Vierunddreißig

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Ich weiß weder wie lange oder weit wir rennen, noch ob es überhaupt die richtige Richtung ist.
Das Unterholz ist dicht und das Gelände uneben, sodass es schwer ist die Geschwindigkeit zu halten ohne zu fallen. Ich bekomme keinen Wolf zu Gesicht, und ich wage es auch nicht mich umzudrehen, aber man hört ihr Knurren und Zähneschnappen im Unterholz.
Es ist ein guter Antrieb nicht langsamer zu werden.
Nach und nach verblassen allerdings auch die Geräusche und es ist nur noch aus der Ferne das Rascheln der Büsche zu hören.
Ich traue mich dennoch nicht anzuhalten, bis der Wald still ist abgesehen von unseren beschleunigten Atemzügen und dem seichten Rascheln der Blätter in den Baumkronen.
Meine Brust hebt und senkt sich stark und meine Beine brennen, als ich mich keuchend vornüber auf meinen Knien abstütze. Ich höre Keiths Schritte ebenfalls langsamer werden und schließlich ganz verstummen. Einen kurzen Moment hatte ich Angst, dass er mich stehen lassen würde. Ich richte mich auf und blicke zu ihm hinüber, doch er beachtet mich nicht. Ein schlechtes Gefühl breitet sich in meiner Brust und Magenregion aus.
»Keith-«,meine ich vorsichtig und leise, noch nicht ganz bei Atem, aber er unterbricht mich einfach mit einer erhobenen Hand.
Ich erwarte einen wütenden Vortrag darüber, wie falsch es war, ihm so etwas vorzuenthalten.
Aber es folgt nichts dergleichen.
Er dreht sich einfach weg und setzt den Weg fort, jetzt im Schritttempo. Mein Atem kommt noch immer stoßweise und fühlt sich jetzt wegen des Drucks auf meiner Brust noch gepresster an.
Einen Vortrag hätte ich ertragen können, er hat jedes Recht wütend zu sein.
Schweigen aber schmerzt viel mehr.
Gegen seine Enttäuschung bin ich machtlos, weshalb ich mich einfach wieder aufrichtete und ihm auf erschöpften Beinen nachlaufe.
Die Sonne hat heute noch gar nicht richtig geschienen und der bedeckte Himmel verdunkelt sich ziemlich schnell, sodass wir nur noch etwa drei Stunden gehen können, ehe wir schließlich unser Lager aufschlagen müssen. Keith hatte noch einmal angehalten und mit der Karte unsere Richtung überprüft und korrigiert. Er wechselt kein einziges Wort mit mir, nicht während der drei Stunden, noch während wir das Lager aufschlagen.
Aber auch ich starte keinen Versuch einer Unterhaltung.
Keith entfacht das Lagerfeuer und öffnet anschließend eine Dose, die er mir genauso stillschweigend hinüberreicht, wie das Wasser. Ich versuche wenigstens einen kurzen Blickkontakt herzustellen, doch auch das gönnt er mir nicht.
»Keith-«,murmele ich, während ich die Dose vor mir auf dem Boden abstelle und zu ihm sehe.
Ich weiß nicht was ich sagen könnte, um es wieder gut zu machen.
»Es tut mir leid«,flüstere ich schließlich an dem schmerzhaften Knoten in meiner Kehle vorbei. Ich zucke beinahe zusammen, als er die Stille mit einem Schnauben durchbricht. Sein Blick ist in die Dunkelheit zwischen den Baumstämmen gerichtet. Ich studiere seine Gesichtszüge genau.
»Ich hätte es dir sagen sollen«,füge ich leise hinzu und stochere unruhig in dem unappetitlichen Inhalt der Dose. Ich habe schon Angst die Unterhaltung mit mir selbst führen zu müssen, als Keith endlich antwortet.
»Und warum hast du es mir nicht gesagt?«,fragt er, die Stimme so nüchtern wie vor zwei Wochen, als wir uns kennengelernt haben. Ich blicke wieder zu ihm hinüber und begegne seinem eindringlichen Blick. Unwohl wende ich den Blick wieder ab.
»Ich dachte wir gehen am nächsten Tag, es hätte keinen großen Unterschied gemacht. Und ich dachte es wäre einfacher...«,erkläre ich, obwohl ich weiß, dass es eine lausige Erklärung ist.
»Etwas nur nicht zu tun, weil es schwierig sein könnte ist feige und Feigheit können wir uns nicht leisten, Miena!«
Es ist so ungewohnt ihn wütend zu hören, doch es ist mir immer noch lieber als sein Schweigen.
Ich denke über seine Worte nach. Ich weiß, dass er Recht hat. Ich wusste von Anfang an, dass es falsch wäre es ihm vorzuenthalten, aber ich hatte Angst es ihm zu sagen.
»Wir haben nicht mehr viel«,beginnt Keith erneut nach einer Weile, in der wir schweigend gegessen haben. Erst denke ich es wäre auf die Essensrationen oder das Wasser bezogen, aber als ich zu ihm hinüber sehe, ist sein Blick auf keines von beidem gerichtet, sondern ins Feuer.
»Vorallem nicht viel dem wir vertrauen können«,fügt er hinzu, während ich sein Profil im Schein des Feuers mustere und warte ob er fortfährt.
Seine Worte schmerzen nur stumpf, da es noch schwer ist mir vorzustellen, dass all mein Besitz in einen Rucksack passt und die einzige Person, die ich gerade wirklich habe, Keith selbst ist. Dennoch weiß mein Inneres nur zu gut, dass es eine akkurate Beschreibung unserer Situation ist.
»Keine Lügen mehr«,murmele ich.
»Keine Lügen mehr«,wiederholt Keith und mit diesem einfachen Versprechen sitzen wir in Schweigen nebeneinander und sehen zu, wie das Ruß die Äste im Feuer langsam kohlrabenschwarz färbt.

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now