kopf schief. Willas zuckt mit den Schultern und nickt.
»Wir können auch auf der Couch schlafen, wir wollen wirklich keine Umstände machen«,wirft Keith ein, obwohl er wahrscheinlich genauso gern wie ich wieder in einem Bett liegen würde.
Nettles hingegen winkt nur ab, worüber ich innerlich mehr als erleichtert bin.
»Unsere Mutter ist bis Ende der Woche auf Geschäftsreise und ihr seid bestimmt müde. Ich zeig euch das Zimmer«,meint sie und geht voraus die Treppe an der linken Seite des Raumes hinauf. Keith und ich werfen uns wieder einen kurzen Blick zu, ehe wir ihr folgen.
»Eure Sachen sind alle klitschnass, oder?«,fragt sie auf dem Weg nach oben.
»Das trifft es ziemlich gut«,gebe ich zurück und habe tatsächlich keinerlei Zweifel daran, dass auch der letzte Winkel meines Rucksackes durchnässt ist. »Ich kann euch welche von uns geben, morgen können wir dann eure aufhängen«,bietet sie an und wirft uns einen fragenden Blick über die Schulter zu. Im Flur am Ende der Treppe brennen nur Kerzen, was dem Ganzen zusammen mit dem Holz überall eine gemütliche Atmosphäre verleiht.
»Das wäre wirklich nett«,antwortet Keith, während ich mit der Sorge beschäftigt bin, dass sie wahrscheinlich nach uns den Boden wischen müssen, so nass wie wir sind.
Nettles führt uns zum letzten Zimmer im Gang und öffnet die Tür.
»Ich hole euch gleich ein paar Kerzen, unser Strom ist ausgefallen«,erklärt sie und verschwindet kurz, zu schnell für meine Augen, um ihr zu folgen, doch kurz darauf ist sie mit brennenden Kerzen wieder bei uns und tritt vor uns in das Zimmer. Die Kerzen stellt sie auf einer Kommode ab, sodass sie das kleine Zimmer spärlich, aber ausreichend beleuchten. Sie zeigt auf eine Tür an der rechten Seite des Raumes.
»Da ist das Badezimmer, ich bringe euch gleich trockene Sachen.«
Damit ist sie erneut verschwunden und Keith und ich allein in dem fremden Schlafzimmer. Langsam lasse ich meinen Rucksack von der Schulter gleiten und stelle ihn am Fußende des Bettes ab.
Ein Bett.
Am liebsten würde ich mich ohne weitere Umschweife hineinwerfen, doch mit den nassen Klamotten muss ich mich davon abhalten.
Keith stellt seinen Rucksack neben meinem ab und fährt sich mit beiden Händen durch die nassen dunkelblonden Haare. »Ich wusste gar nicht, dass du so höflich sein kannst«,grinse ich schwach, neckend. Keith schnaubt. »Halt die Klappe.«
Ich lache leicht und sehe auch seine Mundwinkel leicht zucken.
Das Zimmer ist altmodisch eingerichtet. Ein Hufeisen über der Tür, Verzierungen an den Kanten der dunklen Holzmöbel. Auch wenn es im Haus recht warm ist fällt mir wieder auf, wie kalt mir ist. Stumm schlinge ich die Arme um meine eigene Hüfte.
Zum Glück kommt in dem Moment auch schon Nettles zurück mit einem Stapel Kleidung.
»Hier, ich hoffe sie passen«,meint das Mädchen und gibt uns jeweils eine Hälfte des Stapels.
»Wenn wir morgen den Strom wieder zum Laufen bekommen, könnt ihr auch euren Eltern Bescheid geben. Hier ist leider absolut kein Empfang.«
Der sofortige Gedanke an Yesko trifft mich hart.
»Habt ihr Hunger?«
Meine Aufmerksamkeit schnippt zurück in die Gegenwart. Ich tausche einen eindeutigen Blick mit Keith und schmunzele schwach. »Ich denke wir können es kaum erwarten ins Bett zu fallen, aber trotzdem danke«,antworte ich.
»Morgen kommen wir bestimmt auf das Angebot zurück«,fügt Keith hinzu.
Das Mädchen lächelt nur warm und streicht sich eine lange Locke hinters Ohr. »Okay, dann schlaft gut«,meint sie und wir erwidern es, bevor sie die Zimmertür schließt.

Die Kleidung erscheint mir wie ein Geschenk des Himmels gerade. Nachdem ich die einfache Jogginghose und den Pullover übergezogen habe spüre ich langsam aber stetig auch die Wärme in meine Glieder zurückkehren. Ich fühle mich gleich viel wohler, gleichzeitig aber auch unwohl fremde Sachen zu tragen.
Meine nassen Haare schüttle ich nur leicht aus, um die gröbste Feuchtigkeit herauszubekommen und meine eigenen Sachen hänge ich über einen Handtuchtrockner. Mit einem leicht wehmütigen Blick auf die Dusche verlasse ich dann das Badezimmer. Duschen kann ich vielleicht morgen.
Keith liegt schon im Bett. »Ich glaube ich hab mich noch nie so sehr über ein Bett gefreut«,seufzt er als ich zurück ins Zimmer komme und gräbt sich tiefer unter die Bettdecke,»Das musst du unbedingt ausprobieren.«
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und werfe mich schnell zu ihm ins Bett, wo mir sofort ein erleichtertes Seufzen entweicht, als ich die weiche Matratze unter mir spüre. Auch ich kuschle mich in die dicke Daunendecke und schließe genießerisch die Augen.
»Das tut so gut«,stimme ich Keith zu. Von ihm kommt nur ein leises Lachen.
Immer noch trommelt Regen auf das Dach über uns, doch es stürmt nicht mehr so stark und das Unwetter ist hier drin deutlich besser zu ertragen.
Kurz herrscht ein angenehmes Schweigen in dem wir beide einfach nur die Wärme und den Komfort des Bettes genießen.
»Ich weiß nicht, ob ich ihnen vertraue«,meint Keith dann. Ich öffne die Augen und lege den Kopf zur Seite, sodass ich ihn ansehen kann. »Wem vertraust du schon?«,erwidere ich schmunzelnd. Ich bin noch zu zufrieden mit der neuen Situation, als dass ich mir ernsthafte Gedanken darüber machen könnte, ob Nettles und Willas etwas Böses im Sinn haben.
»Ich vertraue dir«,antwortet der Junge und ich ziehe die Augenbrauen hoch.
»Weil du musst«
»Touché«
Ich lache leise und wende meinen Blick der Decke zu.
»Wir müssen so bald wie möglich weiter«,meint er nach einer Weile.
»Aber das Bett«,widerspreche ich jammernd und ziehe die Bettdecke höher. Auf seinen Lippen sehe ich ein amüsiertes Schmunzeln. »Das ist wirklich ein Argument«,grinst er.
Aber ich weiß, dass er Recht hat. Auch wenn meine Haare jetzt kurz sind, mein Gesicht hat sich nicht verändert. Das Risiko erkannt zu werden ist zu groß, als dass wir an einem Ort zu lange verweilen könnten. Vorausgesetzt sie haben die Fahndungsbilder hier überhaupt verbreitet. Aber durchs Internet ist das sehr wahrscheinlich. Aufeinmal fühle ich mich doch nicht mehr so sicher. Auch wenn die Polizei eines der kleineren Übel ist.
Schon seltsam, wie eine Fahndung aufgrund von Mordverdacht mittlerweile in den Hintergrund rutscht. Aber Alysanne sagte, dass ich mir darüber in Dysia keine Gedanken mehr machen muss.
Ich drehe mich auf den Rücken.
»Ich glaube es immer noch nicht so recht, dass Alysanne tot ist«,murmele ich leise, einfach nur um den Gedanken loszuwerden. »Gewöhn dich daran«,kommt von Keith zurück,»Ich denke das wird nicht das letzte Mal gewesen sein...«
»Hat dir schon mal jemand gesagt, wie gut du darin bist jemanden aufzumuntern?«,schnaube ich schmunzelnd und werfe einen Blick zu ihm hinüber.
Als Antwort trifft mich ein Kissen im Gesicht und ein leises Lachen verlässt meine Kehle.

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now